Wieviele Menschen ohne Staatsbürger*innenschaft leben und arbeiten in Österreich?

by Nora Waldhör

In vier Blogbeiträgen zeigen wir Fakten zur Bedeutung der Zuwanderung für die Bevölkerungsentwicklung und den Arbeitsmarkt in Österreich, um gängigen Mythen über Migration Daten und Fakten entgegenzusetzen. Wir stützen uns dabei vor allem auf Datenerhebungen der Statistik Austria und dem Dachverband der Sozialversicherungsträger. Das Ziel ist, ein möglichst umfangreiches Bild von Migration und der ökonomischen Situation von Migrant*innen in Österreich zu zeigen. In unserem ersten Beitrag stellen wir die Frage: Wieviele der erwerbstätigen Menschen, die in Österreich leben, haben keine Staatsbürger*innenschaft und damit auch kein Wahlrecht?

Wir sehen uns dabei Daten aus dem Jahr 2019 an, da dies ein Bild des Normalzustandes vor der Corona Pandemie zeigt. 2019 waren in Österreich rund 4,4 Millionen Menschen in Österreich erwerbstätig. Davon haben 705.947 Menschen nicht die österreichische Staatsbürger*innenschaft. Das entspricht 16% der gesamten erwerbstätigen Bevölkerung. Anders ausgedrückt, wäre der österreichische Arbeitsmarkt ein Betrieb mit etwa 60 beschäftigten Personen, so hätten 10 davon nicht die österreichische Staatsbürger*innenschaft.

Jedoch gibt es innerhalb Österreichs regionale Unterschiede: So waren in Wien 2019 insgesamt 875.804 Personen erwerbstätig, davon 611.792 mit österreichischer Staatsbürger*innenschaft und 264.012 mit anderer Staatsbürger*innenschaft. Der Anteil der erwerbstätigen Personen ohne österreichische Staatsbürger*innenschaft an allen erwerbstätigen Personen in Wien liegt demnach bei 30%.

Unter allen erwerbstätigen Menschen in Österreich waren 2019 rund 3,8 Millionen Menschen unselbstständig beschäftigt. Davon haben 650.112 keine österreichische Staatsbürger*innenschaft. Gemessen an der gesamten unselbstständig beschäftigten Bevölkerung ergibt das einen Anteil von etwa 17%.

Blickt man nun auf die 650.112 unselbstständig erwerbstätigen Personen ohne österreichische Staatsbürger*innenschaft, so zeigt sich, dass das Verhältnis zwischen Arbeiter*innen und Angestellten relativ ausgeglichen ist: 317.723 (48,9 %) sind als Arbeiter*innen, 332.389 (51,1 %) sind als Angestellte/öffentlich Bedienstete tätig.

Im Jahr 2019 waren in Österreich 1.132.509 Menschen als Arbeiter*innen beschäftigt. Davon haben 814.786 (72%) die österreichische Staatsbürger*innenschaft und 317.723 Personen, also 28% eine andere Staatsbürger*innenschaft. Unter den Angestellten liegt der Anteil der Personen ohne österreichische Staatsbürger*innenschaft bei 12%.

Auch hier ist die Situation in den Ballungsräumen besonders: Unter allen Arbeiter*innen in Wien haben rund 60 % keine österreichische Staatsbürger*innenschaft. Bei den Angestellten oder öffentlich Bediensteten liegt der Anteil bei etwa 24 %. Das bedeutet, dass mehr als die Hälfte der Arbeiter*innen in Wien also mangels Staatsbürger*innenschaft kein Wahlrecht hat.

Per Definition hat jede Person, deren Eltern im Ausland geboren sind einen Migrationshintergrund. 2019 waren in Österreich 939.389 Personen mit Migrationshintergrund unselbstständig beschäftigt. Davon waren 46% Arbeiter*innen und 54% Angestellte oder öffentlich Bedienstete. Gemessen an allen Arbeiter*innen in Österreich haben etwa 38% der Arbeiter*innen Migrationshintergrund, in Wien sogar über zwei Drittel. Die Mehrheit der Arbeiter*innen in der Bundeshauptstadt hat also Eltern, die im Ausland geboren sind. Häufig haben aber Personen mit Migrationshintergrund selbst nicht die österreichische Staatsbürger*innenschaft. Damit ist man auch nicht wahlberechtigt und kann die Zukunft des Landes, in dem man lebt und arbeitet nicht mitbestimmen.

Diese Zahlen verdeutlichen, dass ein großer Teil der arbeitenden Menschen nicht die österreichische Staatsbürger*innenschaft hat und deshalb von politischen Prozessen ausgeschlossen ist. Somit haben Menschen ohne österreichische Staatsbürger*innenschaft zwar das Recht auf Arbeit, nicht aber das Recht auf politische Teilhabe. Diese Tatsache erweckt den Anschein, als ob Zuwanderung erwünscht ist, wenn es darum geht, offene Stellen auf dem österreichischen Arbeitsmarkt zu besetzen, wir aber nicht bereit sind, Menschen die hier leben und arbeiten auch politische Teilhabe zuzugestehen.

 

Für alle die lieber Zuhören als Lesen, hat Nikolaus Kowall eine neue Folge von „Kowall redet Tacheles“ aufgenommen.

 

Zum Weiterlesen:
AMS (2022): Demografische Entwicklung und Prognose der Erwerbspersonen bis 2050.

BMAGSK (2019): Demographischer Wandel – geänderte Rahmenbedingungen für den Sozialstaat?

Neuhauser, Johanna (2022): „Wo ist das Gesetz?“ – Versäumnisse und Handlungsbedarfe in der Regulierung prekärer Leiharbeit von Migrierten.

Statistik Austria (2022): Bevölkerungsstatistik.

Türk, Erik (2022): Über Lebenserwartungen, warum auch beim Sterben nicht alle gleich sind und was daraus für die Pensionspolitik folgt, A&W Blog.

Tamara, Ehs (2018): Wien wählt (nicht): Demokratische Beteiligung 1918-2018.

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