Marie Jahoda

* 26. Jänner 1907 in Wien
† 28. April 2001 in Keymer, Sussex, GB
auch Marie Jahoda-Lazarsfeld
Pseudonym: M. Mautner
Jahoda war eine österreichische Sozialforscherin und Sozialpsychologin

Leben

26. Jänner 1907

1918 – 1926

1924 – 1926

1924 – 1934

1926 – 1928

1926 – 1932

1927

1928 – 1929

1929 – 1930

1930

1931 – 1932

1931 – 1935

1932

1932 – 1933

1932 – 1933

1933 – 1934

1934 – 1936

1935 – 1936

1936 – 1937

1937 – 1945

1937 – 1940

1938 – 1944

1940 – 1944

1941 – 1943

1945

1945 – 1948

1948 – 1949

1949 – 1958

1958 – 2001

1958 – 1994

1958 – 1973

1965 – 1978

1971 – 1995

1993 – 1998

28. April 2001

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GEBURTSTAG

Geboren als drittes von vier Kindern in Wien.

Vater: Carl Jahoda (Wien 1867 – Wien 1926), Kaufmann.

Mutter: Betty Jahoda, geb. Propst (Dobromyl, Galizien 1881 – New York 1967)

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SCHULZEIT IN WIEN

Besuch des Mädchen-Realgymnasiums des Vereines für realgymnasialen Mädchenunterricht in Wien 8; Matura 1926.

Engagement im VSM

Beitritt 1924 zum „Verband sozialistischer Mittelschüler“; Vorsitzende im Schuljahr 1925/26. 1926 Sekretärin des landesweiten „Bundes Sozialistischer Mittelschüler“. In dieser Zeit Beitritt zur „Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Deutschösterreichs„.

Politisches Engagement im roten Wien

Politische Aktivitäten innerhalb der Sozialdemokratie: Stellvertretende Sekretärin des Vereins „Arbeitskreis sozialistischer Pädagogen“ (1929-1934), Referentin bei sozialdemokratischen Frauenvereinen im Rahmen der „Sozialistischen Bildungszentrale“ (1930-1934), Bibliothekarin der Arbeiterbücherei im Karl-Marx-Hof (1930-1934).

Ausbildung zur Volksschullehrerin

Besuch des Hochschulmäßigen Lehrerbildungskurses des Pädagogischen Instituts der Stadt Wien; 1928 Diplom als provisorische Volksschullehrerin, weibliche Handarbeitslehrerin an Volks- und Bürgerschulen sowie Kindergärtnerin.

Studium der Psychologie

Studium der Psychologie und zeitweise Germanistik an der Universität Wien.

HEIRAT

Ehe mit dem Soziologen Paul Felix Lazarsfeld (Wien 1901 – New York 1976); 1934 geschieden

Forschungsaufenthalt in Paris

Einjähriger Aufenthalt in Paris, sie besuchte Sprachkurse und arbeitete als Übersetzerin und Sekretärin der Sozialistin Angelica Balabanoff (1878–1965). Im Sommer 1929 verbrachte sie zwei Monate als Privatlehrerin in Étretat, Seine-Maritime.

Erste Berufserfahrung

Projektmitarbeiterin bei Gustav Ichheiser (1897-1969) am Berufsberatungsamt der Stadt Wien und der Niederösterreichischen Arbeiterkammer in Wien. Es wurden vierzehnjährige Schulabgänger auf ihre spezielle Berufseignung hin getestet und beraten.

GEBURT DER TOCHTER

Lotte Franziska Lazarsfeld wird 1930 geboren; seit 1952 verheiratete Bailyn, Sozialpsychologin, Professor of Management an der MIT Sloan School of Management.

DIE ARBEITSLOSEN VON MARIENTHAL

Führend beteiligt an der Studie „Die Arbeitslosen von Marienthal“ im niederösterreichischen Gramatneusiedl.

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An der Wirtschaftspsychologischen Forschungsstelle

Seit 1931 gelegentliche Mitarbeiterin, seit 1932 halbtägig Angestellte der von ihrem Mann Paul F. Lazarsfeld (1901-1976) initiierten, mit dem Psychologischen Institut der Universität Wien verbundenen „Österreichischen Wirtschaftspsychologischen Forschungsstelle“ in Wien, seit Jänner 1934 gemeinsam mit Gertrude Wagner (1907-1992) wissenschaftliche Leiterin.

PROMOTION

Dr. phil. (Psychologie); Betreuer: Karl Bühler (1879-1963) und Robert Reininger (1869-1955); Dissertation: Anamnesen im Versorgungshaus (Ein Beitrag zur Lebenspsychologie).

Psychoanalyse

Vierzehnmonatige Psychoanalyse bei Heinz Hartmann (1884-1970) in Wien.

Mitarbeit am Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum in Wien

Mitarbeiterin am „Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum in Wien“ von Otto Neurath (1882-1945).

Aushilfslehrerin in Wien

Aushilfslehrerin an verschiedenen Volks- und Hauptschulen Wien; im November 1934 als Sozialdemokratin nicht weiterbeschäftigt.

www.dasrotewien.at

Politische Arbeit im Untergrund

Illegale Tätigkeit innerhalb der sozialdemokratischen und sozialistischen Bewegung: Mitglied der „Gruppe Funke“, seit 1935 enge Zusammenarbeit mit dem Obmann der illegalen „Revolutionären Sozialisten Österreichs“ Joseph Buttinger (1906-1992).

Leiterin der Wirtschaftspsychologische Forschungsstelle

Nach Auflösung des Vereins „Österreichische Wirtschaftspsychologische Forschungsstelle“ Neugründung als „Arbeitsgemeinschaft der Mitarbeiter der Österreichischen Wirtschaftspsychologischen Forschungsstelle“ als Gesellschaft nach Bürgerlichem Recht und alleinige Leiterin.

Politische Gefangenschaft

Im November 1936 wegen illegaler Tätigkeit verhaftet; Schließung der „Arbeitsgemeinschaft der Mitarbeiter der Österreichischen Wirtschaftspsychologischen Forschungsstelle“, welche den „Revolutionären Sozialisten Österreichs“ als Poststelle gedient hatte. Inhaftierung bis zum Prozess am 2. Juli 1937: Wegen Einrichtung einer Poststelle für eine verbotene Organisation zu drei Monaten Kerker verurteilt. Nach internationalen Protesten – unter anderem durch Léon Blum (1872-1950), Alexander Farquhardson (1864-1951) und Margery Fry (1874-1958) – vorzeitige Freilassung am 15. Juli 1937 unter der Bedingung, Österreich zu verlassen.

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Exil in Großbritannien

1938-1940 lebte Jahoda in Bristol. Im Zuge der Räumung der Küstengebiete von Ausländern wegen der befürchteten Invasion deutscher Truppen 1940 Übersiedlung nach Street, Somerset. Nachdem sie auch Street aus demselben Grund verlassen musste, Übersiedlung nach London.

Freischaffende Sozialwissenschaftlerin

Studie zu Bergleuten in Wales. Untersuchung eines Selbsthilfeprojekts der „Subsistence Production Society“ arbeitsloser Bergleute im südwalisischen Eastern Valley (vor allem in Cwmavon, Abersychan und Abergavenny). Auf Deutsch (1989): Arbeitslose bei der Arbeit. Die Nachfolgestudie zu „Marienthal.“ Davor und danach Aufenthalt in London. Probleme der Fabriksarbeit. Studie „Socio-Psychological Problems in a Factory“ im Rahmen des ihr für drei Jahre zuerkannten Pinsent-Darwin Studentship of Cambridge University.

Markt- und Meinungsforschung in England

Market-Researcher bei der Möbelfirma P.E. Gane Ltd. in Bristol. 1939 Researcher beim „University of Bristol Social Survey“ in Bristol. 1944 Angestellte des Research Co-ordination Department der Firma Marks and Spencer Ltd. in London.

Meinungsforschung im Krieg

Assistant Editor beim „War-time Social Survey“ und später Mitarbeit beim National Institute of Social and Economic Research in London.

Geheimsender Radio Rotes Wien

Redakteurin und Sprecherin beim Geheimsender „Radio Rotes Wien“ in Woburn bei London im Rahmen des British Foreign Office.

Umzug in die USA

Übersiedlung in die USA. Lebte zunächst in Detroit, Michigan, dann in Manhasset, N.Y. ab 1947 in New York, N.Y.

Freischaffende Sozialwissenschaftlerin

Research Associate bei Max Horkheimer (1895-1973) am Department of Scientific Research des „American Jewish Committee“. Beginn der Zusammenarbeit mit Stuart Wellford Cook (1913-1993).

Columbia Universität New York

Research Associate bei dem von ihrem geschiedenen Ehemann Paul F. Lazarsfeld (1901-1976) gegründeten Bureau of Applied Social Research der Columbia University in New York, N.Y. Enge Zusammenarbeit mit „Robert K. Merton (1910-2003).

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Professorin an der New York University

Associate, dann Full Professor of Psychology an der New York University in New York, N.Y. Seit Herbst 1957 Sabbatical Year (Karenz-Urlaubsjahr), Aufenthalt in London bei ihrem späteren Ehemann Austen Albu.

Zurück in England

Lebte in London, seit den 1960er-Jahren in Keymer, Sussex. 1962 Annahme auch der britischen Staatsbürgerschaft

Zweite Ehe

Ehe mit dem Ingenieur und Labour-Politiker“ Austen Harry Albu (London 1903 – Firgrove, Rochdale 1994).

Professorin an der University of Sussex

Professor of Social Psychology an der University of Sussex in Falmer, Brighton. Aufbau des ersten Department of Social Psychology in Großbritannien. 1973 emeritiert.

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Tätigkeiten als Politikberaterin

Zahlreiche Nebenbeschäftigungen: unter anderem Mitglied des britischen „Social Science Research Council“ (1965-1970), des Advisory Committee des „Home Secretary on Race Relations Research“ (1968-1973), des „Council for Science Policy“ (1970-1971), des „Genetic Manipulation Advisory Committee“ (1976-1978).

Interdisziplinäre Forschungsstelle in Sussex

Senior Research Consultant, seit 1985 Visiting Professor der „Science Policy Research Unit„, einer interdisziplinären Einrichtung der University of Sussex.

Marie Jahoda mit Josef Hesoun. © AGSÖ

Anerkennung

Marie Jahoda wurde für ihre wissenschaftliche Arbeit und politisches Engagement mit vielen Ehrungen ausgezeichnet. Ehrendoktorate der Universitäten Sussex (1973), Leicester (1973), Bremen (1985), Sterling (1988), Linz (1998), Wien (1998).

Weitere Auszeichnungen: Commander of the Order of the British Empire (C.B.E.), der höchste britische Titel (1975), Kurt Lewin Memorial Award Granted by The Society for the Psychological Study of Social Issues (1980), Viktor-Adler-Plakette der Sozialistischen Partei Österreichs (1984), Preis der Stadt Wien für Geistes- und Sozialwissenschaften (1993), Großes Silbernes Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich (1993), Errichtung einer »Marie-Jahoda Professur, Internationale Gastprofessur für Frauenforschung« an der Ruhr-Universität Bochum (1994), Bruno Kreisky-Preis für das politische Buch (1998).

TODESTAG

Gestorben in Keymer, Sussex.

Marie Jahoda Edition

  • Marie Jahoda: Rekonstruktionen meiner Leben

    Marie Jahoda: Rekonstruktionen meiner Leben

    „Rekonstruktionen meiner Leben“ ist der Titel der Autobiografie der in Wien geborenen Sozialpsychologin Marie Jahoda (1907-2001).

  • Akteneinsicht: Marie Jahoda in Haft

    Akteneinsicht: Marie Jahoda in Haft

    Verfolgt im Austrofaschismus: Die erste Aufarbeitung des Gerichtsakts von Marie Jahoda Die Sozialpsychologin Marie Jahoda (1907–2001) saß 1936/37 neun Monate in Haft. Ihr Verbrechen war, als Revolutionäre Sozialistin die Diktatur […]

  • Marie Jahoda: Arbeitslose bei der Arbeit & Aufsätze und Essays

    Marie Jahoda: Arbeitslose bei der Arbeit & Aufsätze und Essays

    Arbeitslose bei der Arbeit Fünf Jahre nach dem Erscheinen von „Die Arbeitslosen von Marienthal“ und nur ein Jahr nachdem sie aus Österreich ausgebürgert worden war, entstand 1938 im englischen Exil […]

  • Marie Jahoda: Lebensgeschichtliche Protokolle der arbeitenden Klassen

    Marie Jahoda: Lebensgeschichtliche Protokolle der arbeitenden Klassen

    Lebensgeschichtliche Protokolle der arbeitenden Klassen Die österreichische Sozialforscherin und Sozialpsychologin Marie Jahoda (1907-2001) ist weltweit als Koautorin der Studie „Die Arbeitslosen von Marienthal“ bekannt. Der Blick auf die alltäglichen Sorgen der Menschen […]

Forschung

Die soziale Bedeutung von Arbeit

Als Sozialpsychologin entwickelt Marie Jahoda ein breites Verständnis von Arbeit. Arbeit versteht sie nicht nur als ökonomische Notwendigkeit, sondern als „das innerste Wesen des Lebendigseins“. Arbeit ist mehr als Erwerbstätigkeit, dazu gehören auch Kindererziehung, Hausarbeit oder Schwarzarbeit. Die Erfahrung der Arbeit, so betont Jahoda, befriedigt tiefliegende menschliche Bedürfnisse, auch wenn sie mit Mühsal und unter schlechten Bedingungen ausgeführt werden muss. „Gleichgültig, ob man die Arbeit liebt oder hasst, sie ist in modernen Industriestaaten so organisiert, dass sie das tägliche Leben und Erleben der Beschäftigten notwendigerweise zutiefst beeinflusst.

Das Phänomen des Nationalismus

„Wie ist die Anziehungskraft brutaler nationalistischer Bewegungen auf so viele Menschen zu erklären?“ Diese Frage stellt Marie Jahoda in den 1990er Jahren als nationalistische Bewegungen zusehends an politischer Bedeutung gewinnen. Die kulturelle oder nationale Identität als Teil der Persönlichkeit kann vor allem in Zeiten gesellschaftlicher Veränderung und Unsicherheit angesprochen werden, wenn andere Teile der Selbstdefinition wie Beruf oder Familie in Frage gestellt sind. Dass charismatische Führer diese Umstände ausnutzen und so Erfolg haben sieht sie als eine Gefahr für die Gesellschaften. Sie warnt, dass der Nationalismus in seiner gegenwärtigen Form die Weltprobleme verschärft.

Konformismus. Über ein Phänomen im Schatten von Maßnahmen zur Erhöhung der inneren Sicherheit.

In vielen europäischen Gesellschaften fühlen sich Menschen von globalen Wanderungsbewegungen, von religiösen Extremisten und jüngst auch von einer unkontrolliert sich verbreitenden Corona-Pandemie bedroht. Staaten reagieren und bereiten eine Vielfalt von Maßnahmen zur Abwehr dieser Gefahren vor. Diese sind allerdings häufig mit Einschränkungen der Grundrechte verbunden. Bemerkenswert – und wohl auch erschreckend – ist in diesem Zusammenhang, dass beträchtliche Teile der Bevölkerungen bereit sind, den damit verbundenen Abbau von demokratischen Rechten ohne besondere Bedenken zur Kenntnis zu nehmen.

„Lebensnahe Forschung“ als Prinzip

Marie Jahoda ging es darum, die reale Welt und ihre Probleme als Herausforderung zu betrachten und mit ihrer Forschung dazu beizutragen, dass diese Welt durch gemeinsame Anstrengung ein wenig lebenswerter gemacht wird. Jahoda bezog sich in ihrer Arbeit stets auf aktuelle gesellschaftliche Probleme, sie wollte das Unsichtbare sichtbar machen. Ihr Zugang der lebensnahen Forschung anerkennt, dass die Realität des Individuellen untrennbar mit der Realität der sozialen Welt verknüpft ist. Denn als Sozialpsychologin sieht sie es als zentrale Herausforderung die soziale Struktur und das Individuum gleichzeitig zu verstehen.

Im Gespräch

Marie Jahoda: Im Kampf gegen den Austrofaschismus.

Marie Jahoda (1907–2001) schildert den Schock, den die standrechtliche Hinrichtung eines Bekannten durch das Dollfuß-Regime im Februar 1934 bei ihr auslöste, und ihre Inhaftierung im austrofaschistischen „Ständestaat“.

Marie Jahoda: Ganz Österreich war in zwei Weltanschauungslager gespalten.

Die Sozialwissenschaftlerin Marie Jahoda (1907–2001) schildert ihr Aufwachsen in einer jüdischen Familie in Wien, ihr politisches Engagement und berichtet von der Entstehung ihrer gemeinsam mit Paul Lazarsfeld und Hans Zeisel verfassten bahnbrechenden Studie „Die Arbeitslosen von Marienthal“.

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Interview mit Marie Jahoda 1997 (Englisch) Part 1

This is a video interview of Marie Jahoda from a 1997 community psychology class hosted by Jim Kelly. The interviewer is Dr David Fryer. It is part of a series created by Dr Kelly on the History of Community Psychology.

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Interview mit Marie Jahoda 1997 (Englisch) Part 2

This is a video interview of Marie Jahoda from a 1997 community psychology class hosted by Jim Kelly. The interviewer is Dr David Fryer. It is part of a series created by Dr Kelly on the History of Community Psychology.