Gesellschaftliche Spaltung und politische Antworten

by Johannes Rendl

Die Corona-Krise gilt als Brennglas für gesellschaftliche Veränderungen: Ungleichheit und Unsicherheit nehmen zu. Die fortschreitende gesellschaftliche Spaltung wird zur Herausforderung für die Politik. Von Georg Hubmann.

Pandemien waren immer schon Ausgangspunkte für weitreichende gesellschaftliche Veränderungen. Nicht nur weil Maßnahmen zur Erhaltung der Gesundheit und für den Schutz der Bevölkerung besondere Regeln und heftig diskutierte Einschrän-kungen der Grundrechte mit sich bringen, sondern auch weil damit einhergehende wirtschaftliche Sorgen und Nöte die Zukunftshoffnungen vieler Menschen trüben. Beides zusammen bringt uns in eine gesellschaftliche Situation, in der Unsicherheit und Ungleichheit zunehmen und damit der Wunsch nach Verände-rung und mehr Sicherheit wächst. Die Auseinandersetzung darüber, in welche Richtung es politisch gehen soll, wird entscheidend. Nachfolgend ein paar wichtige Felder der Auseinandersetzung.

Globalisierung und Unsicherheit

Globalisierungskritik gibt es schon lange von linker wie von rechter Seite. In der Corona-Krise sind neben den Fragen der internationalen Mobilität, Migration und Freihandel auch Themen wie die Macht internationaler Konzerne oder die Anfälligkeit globaler Produktions- und Lieferketten dazu gekommen. Es wurde sichtbar, wie sehr wir bei vielen Produkten von anderen Ländern und dem Funktionieren von globaler Logistik und Arbeitsteilung abhängig sind. Zum Beispiel waren Schutzmasken und medizinische Ausrüstung bei uns längere Zeit nicht in ausreichender Zahl verfügbar, weil wir diese Produkte nicht in ausreichender Zahl in Österreich oder Europa herstellen. Das hat uns die Abhängigkeit von anderen deutlich vor Augen geführt. Die große Macht internationaler Konzerne gegenüber nationalstaatlichen Regierungen zeigt sich bei der Abwanderung von Betrieben oder in der Diskussion über Standortschließungen, die gerade im Jahr der Pandemie viele Menschen ihren Job gekostet haben. Die Diskussion über die Rückverlagerung systemrelevanter Produktionszweige und darüber, wie die öffentliche Hand multinationalen Konzernen die Stirn bieten kann, steht erst am Anfang. Klar ist aber, dass Fehler im System sichtbar wurden, die Unsicherheit befördern.

Arbeitsmarkt und Armut

Schon vor der Corona-Krise gab es wachsende Ungleichheit in der Arbeitswelt. Beispielgebend dafür ist die große Zahl an arbeitslosen Menschen. Die Corona-Krise hat die Arbeitsmarktsituation vieler Menschen verschlechtert. Die Arbeitslosigkeit liegt bei fast zehn Prozent und die Aussicht, rasch wieder einen neuen Job zu finden, ist gering. Das zeigt zum Beispiel die immer weiter steigende Zahl der Langzeitarbeitslosen. Betroffen sind hier vor allem Ältere über 50 und junge Menschen, die am Beginn des Berufslebens stehen. Arbeitslosigkeit ist für viele ein Schock, denn mit den 55 Prozent Arbeitslosengeld vom Letztbezug können viele Haushalte gerade einmal die Fixkosten abdecken, zum Leben bleibt nicht mehr viel übrig. Der Weg in die Armut wird für die Betroffenen plötzlich Realität.

Auswirkungen auf die Demokratie

Die Ungleichheit in der Gesellschaft wird in der Pandemie noch deutlicher sichtbar: Superreiche wie Amazon-Chef Jeff Bezos machen plötzlich das Geschäft ihres Lebens, während vielen Menschen die Existenzgrundlage verloren geht. Das Wohlstandsversprechen, das die Gesellschaft über Jahrzehnte zusammengehalten hat, gilt für viele nicht mehr. Sie sehen sich mit ihren Sorgen und Ängsten nicht mehr repräsentiert. Daraus wächst Protest gegen politisch Verantwortliche genauso wie gegen die Umtriebe des globalisierten Kapitalismus, der immer weniger Schranken kennt. Gerade rechte Organisationen versuchen diese Stimmungslagen für sich zu nutzen und daraus politisches Kapital zu schlagen. Der Sturm auf das Kapitol in Washington und ähnliche Szenen vor dem deutschen Reichstag in Berlin sind eine Warnung für alle demokratischen Kräfte.

Was tun?

Eine zentrale Zukunftsdiskussion ist jene über die Rolle des Staates. Die Corona-Krise hat nicht nur gezeigt, wie wichtig ein gut ausgebautes öffentliches Gesundheitssystem ist; jetzt ist auch die Sternstunde des Wohlfahrtsstaates. Um Zusammenhalt zu stärken und Menschen wieder mehr Sicherheit für die eigene Zukunft zu geben, gilt es, den Sozialstaat auszubauen und das soziale Netz zu stärken. Der Ausbau der Kinderbetreuung und die Reparatur der Sozialhilfe wären zum Beispiel entsprechende Schritte im Rahmen einer progressiven Agenda. Dazu braucht es massive öffentliche Investitionen über mehrere Jahre, auch um großen Herausforderungen wie dem Klimawandel begegnen zu können. Zu einem aktiven Staat gehört auch eine industriepolitische Strategie, die in Form von Beteiligungen und Mitsprache der Belegschaft Regeln setzt. So kann die öffentliche Hand wieder Gestaltungsmacht gegenüber internationalen Konzernen erlangen. Um in einer globalisierten Welt Menschenrechte durchzusetzen, wäre die Einführung eines Lieferkettengesetzes auf europäischer Ebene ein wichtiger Schritt. Nur wenn es sanktionierbare Regeln für globales Wirtschaften gibt, wird Ungleich-heit im globalen Maßstab weniger. Sicherheit in Bezug auf das eigene Einkommen herzustellen, ist gerade in Zeiten von Rekordarbeitslosigkeit ein entscheidender Faktor. Die Anhebung des Arbeitslosengeldes auf zumindest 70 Prozent wäre ein erster Schritt; noch wichtiger aber die Einführung einer Aktion 40.000 für Langzeitbeschäftigungslose oder einen Schritt weiter gedacht eine Jobgarantie. So lässt sich das Recht auf Arbeit und damit die Teilhabe an der Gesellschaft realisieren. Der Kampf gegen Ungleichheit und Unsicherheit ist die zentrale Aufgabe für progressive Kräfte in der Corona-Krise und für die Zeit danach. Viele gute Konzepte liegen schon auf dem Tisch. Das Zeitfenster für grundlegende Änderungen ist offen – nutzen wir es!

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