„Wo ist das Gesetz?“ – Versäumnisse und Handlungsbedarfe in der Regulierung prekärer Leiharbeit von Migrierten

by Johannes Rendl

Studienergebnisse zeigen, dass das „Geschäftsmodell Leiharbeit“ auf der Ausbeutung migrantischer Arbeitskräfte basieren kann. Das wirft Fragen nach politischen Versäumnissen und Handlungsbedarfen auf. Von Johanna Neuhauser. Zur PDF-Version.

In einer aktuellen explorativen Studie der Universität Wien wurden anhand von qualitativen Interviews mit 15 ehemaligen migrantischen Leiharbeiter*innen bei Hygiene Austria und im Postverteilerzentrum Inzersdorf in Wien die prekären und gesundheitsgefährdenden Arbeitsbedingungen dieser „Systemerhalter*innen“ untersucht. Zusätzlich wurden Expert*innen der Arbeitnehmer*innen- und -geberseite, des Arbeitsinspektorats sowie des Arbeitsministeriums befragt. Die untersuchten Beispiele zeigen: Das „Geschäftsmodell Leiharbeit“ beruhte auf der Ausbeutung migrantischer Arbeitskräfte, die sich unter anderem durch überlange und unplanbare Arbeitszeiten, Lohndiebstahl und gesundheitliche Gefährdung auszeichneten. Die Studie wirft damit die Frage nach politischen Versäumnissen und Handlungsbedarfen auf, die auch von den Befragten selbst thematisiert wurden:

„Ich frag mich immer, wo ist das Gesetz? Das ist keine kleine Firma, das ist Palmers, das ist eine berühmte Firma. […] Wie konnte Sebastian Kurz, […] wie konnte er zwei oder drei Mal dort sein und in dieser Halle waren die Hälfte der Arbeiter schwarz [beschäftigt]? […] Wie kann das in Österreich passieren? Das verstehe ich nicht. […] Wie konnten sie sicher sein, dass alle still bleiben? Das verstehe ich nicht. Und die Medien waren zwei oder drei Mal […] schon dort und sie haben Videos aufgenommen wie die Firma ist, wie zufrieden die Arbeiter sind und wie die Sicherheit dort ist. Es gibt überhaupt keine Sicherheit dort. Wenn ich diese Arbeit mit meinen Füßen betrete, dann vergesse ich Österreich und erinnere mich an den Irak […].“

Der 34-jährige Iraker, der 2015 nach Österreich geflüchtet ist und bei Hygiene Austria als Leiharbeiter gearbeitet hat, problematisiert damit, dass auch in Österreich massive Arbeitsrechtsverletzungen für längere Zeit weitgehend unbemerkt existieren konnten. Dass dies nicht nur in den untersuchten Beispielen, sondern auch in anderen Bereichen mit hohen Anteilen an Personen mit Migrationshintergrund der Fall ist, zeigen auch Erfahrungen in der Paketzustellung, dem Tourismus, der Landwirtschaft oder der 24-Stunden- Betreuung. Die häufigste Antwort der Interviewten auf die Frage, was sich auf politischer Ebene ändern müsste, damit sich ihre Arbeitsbedingungen bessern würden, ist die Verstärkung von Kontrollen der Unternehmen. Denn da es keine Kontrollen über die Firmen gebe, sind unsere Interviewten überzeugt, „arbeiten sie, wie sie wollen, kündigen, wen sie wollen“, wie ein Leiharbeiter aus dem Postverteilzentrum berichtete.

Verstärkung von Kontrollen
Auch die interviewten Expert*innen sind sich einig, dass Kontrollen zentral sind, um Arbeitsrechtsverletzungen wie in den untersuchten Fällen zu unterbinden. Denn, wie eine Arbeitsrechtsexpertin der Arbeiterkammer problematisiert, gebe es zwar auf der EU- und der nationalen Ebene entsprechende Gesetze wie die Entsenderegelung oder das Lohndumpingbekämpfungsgesetz: „Nur das ist halt die Theorie und in der Praxis sieht es anders aus. Was es braucht, damit es besser funktioniert, sind einfach Kontrollen. Es gibt aber zu wenige, weil es gibt bei den Kontrollbehörden viel zu wenig Personal.“ Insbesondere der Fall Hygiene Austria bestätigt diese Einschätzung. Dort wurden zwar Kontrollen durch das Arbeitsinspektorat durchgeführt, die dem Unternehmen jedoch die Einhaltung der Standards bestätigten. Das lag laut der interviewten Expertin im Arbeitsinspektorat daran, dass dem Arbeitsinspektor der Zugang zu einem Teil der Produktion und dem „berühmten Kellerraum“, in dem die massivsten Verletzungen des Arbeitnehmer*innenschutzes stattgefunden haben, verwehrt wurde. Dass man „einen Arbeitsinspektor schon auch an der Nase herumführen“ kann, zeigen die Schilderungen der Interviewten überdeutlich. Es wirft vor allem aber auch die Frage auf, wie weitreichend Kontrollen sind, wenn diese vorrangig dann stattfinden, wenn es einen konkreten Anlass dafür gibt – wie z.B. im Falle eines Arbeitsunfalls – jedoch die Ressourcen fehlen, um sogenannte „Übersichtskontrollen“ durchzuführen. Denn 300.000 Betrieben in Österreich stehen der interviewten Arbeitsinspektorin zufolge lediglich 300 Arbeitsinspektor*innen gegenüber. Der befragte Mitarbeiter im Arbeitsministerium wird noch deutlicher, wenn er einräumt, dass beginnend mit dem Jahr 2000 das Arbeitsinspektorat mehr oder weniger von einer Kontrollbehörde zu einer Service-Behörde umstrukturiert worden ist und „sicher schon einmal effizienter“ gewesen sei. Es habe sich um eine politische Vorgabe gehandelt, mehr beratende als kontrollierende und bestrafende Tätigkeiten durchzuführen.

Aus den dargestellten Versäumnissen kann die zentrale politische Forderung nach mehr Ressourcen und dabei insbesondere Personal für die Kontrollbehörden gefolgert werden, damit Kontrollen des Arbeitnehmer*innenschutzes nicht nur punktuell, sondern flächendeckender ausgeübt werden können. Neben den Kontrollen der Beschäftigerbetriebe braucht es außerdem eine verstärkte Prüfung der Leiharbeitsfirmen. Wenn beispielsweise im Fall der Hygiene Austria eine Leihfirma die Berechtigung für Personalüberlassung erhielt, die eigentlich ein „Reisebüro“ im 3. Bezirk betrieb, muss angezweifelt werden, ob die Prüfung der Firma vom magistratischen Bezirksamt angemessen erfolgt ist. Wie die Arbeitnehmervertreter*innen in den Interviews fordern, braucht es daher strengere Prüfungen und eine Nachbesserung der Voraussetzungen zur Vergabe von Gewerbeberechtigungen.

Regulation von Leiharbeit
In beiden Fällen wurden den befragten Leiharbeiter*innen Lohnzahlungen, die ihnen rechtmäßig zustanden, zum Teil oder vollständig vorenthalten. Ähnlich prekär waren die Arbeitszeiten: Vielfach wurden die Interviewten zu Mehrarbeit und (meist unter- oder unbezahlten) Überstunden verpflichtet. Im Falle der Arbeitnehmer*innenüberlassung wird von Unternehmensseite immer wieder betont, die Leiharbeitsfirmen seien für die Entlohnung zuständig und sie hätten keine Kenntnis von dem Lohndiebstahl gehabt. Auf die Frage, wie das stattgefundene Lohndumping bei Hygiene Austria verhindert werden hätte können, meint daher die interviewte Arbeitsrechtsexpertin der Arbeiterkammer, die Forderung nach der Generalunternehmerhaftung „müsste für jede Branche umgesetzt werden. Weil, wenn die Hygiene Austria für jeden einzelnen Arbeiter, der bei ihnen Masken verpackt oder produziert hat, einstehen würde, dann hätte die Geschichte vielleicht anders ausgeschaut“. Eine Ausweitung der Haftungsbestimmungen wird von den interviewten Vertreter*innen der Arbeitgeber*innenseite indes als nicht notwendig erachtet. Statt mehr Regulation reiche „eine Bewusstseinsmachung“. Denn man könne nicht sagen, „wenn einer ohne Führerschein unterwegs gewesen ist, werden alle Autofahrer bestraft“. Schließlich gebe es in jeder Branche „immer irgendein schwarzes Schaf, sei es jetzt eins oder zwei.“ Die Erfahrungen der Interviewten mit verschiedenen Leiharbeitsfirmen und Beschäftigerbetrieben ebenso wie die im Zuge der Forschung durchgeführte Recherche zum Geflecht an Überlasser- und Subfirmen bei der Hygiene Austria sowie im Postverteilerzentrum Inzersdorf widersprechen dieser Darstellung und zeigen, dass es sich um eine Systematik handelt, gegen die nicht nur auf individueller, sondern auf institutioneller Ebene vorgegangen werden sollte. Eine Nachschärfung bei der Auftraggeberhaftung hin zu einer Generalunternehmerhaftung für die gesamte Subunternehmerkette ist daher dringend geboten.

In beiden von uns untersuchten Fällen zeigt sich ein sehr hoher Anteil an überlassenen Arbeitskräften in Relation zur Kernbelegschaft. Dieser Trend, Stammbeschäftigte zunehmend durch Leiharbeiter*innen oder auch über Werkverträge Beschäftigte zu ersetzen, ist eine allgemeine, schon länger andauernde Entwicklung. Betriebe nützen das Flexibilisierungsinstrument der Arbeitskräfteüberlassung nicht mehr nur, um kurzfristig auf Auftragsspitzen zu reagieren, sondern als dauerhafte Alternative zur Direktbeschäftigung.

Arbeitssoziologische Studien problematisieren diesen „Funktionswandel“ von Leiharbeit, durch den Leiharbeiter*innen über längere Zeiträume hinweg zu einem festen Bestandteil von Belegschaften werden und zum Teil identische Tätigkeiten wie die Stammbeschäftigten verrichten, allerdings häufig unter unterschiedlichen Konditionen und mit einem deutlich höheren Beschäftigungsrisiko. Um Arbeitskräfteüberlassung wieder zu ihrer ursprünglichen Funktion zurückzuführen, sollte daher der Vorschlag von Arbeitnehmer*innenseite verstärkt diskutiert werden, den Anteil an Leiharbeit an die Größe des Stammpersonals zu koppeln. Daran anknüpfend wäre die Erhöhung von Übernahmequoten von überlassenen Arbeitskräften nach einem längeren Einsatz im Beschäftigerbetrieb sinnvoll, indem verbesserte Übernahmebestimmungen in den Betriebsvereinbarungen festgelegt werden.

Mehr als nur Arbeitsrecht – Aufenthaltsrecht und Antirassismus
Die Befunde verdeutlichen außerdem die Notwendigkeit, über den engen Fokus auf Erwerbsarbeit hinaus, die umfassenden Lebensbedingungen prekär beschäftigter Migrant*innen in den Blick zu nehmen. Um Strategien zur Verbesserung von Arbeitsbedingungen in der Arbeitskräfteüberlassung, aber auch in anderen atypischen Beschäftigungsverhältnissen wie z.B. in Subunternehmen oder bei Scheinselbständigkeit zu entwickeln, ist es – angesichts des wachsenden Migrationsanteil in diesem Bereich – zentral, arbeitsrechtliche Reformen mit der Regulierung von Migration und der besonders prekären Lebenssituation vieler Migrant*innen zusammenzudenken. Ein Beispiel dafür ist das defacto Beschäftigungsverbot für Asylwerber*innen. Dieser Erlass des ehemaligen Arbeitsministers Martin Bartenstein aus dem Jahr 2004 wurde zwar erst kürzlich vom Verfassungsgerichtshof als rechtswidrig gekippt. Jedoch ändert das die Praxis nicht, da die Vorgabe einer restriktiven Arbeitsmarktprüfung sowie die einstimmige Zustimmung im AMS-Regionalbeirat eine Beschäftigungsbewilligung in den allermeisten Fällen verunmöglicht. Die Interviews zeigen, dass die oft jahrelange Untätigkeit, die dem Arbeitseinstieg vorausging, bei den geflüchteten Beschäftigten nicht nur zu schwerwiegenden sozialpsychologischen Folgen, sondern auch dazu führt, Ausbeutung in Kauf zu nehmen, da sie froh waren, überhaupt arbeiten zu können. Wenn Geflüchtete über Jahre hinweg in einem unsicheren Aufenthaltsstatus leben und ihnen damit Möglichkeiten der Inklusion (z.B. durch Arbeit) verwehrt bleiben, sind Barrieren in der gesellschaftlichen Integration vorgezeichnet. Es braucht daher die Umsetzung eines tatsächlichen Arbeitsmarktzugangs für Asylwerber*innen, um Geflüchteten so früh wie möglich gesellschaftliche Teilhabemöglichkeiten zu eröffnen.

Gleichzeitig zeigen die Forschungsergebnisse, dass es dabei keinesfalls egal sein kann, um welche Arbeit es sich handelt, sondern sich die Gleichung „Erwerbsarbeit = Integration“ ins Gegenteil kehren kann. Notwendig wäre es daher, neben den oben genannten arbeitsrechtlichen Regulierungen, den Arbeitsmarktzugang für Asylwerber*innen sowie auch für anerkannte Asylberechtigte oder subsidiär Schutzberechtigte mit Maßnahmen zu begleiten, die ihre (Weiter-)Qualifizierung fördern. Die Erzählungen der Interviewten von den rassistischen Spaltungen dies- und jenseits der Betriebe zeigen, dass es außerdem entscheidend darum ginge, antirassistische Arbeit als Querschnittsthema in den Institutionen des Arbeitnehmer*innenschutzes und der Interessensvertretung verstärkt zu verankern.

Zum Weiterlesen:

• Griesser, M.; Sauer, B. (2017): Von der sozialen Neuzusammensetzung zur gewerkschaftlichen Erneuerung? MigrantInnen als Zielgruppe der österreichischen Gewerkschaftsbewegung. In: Österreichische Zeitschrift für Soziologie, 42(2), 147-166.
• Holst, H. (2009): Disziplinierung durch Leiharbeit? Neue Nutzungsstrategien von Leiharbeit und ihre arbeitspolitischen Folgen. Düsseldorf: WSI-Mitteilungen, 62(3), 143-149
• Papouschek, U.; Krenn, M. (2016): Gewerkschaftliche Interessenvertretung in der Leiharbeit: Probleme, Bedingungen und erfolgversprechende Ansätze. Wien: Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelle.
• Peyrl, J. (2018): Zugang zum Arbeitsmarkt für geflüchtete Personen. In: Schrattbauer, B., Pfeil, W. J., & Mosler, R. (Hg.): Migration, Arbeitsmarkt und Sozialpolitik. Wien: Manz-Verlag, 101–120; S. 105.

Die Studie wurde von der Arbeiterkammer Wien gefördert und publiziert und kann
hier abgerufen werden:
Neuhauser, J.; El-Roumy, M.; Wexenberger, Y. (2021): Als ich diese Halle betreten habe,
war ich wieder im Irak: Migrantische Systemerhalter_innen bei Hygiene Austria und der
Post-AG. Webpublikation, Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien.
https://emedien.arbeiterkammer.at/viewer/image/AC16357630/1/#topDocAnchor

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