Wie die UN-Konvention für Menschen mit Behinderung umgesetzt wird

by Georg Hubmann

Österreich hat sich verpflichtet, Gesetze gemäß der UN-BRK zu erlassen. Am 26. September 2008 hat Österreich die UN-Konvention Rechte von Menschen mit Behinderung (UN-BRK) unter Erfüllungsvorbehalt ratifiziert. Das bedeutet, dass die Bestimmungen bei der Interpretation österreichischer Gesetze herangezogen werden müssen und Österreich verpflichtet ist, Gesetze gemäß der UN-BRK zu erlassen. Von Matthias Forstner. Zur PDF-Version.

Die 2006 von der UN-Generalvollversammlung beschlossene Konvention konkretisiert die bereits kodifizierten universellen Menschenrechte aus der speziellen Perspektive von Menschen mit Behinderung. Der grundsätzliche Zweck der Konvention wird in Artikel 1 festgehalten: „gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderung zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten und die Achtung der innewohnenden Würde zu fördern“

Umsetzung in Österreich
Zentrale Anlaufstelle des Bundes (Artikel 33 Abs. 1) ist das Sozialministerium. In den Ländern gibt es eigene Anlaufstellen. Das Sozialministerium ist für die Koordination bei der Umsetzung der BRK-zuständig, wobei die Zivilgesellschaft einbezogen wird. Der Nationale Aktionsplan Behinderung 2012 – 2020 (NAP) ist die langfristige Umsetzungsstrategie der UN-BRK auf Bundesebene. Nach der Zwischenbilanz 2015 kritisieren Volksanwaltschaft, Behindertenanwalt, Monitoringausschuss und Zivilgesellschaft den NAP und seine Umsetzung als ineffektiv und unkoordiniert.

Überwachung
Über die Einhaltung der BRK wacht auf der internationalen Ebene ein UN-Ausschuss mit gewählten Mitgliedern. Zudem existiert in Österreich seit Dezember 2008 auf der Bundesebene ein Unabhängiger Monitoring Ausschuss (gemäß Artikel 33 Abs. 2). Auch die Bundesländer haben eigene Monitoringstellen eingerichtet. Zudem wird auch die Zivilgesellschaft, im Speziellen Menschen mit Behinderung (gemäß Artikel 33 Abs. 2), in die Überwachung einbezogen. Im Jahr 2013 fand eine erste Staatenprüfung, d.h. ein Dialog zwischen Österreichischen VertreterInnen und dem UN-Ausschuss statt. Daraufhin erhielt Österreich 23 Handlungsempfehlungen. Die zweite Staatenprüfung wird noch 2019 stattfinden.

GESAMTFAZIT
Insgesamt sind Bemühungen zur Umsetzung der UN-BRK sowie der Handlungsempfehlung seit der letzten Staatenprüfung zu beobachten, sie sind jedoch sehr uneinheitlich, so dass sich die Lage nicht maßgeblich verbessert hat. Es wird eine Politik der kleinen Anpassungen praktiziert. Für eine umfassende Realisierung von Barrierefreiheit und Inklusion ist laut Monitoringausschuss nicht genügend politscher Wille vorhanden. Zudem urteilen Behindertenorganisationen: „Für Menschen mit Behinderung bedeutet das Programm der neuen Regierung [gemeint ist die türkis-blaue ab 2017] in vielen Bereichen leider einen Rückschritt, etwa betreffend Inklusion an Schulen und Integration im Arbeitsbereich“. Auch finanzielle Kürzungen werden kritisiert.
Die gemachten Fortschritte betreffen vor allem die Reform des Sachwalterschaftsrechts und das 2017 beschlossene Inklusionspaket, das den Rechtschutz bei Diskriminierung verbessert sowie das Budget zur Förderung der Inklusion in die Arbeitswelt aufstockt.

SICHT AUF BEHINDERUNG
Der von der Konvention geforderte Perspektivwechsel ist bisher weder in der Politik noch in der Gesellschaft angekommen. Dafür wäre ein radikaler Paradigmenwechsel nötig. Immer noch verwenden die verschiedenen Sozialgesetze Begriffe, die dem medizinischen Modell angehören oder bleiben zumindest dem alten Konzept des individuellen Defizits treu. Die Einschätzung des Grades der Behinderung erfolgt weiterhin nach dem medizinischen Modell.

KOMPETENZSTREITIGKEITEN
Noch existiert keine bundes- und länderübergreifende Umsetzungsstrategie für die BRK. Stattdessen herrscht eine Zersplitterung der Kompetenzen: neun Bundesländer mit je eigenen Sozialgesetzen sowie verschiedene zuständige Gebietskörperschaften (Sozialministerium, Krankenkassen). Dies führt zu Unterschieden in:
• der Definition von zentralen Begriffen wie Behinderung, Invalidität oder Arbeitsfähigkeit
• den gebotenen Leistungen,
• der Feststellung des Grades von Behinderung usw.
Dies alles verursacht noch immer große Unübersichtlichkeit, Rechtsunsicherheit und Ungleichbehandlung. Es bedarf noch einer umfassenden Harmonisierung der Gesetze, Definitionen und Leistungen. Die nachfolgende Abbildung stellt links den oben beschriebenen Ist-Zustand mit den verschiedenen Zuständigkeiten und Definitionen dar. Auf der rechten Seite ist der geforderte Zustand der harmonisierten Behindertenpolitik abgebildet.

ARMUT
Es besteht weiterhin ein erhöhtes Armutsrisiko für Menschen mit Behinderung. Laut Daten der Statistik Austria waren 2017 1.245.000 ÖsterreicherInnen armutsgefährdet (< 60 % des Medianeinkommens). Davon waren 133.000 (11 %) „stark beeinträchtigt durch Behinderung“, 33 Prozent waren chronisch krank und 2 Prozent bezogen eine Invaliditäts- bzw. Erwerbsunfähigkeitspension. Von den ÖsterreicherInnen aus der mittleren Einkommensgruppe (6.588.000 Personen, 60 bis < 180 % des Medianeinkommens) gehören 517.000 der Gruppe der stark Beeinträchtigten an (8 %). Ähnlich ist der Anteil in der oberen Einkommensgruppe (>= 180 % des Medianeinkommens) 5 Prozent (44.000 Personen).

Von 694.000 Personen der Gruppe „stark beeinträchtigt durch Behinderung“ gehören 19 Prozent der niederen, 75 Prozent der mittleren und 6 Prozent der oberen Einkommensgruppe an. In der Gesamtbevölkerung sind diese Anteile hingegen 14 Prozent, 77 Prozent und 9 Prozent. Demnach ist bei Menschen mit Behinderung der Anteil der niederen Einkommensgruppe höher und der der Personen die zur höheren Einkommensgruppe gehören geringer.


Viele Menschen mit Behinderung sind zudem schlecht in das Sozialversicherungssystem integriert. Anders als in früheren Regierungsprogrammen, wurde im letzten von 2017 nicht mehr explizit versucht, Wege der Integration zu finden. Viele Menschen mit Behinderung sind finanziell auf das Pflegegeld angewiesen, doch dieses wurde seit der Einführung 1993 nicht angemessen angepasst. Der daraus resultierende Werteverlust wird insgesamt auf zwischen 30 und 35 Prozent geschätzt. ExpertInnen fordern vielfach, das Entgelt für sämtliche Stufen zu erhöhen und gesetzlich verankert zu valorisieren.

ARBEIT
Die Behindertenrechtskonvention hält das Recht fest, einer angemessen entlohnten Arbeit nachzugehen. Es gab jedoch kaum Verbesserungen auf diesem Gebiet. Menschen mit Behinderung wurden von der Wirtschaftskrise ganz besonders betroffen und ihre Situation am Arbeitsmarkt hat sich zwischen 2012 und 2016 deutlich verschlechtert. Die Anzahl der Arbeitslosen mit gesundheitlichen Einschränkungen hat sich innerhalb der letzten zehn Jahre verdoppelt. Im Zeitraum zwischen 2013 und 2016 kam es laut AMS zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit bei Personen mit Behinderung um 29,5 Prozent, die Anzahl der nicht erwerbstätigen Menschen mit Behinderung stieg um 22,43 Prozent. Menschen mit Behinderung können auch weniger vom Aufschwung der letzten Jahre profitieren. Laut AMS Statistik ist 2018 die Anzahl der arbeitslosen Menschen ohne gesundheitliche Einschränkungen um 9,8 Prozent gesunken, während die der Personen nach Behinderteneinstellungsgesetz nur um 3,7 Prozent und die der Personen mit sonstigen gesundheitlichen Einschränkungen nur um 2,3 Prozent zurückgegangen ist.

Bei diesen Zahlen gilt es zu bedenken, dass Menschen, die als nicht arbeitsfähig gelten und in Werkstätten arbeiten, nicht als arbeitslos erfasst werden, genauso wenig wie Personen, die nicht (mehr) am Arbeitsmarkt partizipieren.
Die Lockerung des Kündigungsschutzes konnte die Vorbehalte von Unternehmen gegenüber Menschen mit Behinderung nicht zerstreuen. Nur 22 Prozent der Firmen die aufgrund ihrer Größe Menschen mit Beeinträchtigung einstellen müssen, kommen dieser Verpflichtung nach. Mit den finanziellen Mitteln aus dem 2017 beschlossenen Inklusionspaket soll dem entgegengewirkt werden. Vorgesehen ist: Erhöhung der Lohnkostenzuschüsse, Entbürokratisierung sowie Informations- und Sensibilisierungsmaßnahmen. Auch die Unterstützungsleistungen des AMS für Behinderte sollen erhöht werden.

Beschäftigungswerkstätten
Die Diskriminierung am Arbeitsmarkt zeigt sich auch daran, dass ca. 23.000 Menschen mit Behinderung in Beschäftigungstherapien untergebracht sind. Der UN-Ausschuss hat die hohe Anzahl bereits kritisiert. Die ArbeiterInnen in Tagessstrukturen erhalten lediglich ein Taschengeld von 65 Euro pro Monat. Sie sind weder kranken- und noch pensionsversichert. Die Volksanwaltschaft fordert Lohn statt Taschengeld für alle arbeitenden Menschen mit Behinderung. Die Segregation von Menschen in Werkstätten widerspricht dem Inklusionsprinzip. In Extremfällen kann es sogar zur Ausbeutung kommen.
Wer sich einmal im geschützten Arbeitsmarkt befindet, kann nur schwer in den ersten gelangen. Neben unterschiedlichen Förderungszuständigkeiten, stellt vor allem die Beihilfefalle eine Hürde für den Übergang dar. Lebenslang gebührende Transferleistungen aufgrund dauernder Erwerbsunfähigkeit fallen oft unwiderruflich weg, wenn ein längerer Arbeitsversuch mit Vollversicherung unternommen wird. Der versuchte Sprung in den ersten Arbeitsmarkt kann deshalb finanziell sehr risikoreich sein. Es braucht also neue Modelle der Durchlässigkeit zum ersten Arbeitsmarkt.
BehindertenvertreterInnen kritisieren auch, dass Menschen mit Behinderung oft gleich nach der Schule Arbeitsunfähigkeit attestiert wird. Somit bleiben sie oft auf die Tagesstrukturen angewiesen.

INKLUSIVE BILDUNG
Der Behindertenrat findet seit dem letzten Staatenbesuch keine wesentlichen Fortschritte in Richtung inklusiver Bildung (Artikel 24) für alle. Praxis und Gesetzgebung sind immer noch am Integrationskonzept orientiert. Es fehlen nötige rechtliche Bestimmungen, Ressourcen und Rahmenbedingungen sowie die Bereitschaft von Bund und Ländern, die Gesellschaft zu sensibilisieren und Bewusstseinsbildung zu betreiben.
Im Schuljahr 2015/2016 wurden in Österreich insgesamt 567.544 SchülerInnen an APS (Allgemeinbildenden Pflichtschulen) unterrichtet. 30.710 (5,4 %) SchülerInnen davon haben einen Sonderpädagogischen Förderbedarf. Davon wurden 19.717 (64,2 %) integriert unterrichtet.

In einer Handlungsempfehlung des UN-Ausschusses wurde Österreich dazu aufgefordert, mehr Bemühungen zu unternehmen, um Kinder und Jugendliche mit Behinderung in allen Bereichen des Bildungswesens zu unterstützen. Sowohl der Monitoringausschuss als auch der Behindertenrat beurteilen das bisherige Vorgehen sehr kritisch. Als Pluspunkte werden einerseits die drei inklusiven Modellregionen Kärnten, Tirol und Steiermark genannt. Einen weiteren Fortschritt stellt die 2013 geschaffenen PädagogInnenbildung neu dar. Das Ziel war sämtlichen PädagogInnen Wissen zur inklusiven Bildung zu vermitteln. Somit sind Sonderpädagogische Inhalte heute in höherem Maße in der PädagogInnenausbildung vertreten. Laut Monitoringausschuss wurde durch diese Reform die Ausbildung von SonderschullehrerInnen praktisch abgeschafft.
Das Programm der letzten Regierung drohte diesbezüglich wieder Rückschritte zu bringen. Es zielte bei der Bildung wieder vor allem auf Leistungsfähigkeit und Differenzierung ab. Zudem hatte es eine Stärkung des Sonderschulsystems vorgesehen. Dies wird als Widerspruch zum Inklusionsgedanken gesehen.
Auch bei den bisherigen Versuchen für vermehrte inklusive Bildung fehlt es an Ressourcen. Laut einer Untersuchung des Bundesinstituts für Bildungsforschung, Innovation & Entwicklung des österreichischen Schulwesens (BIFIE) werden vor allem ungenügende Rahmenbedingungen als Hindernisse für die erfolgreiche Inklusion genannt. Dazu zählen Personal-, Kompetenz- und Erfahrungsmangel, fehlende Infrastruktur und zu große Klassen.

WOHNEN
Es ist noch kein großer Trend zur De-Institutionalisierung im Wohnbereich erkennbar. In manchen Bundesländern wird versucht, kleinere Einrichtungen zu finden oder bestehende Großeinrichtungen zu verkleinern. Es liegt aber immer noch kein Bund und Länder umfassendes Konzept für die De-Institutionalisierung vor.
Die Volksanwaltschaft überprüft die Einhaltung der Menschenrechte in Wohnheimen für Menschen mit Behinderung. Demnach leben viele Menschen mangels an Alternativen noch abgeschottet von der Außenwelt und kennen fast nur ihre Wohneinrichtung und Arbeitsstätte. Hunderte von jüngeren behinderten Menschen sind sogar in Altenheimen untergebracht. Die BewohnerInnen von Großeinrichtungen müssen sich oft an einen starren Tagesablauf und strikte Regeln halten. Es gibt zu wenig Autonomie und es kommt zur Bevormundung. Diese inakzeptable Beschneidung der Freiheit (Artikel 14) kann zu Lasten der emotionalen Integrität gehen und so zu persönlichen Abhängigkeiten sowie erlernter Hilflosigkeit führen.
Die Volksanwaltschaft kritisiert weiter, dass zu wenig Personal vorhanden ist und oft die notwendigen Qualifikationen fehlen. Zudem werden mangelnde Beschwerdemöglichkeiten und fehlende Gewaltschutzkonzepte kritisiert (Artikel 16).

SELBSTBESTIMMUNG
Sachwalterschaft
In einem partizipativen Prozess wurde das Sachwalterrecht überarbeitet. Dies ist ein großer Fortschritt für die Selbstbestimmung. Die Möglichkeit des stellvertretenden Handelns für andere Personen wurde nun eingeschränkt und ist nun auf bestimmte Zeit und bestimmte Handlungen begrenzt. Damit wurde die Handlungsempfehlung des UN-Ausschuss zu Artikel 12 umgesetzt.
Zusätzlich müssen jedoch noch Programme zur Entscheidungsfindung in den Bundesländern erarbeitet werden.

Persönliche Assistenz
Viele Menschen mit Behinderung brauchen persönliche Assistenz für ein selbstbestimmtes Leben mit sozialer Inklusion (Artikel 19). Zurzeit sind die angebotenen Leistungen in den einzelnen Bundesländern jedoch sehr verschieden. Lediglich die Assistenz am Arbeitsplatz ist bundesweit einheitlich geregelt.
Die Förderungen decken die tatsächlichen Kosten der Assistenz meist nicht mal annähernd ab, u.a. wegen Stundendeckelungen oder zu geringen Stundensätzen. Damit leistbare Assistenz flächendeckend verfügbar wird, ist laut Volksanwaltschaft ein massiver Ausbau von bedarfsgerechten Modellen notwendig. Dafür sind noch Konzepte zwischen Bund und Ländern notwendig, genauso wie Investitionen. Zudem sollten auch Menschen mit Lernschwierigkeiten Zugang zu Assistenz bekommen.

ZUM WEITERLESEN:
• UN-Behindertenrechtskonvention(2019): Die in Österreich gültige deutsche Version der UNRBK. Das Dokument enthält die Präambel, die 50 Artikel sowie das Fakultativprotokoll. Es ist durch den Broschürenservice des Österreichischen Sozialministeriums (https://broschuerenservice.sozialministerium.at/) gratis downloadbar.

• Nationaler Aktionsplan Behinderung 2012 – 2016 (2012): Der von Österreich beschlossene Maßnahmenplan, um den Anforderungen der BRK gerecht zu werden. Er ist gratis vom Broschürenservice des Österreichischen Sozialministeriums (https://broschuerenservice.sozialministerium.at/) herunterladbar. Auch ein offizieller Zwischenbericht der Umsetzung (2012-2015) ist dort verfügbar.

• Monitoring-Bericht an den UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (2018). Beurteilung der Umsetzung der UN-BRK durch die Österreichische Verwaltung vom unabhängigen Monitoringausschuss. Der Bericht an den UN-Fachausschuss anlässlich des zweiten konstruktiven Dialogs mit Österreich ist genauso wie zahlreiche andere Berichte auf der Website des Monitoringausschusses verfügbar (https://www.monitoringausschuss.at).

• Bericht zur Umsetzung der UN-Konvention in Österreich (2018). Als Teil der Zivilgesellschaft verfasste auch der Österreichische Behindertenrat anlässlich des zweiten Staatenberichtsverfahrens vor dem UN-Fachausschuss eine Evaluation der Umsetzung durch Österreich. Dieser Bericht ist auf der Homepage (https://www.behindertenrat.at) frei verfügbar.

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