In unserem letzten Blogeintrag haben wir uns mit der Frage beschäftigt, wie viele Menschen in Österreich arbeiten, aber nicht an demokratischen Entscheidungsprozessen teilnehmen dürfen. Diesmal beschäftigen wir uns mit der Frage, welche Auswirkungen ein radikaler Einwanderungsstopp – so wie er häufig von Populist*innen gefordert wird – auf unser Sozialsystem hätte.
Österreich ist ein Einwanderungsland. Aus diesem Faktum wird seit Jahrzehnten versucht, politisches Kleingeld zu schlagen. Es lohnt sich daher einen näheren Blick auf die Bedeutung der Migration für die österreichische Gesellschaft zu werfen. Diese wird anhand der demographischen Entwicklung in Österreich deutlich: Der Durchschnitt der Geburten pro 1.000 Einwohner*innen lag in den 1960er Jahren bei fast 18 Kindern. 1963 gab es den Höchststand mit 18,7 Geburten pro 1.000 Einwohner*innen. Die in diesen geburtenstarken Jahrgängen geborene Generation wird heute als „Baby Boomer“ bezeichnet. Ab 1965 fiel die Geburtenrate sukzessive ab, während die Sterberate zu steigen begann. 1975 markiert das Jahr in dem die Sterberate die Geburtenrate überholte. Seither halten sich beide in etwa die Waage. Das liegt auch an der steigenden Lebenserwartung. Die Daten für 2020 zeigen mehr Todesfälle als Geburten, das ist auf die spezielle Situation in der COVID-19-Pandemie zurückzuführen.
Das demografische Maß des „Bestanderhaltungsniveaus“ bezeichnet die Zahl an Kindern, die geboren werden muss, damit sich die Bevölkerung eines Landes „natürlich“ erhält. Es liegt bei 2 Kindern pro Frau. In Österreich wurde das Bestanderhaltungsniveau ab 1973 unterschritten. Die Fertilitätsrate sank seither kontinuierlich ab und stagniert seit 1985 bei etwa 1,4 Geburten pro Frau. Ohne Zuwanderung führt das in Kombination mit der ansteigenden Lebenserwartung zu einer kontinuierlichen Überalterung der Gesellschaft.
Populist*innen fordern oft einen radikalen Einwanderungsstopp. Aber welche Auswirkungen hätte der auf die demografische Entwicklung in Österreich? Wir haben versucht aus den vorhandenen Daten der Statistik Austria entsprechende Szenarien zu modellieren:
Hätte es seit 1961 keine Zuwanderung gegeben, wäre die österreichische Bevölkerung stagniert und gleichzeitig überaltert. Tatsächlich ist sie aber – dank Zuwanderung – um ca. 2 Millionen gestiegen. Ein radikaler Einwanderungsstopp hätte also massive Probleme für die Volkswirtschaft mit sich gebracht. Beispielsweise wären das Sozialversicherungssystem und Pensionen nicht mehr zu finanzieren und am Arbeitsmarkt würde massiver Arbeitskräftemangel herrschen.
Hätte es seit 2005 keine Zuwanderung mehr gegeben würde die Bevölkerungspyramide in Österreich eher einer Urne gleichen. Der Bevölkerungsstand würde von heute 9,2 Millionen bis 2075 auf 5,5 Millionen Menschen sinken. Die Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter würde sich auf 2,5 Millionen halbieren. Der Anteil der über 60-jährigen würde von heute 22% bis 2075 auf 42% ansteigen. Akuter Arbeitskräftemangel und eine Vergreisung der Gesellschaft wären also die Folge.
Zusammenfassend lässt sich also festhalten: Ohne Migration wäre die Bevölkerung in Österreich massiv geschrumpft und überaltert. Abgesehen davon, dass jeder Mensch das Recht haben sollte, sich den Wohnort aussuchen zu können, hätte ein – wie von rechten Populist*innen geforderter – Einwanderungsstopp gravierende Folgen, etwa in Bezug auf den Arbeitsmarkt oder auf unseren Sozialstaat. Wie die Menschen, die nach Österreich eingewandert sind, leben und arbeiten, haben wir uns in unserem letzten Blog-Eintrag genauer angesehen.
Für alle die lieber Zuhören als Lesen, hat Nikolaus Kowall eine neue Folge von „Kowall redet Tacheles“ aufgenommen.
Zum Weiterlesen:
AMS (2022): Demografische Entwicklung und Prognose der Erwerbspersonen bis 2050.
BMAGSK (2019): Demographischer Wandel – geänderte Rahmenbedingungen für den Sozialstaat?
Neuhauser, Johanna (2022): „Wo ist das Gesetz?“ – Versäumnisse und Handlungsbedarfe in der Regulierung prekärer Leiharbeit von Migrierten.
Statistik Austria (2022): Bevölkerungsstatistik.
Türk, Erik (2022): Über Lebenserwartungen, warum auch beim Sterben nicht alle gleich sind und was daraus für die Pensionspolitik folgt, A&W Blog.
Tamara, Ehs (2018): Wien wählt (nicht): Demokratische Beteiligung 1918-2018.