1,1 Millionen Menschen, die in Österreich leben, dürfen nicht wählen!

by Nora Waldhör

Im letzten Teil unserer Serie zu Migration und Arbeit in Österreich beschäftigen wir uns mit dem schwierigen Zugang zur Staatsbürger:innenschaft und dem damit verbundenen Demokratiedefizit. In Blogbeitrag 1 und 2 waren Fragen der Repräsentation und der politischen Teilhabe schon Thema. Die Faktenlage ist klar: In ganz Österreich besitzen 650.112 unselbstständig beschäftigte Menschen keine österreichische Staatsbürger:innenschaft und sind daher von demokratischen Prozessen ausgeschlossen.
In Blogbeitrag 3 ging es um die Folgen eines radikalen Einwanderungsstopps – so wie er häufig von Populist:innen gefordert wird – für die demografische Entwicklung in Österreich.
Insgesamt leben in Österreich 1,1 Millionen Personen im wahlfähigen Alter, die aber keine österreichischen Staatsbürger:innen sind und damit weder aktiv noch passiv an Wahlen teilnehmen dürfen. Obwohl der Anteil in den Bundesländern unterschiedlich groß ist, so ist auch in den Bundesländern mit den niedrigsten Werten bereits jede:r Zehnte betroffen. Besonders hoch ist der Anteil in Wien: Mit 1.1.2021 waren laut Statistik Austria alleine in Wien rund 31% der Bevölkerung aufgrund der fehlenden österreichischen Staatsbürger:innenschaft von der Teilhabe an der österreichischen Demokratie ausgeschlossen.

Nur 35% der Menschen mit Migrationshintergrund besitzen die österreichische Staatsbürger:innenschaft und dürfen wählen. Der überwiegende Teil lebt als sogenannte Zweite Generation in Österreich, wurde teilweise auch hier geboren, jedoch oftmals mangels Staatsbürger:innenschaft ohne aktivem und passivem Wahlrecht.
Österreichs Staatsbürger:innenschaftsgesetz ist eines der strengsten in der Europäischen Union. Bei uns ist die Vergabe der Staatsbürger:innenschaft an Kinder an die Staatszugehörigkeit der Eltern gekoppelt. Das führt dazu, dass viele Menschen die hier geboren und aufgewachsen sind, keine Staatsbürger:innenschaft haben. Personen, die die Staatsbürger:innenschaft beantragen möchten, müssen sich mindestens 10 Jahre rechtmäßig und ununterbrochen in Österreich aufhalten. Eine dritte Hürde sind die sehr hohen Kosten und die Einkommensschwelle, die vielen Menschen das Erlangen der österreichischen Staatsbürger:innenschaft verunmöglicht.
Bleibt die Gesetzeslage wie sie aktuell ist, verschärft sich das Demokratie- und Repräsentationsproblem weiter: Die Zahl der Menschen, die in Österreich leben, aber keine österreichische Staatsbürger:innenschaft haben, wird bis 2045 um 28% steigen. Es wären dann 2,3 Millionen Personen, die zwar hier leben und arbeiten sich aber nicht an den politischen Prozessen der Republik beteiligen können.
Demokratische Rechte und Repräsentation in zentralen Entscheidungsgremien sind wesentliche Elemente moderner Demokratien. Die aktuelle Gesetzeslage muss also dringend geändert werden: Es gilt das Wahlrecht von der Staatsbürger:innenschaft zu entkoppeln und den Zugang zur österreichischen Staatsbürger:innenschaft für Menschen die hier geboren wurden, leben oder arbeiten endlich zu erleichtern.

Für alle die lieber Zuhören als Lesen, hat Nikolaus Kowall eine neue Folge von „Kowall redet Tacheles“ aufgenommen.

Zum Weiterlesen:
AMS (2022): Demografische Entwicklung und Prognose der Erwerbspersonen bis 2050.
BMAGSK (2019): Demographischer Wandel – geänderte Rahmenbedingungen für den Sozialstaat?
Neuhauser, Johanna (2022): „Wo ist das Gesetz?“ – Versäumnisse und Handlungsbedarfe in der Regulierung prekärer Leiharbeit von Migrierten.
Statistik Austria (2022): Bevölkerungsstatistik.
Türk, Erik (2022): Über Lebenserwartungen, warum auch beim Sterben nicht alle gleich sind und was daraus für die Pensionspolitik folgt, A&W Blog.
Tamara, Ehs (2018): Wien wählt (nicht): Demokratische Beteiligung 1918-2018.

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