„Schnell erklärt“ ist die Kolumne des Marie Jahoda – Otto Bauer Instituts in der Neuen Zeit. Von Nora Waldhör.
Die Erbschaftssteuer wurde in Österreich 2008 abgeschafft, Vermögenssteuern gibt es sowieso nicht und die Gewinnsteuer für Unternehmen soll ab 2023 gesenkt werden. Gleichzeitig wird in öffentlichen Debatten – häufig im Zusammenhang mit der Sozialhilfe oder der Arbeitslosenversicherung – immer wieder ein Bild von „faulen, arbeitslosen Menschen“ gezeichnet, zu denen der Sozialstaat zu großzügig ist und die es sich in der „sozialen Hängematte“ gemütlich gemacht haben. Das ist nicht nur ungerecht und menschenverachtend, sondern entspricht auch nicht der Realität.
Wer kann sich noch an den Sager von Sebastian Kurz im Zuge der Sozialhilfe-Reform 2019 erinnern, als er meinte, dass immer mehr Kinder in ihren Familien die einzigen seien, die in der Früh aufstehen, um in die Schule zu gehen? Er meinte damit, dass die Eltern keinen Beitrag zur Gesellschaft leisten und von Sozialhilfe leben. In öffentlichen Debatten wird seit Langem dieses Bild von „faulen“, arbeitslosen Menschen geschürt, die es sich in der „sozialen Hängematte“ gemütlich machen und mit Sozialleistungen, wie etwa der Sozialhilfe, ein schönes Leben führen.
Laut Zahlen der Statistik Austria hat diese Erzählung allerdings mit der Lebensrealität von Sozialhilfebezieher:innen nichts zu tun. Denn die größte Personengruppe unter den Leistungsbezieher:innen sind Kinder unter 14 Jahren und sogenannte Aufstocker:innen. Außerdem zeigen uns Statistiken, dass die durchschnittliche Sozialhilfe sehr niedrig ist – von ungerechtfertigtem Wohlstand in der „sozialen Hängematte“ kann daher keine Rede sein!
Der Großteil der Sozialhilfe-Bezieher:innen sind Kinder
Ein Blick in die Statistik verrät, dass im Jahr 2020 im Monatsschnitt 207.122 Personen in 107.970 Bedarfsgemeinschaften Leistungen aus der Sozialhilfe bezogen haben. In 74.970 dieser Bedarfsgemeinschaften erhielten Bezieher:innen jedoch nicht den vollen Bezug in der Höhe von 978 Euro, sondern lediglich einen Teilbetrag. Der durchschnittliche monatliche Bezug pro Person betrug österreichweit 365 Euro.
Wobei es hier sehr große Unterschiede zwischen den Bundesländern gibt: In Wien erhielten Leistungsbezieher:innen durchschnittlich 384 Euro pro Monat, in Oberösterreich hingegen lediglich 293 Euro pro Person und Monat.
Der Grund warum der Großteil der Bezieher:innen nicht den vollen Betrag bekommt: Viele Menschen beziehen ein Einkommen oder eine andere Sozialleistung – etwa Arbeitslosengeld oder Pension – die unterhalb des Sozialhilfe-Betrages von 978 Euro liegt. Sie bekommen die Differenz bis zum Sozialhilfe-Höchstbetrag ausbezahlt, also „aufgestockt“.
Unter allen Sozialhilfe-Bezieher:innen stellen Kinder unter 14 Jahren mit 57.469 Personen, also rund 29 %, die größte Personengruppe. Auch Frauen sind deutlich häufiger auf Leistungen der Sozialhilfe angewiesen als Männer. Das liegt daran, dass viele Frauen aufgrund von Pflege- und Betreuungspflichten, die traditionellerweise dem weiblichen Geschlecht zugeschrieben werden, nicht vollständig am Arbeitsmarkt teilnehmen können. Außerdem verdienen Frauen in Österreich auch im Jahr 2022 immer noch um knapp 20 % weniger als Männer. Frauen sind während dem Erwerbsleben häufiger von Armut betroffen und rutschen spätestens mit Antritt der Pension in manifeste Armut ab.
In öffentlichen Debatten entsteht außerdem oft der Eindruck, dass es sich bei den Ausgaben für die Sozialhilfe um sehr hohe Kosten für den Staat handelt. Aber auch hier zeigt uns ein Blick in die Statistik, dass pro Jahr lediglich 959 Mio. Euro für die Sozialhilfe ausgegeben werden. Das sind weniger als 1 Prozent aller Sozialausgaben. In diesem Zusammenhang ist schlicht unfassbar, dass Armut in einem reichen Land wie Österreich in Kauf genommen wird, während gleichzeitig auf Steuereinnahmen in Milliardenhöhe verzichtet wird.
Denn Österreich verzichtet jährlich auf – vorsichtig geschätzte – 500 Mio. bis 1 Mrd. Euro, weil im Jahr 2008 die Erbschaftssteuer abgeschafft wurde. Ab 2023 verzichtet Österreich jährlich zusätzlich auf etwa 800 Mio. Euro, weil die Gewinnsteuer für Unternehmen gesenkt wird.
Tax the rich!
Wir sollten endlich damit aufhören, immer nach unten zu treten und ohnehin verwundbare Mitglieder unserer Gesellschaft durch Kürzungen weiter in den finanziellen Abgrund und durch Stigmatisierung an den Rand unserer Gesellschaft zu treiben. Denn während wir das tun, werden die Superreichen in diesem Land noch reicher. In Österreich wird nämlich nicht – wie so oft behauptet – Leistung belohnt. Im Gegenteil: Belohnt werden jene, die ohnehin schon viel haben, weil sie in die „richtigen“ Familie geboren wurden und für ihr Erbe keine Erbschafts- und Vermögenssteuern zahlen müssen.
Nicht etwa die Frau, die ihr Leben lang in schlechtbezahlten, systemrelevanten Jobs wie der Reinigung oder dem Handel gearbeitet hat und währenddessen auch noch privat Kinder großgezogen hat – und deshalb im Alter von Altersarmut betroffen und daher auf die Sozialhilfe angewiesen ist.
Unser Problem ist vielmehr die Tatsache, dass der Staat jährlich auf große Summen an Steuergeld verzichtet, weil es keine Vermögens- und Erbschaftssteuern gibt und die türkis-grüne Bundesregierung ab 2023 obendrein die Unternehmens-Steuern senkt.
Zum Weiterlesen:
Arbeiterkammer Wien & Marie Jahoda – Otto Bauer Institut (2020): Kapital und Ideologie, online unter: https://jbi.or.at/portfolio/thomas-piketty-kapital-und-ideologie/
Arbeiterkammer Wien & Marie Jahoda – Otto Bauer Institut (2021): Ungerechte Verteilung: Wie Ungleichheit unser Leben prägt, online unter: https://jbi.or.at/portfolio/ungerechte-verteilung/
Marie Jahoda Otto Bauer Institut: www.verteilung.at