Die UN Behindertenrechtskonvention konkretisiert die Menschenrechte aus der Sicht von Menschen mit Behinderung. Am 13. Dezember 2006 wurde die UN Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung (UN-BRK) von der UN-Generalvollversammlung in New York beschlossen. Erarbeitet wurde sie in einem mehrjährigen Prozess von einem Ad-Hoc Ausschuss. Dabei wurden VertreterInnen der Zivilgesellschaft und Betroffene in die Konsensfindung einbezogen. Von Matthias Forstner. Zur PDF Version.
Die BRK steht im Kontext von anderen Menschenrechtskonventionen, die in Folge der Allgemeinen Menschenrechtserklärung 1948 entstanden sind. Die Vereinbarung definiert keine Sonderrechte oder Spezialprivilegien, sondern konkretisiert lediglich die bereits kodifizierten universellen Menschenrechte aus der speziellen Perspektive von Menschen mit Behinderung. So steht sie neben der Anti-Rassismus-Konvention, sowie der Frauen- und der Kinderrechtskonvention.
Die Nationalstaaten müssen sich bei der Gesetzgebung, Vollziehung und Verwaltungspraxis an dem Übereinkommen orientieren. Die Regeln gelten konventionsgemäß auch in allen Bundesländern der Staaten. Die BRK wurde von 177 Parteien (Nationalstaaten und Integrationsorganisationen) ratifiziert (Stand Jänner 2019). Zusätzlich wurde noch das Fakultativprotokoll der Vereinten Nationen zu Rechten von Menschen mit Behinderung verabschiedet. Dieses bietet Personen oder Gruppen noch die Möglichkeit der Individualbeschwerde gegenüber Nationalstaaten beim UN-Ausschuss. Diese freiwillige Vereinbarung wurde bisher von 94 Parteien ratifiziert.
Österreich hat die UN-BRK und das Fakultativprotokoll am 26 September 2008 unter Erfüllungsvorbehalt ratifiziert. Das bedeutet, dass die Rechte der BRK nicht unmittelbar anwendbar sind. Die Bestimmungen müssen jedoch bei der Interpretation österreichischer Gesetze herangezogen werden und Österreich ist verpflichtet, Gesetze gemäß der UN-BRK zu erlassen. Die UN-BRK wurde in sechs Sprachen verfasst (Arabisch, Chinesisch, Englisch, Französisch, Russisch und Spanisch). Der Wortlaut der deutschen Version ist nicht rechtsverbindlich. Zudem gilt in Österreich aktuell eine revidierte Version der deutschen Übersetzung, da die ursprüngliche dem aktuellen Sprachgebrauch von Wissenschaft und Politik nicht entspricht.
SICHT AUF BEHINDERUNG IN DER UN-BRK
Mit der Konvention soll das alte medizinische Modell, das Behinderung als körperliche Abweichung des Individuums definiert, ersetzt werden. Forciert wird stattdessen das soziale bzw. das menschenrechtliche Modell. Behinderung wird im diskriminierenden und ausgrenzenden Umfeld bzw. in Barrieren gesehen. Barrieren sind nicht nur materieller Natur, sondern umfassen auch negative Einstellungen und Vorurteile. Das dahinterliegende Motto ist: Menschen sind nicht behindert, sie werden behindert.
Diese Sicht wird auch in der Präambel (e) festgehalten: „dass Behinderung aus der Wechselwirkung zwischen Menschen mit Beeinträchtigung und umweltbedingten Barrieren entsteht.“
Sie wird auch in der Umschreibung von Behinderung in Artikel 1 deutlich: „Zu den Menschen mit Behinderung zählen Menschen, die langfristige körperliche, psychische, intellektuelle oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen und wirksamen Teilhabe, gleichberechtigt mit anderen, an der Gesellschaft hindern.“
Menschen mit Behinderung werden nicht mehr als mitleid- und fürsorgebedürftige Objekte gesehen. Sie sind Subjekte, die alle Menschenrechte barrierefrei verwirklichen können müssen. Die Umstellung erfolgt von paternalistischer Fürsorge zur Förderung des Empowerments zur Selbstbestimmung.
Ziel und Philosophie der UN-BRK
Empowerment wird gefördert indem Ansprüche auf Selbstbestimmung, Diskriminierungsfreiheit und gleichberechtigter Teilhabe formuliert und rechtsverbindlich verankert werden. Artikel 1 hält den grundsätzlichen Zweck des Übereinkommens fest: „gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderung zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten und die Achtung der innewohnenden Würde zu fördern“
Soziale Inklusion & Diversity Ansatz
Ein tragender Leitgedanke der Konvention ist der der sozialen Inklusion, der als eine Weiterentwicklung des Integrationsgedanken verstanden wird. Es geht um mehr als die bloße Eingliederung von Menschen mit Behinderung. Gemäß dem Diversity Ansatz soll deshalb Behinderung nicht nur als Defizit, sondern als normaler Bestandteil menschlichen Lebens gesehen und sogar als Quelle für kulturelle Bereicherung wertgeschätzt werden.
Gleichzeitig findet die BRK jedoch einen Ausgleich und leugnet neben diesen bejahenden Aspekt auch die realen Problemlagen von Menschen mit Behinderung nicht. Das Defizit wird jedoch nicht im Individuum, sondern im ausgrenzenden Umfeld verortet. Deshalb haben sich nicht die Individuen an die Lebensbereiche anzupassen, sondern die Lebensbereiche sind so zu verändern, dass alle verschiedenen Individuen teilhaben können.
Barrieren müssen abgebaut und Strukturen so gestaltet werden, dass gesellschaftliches Leben und soziale Partizipation auf Grundlage individueller Autonomie für alle möglich ist. Soziale Inklusion und individuelle Autonomie bedingen einander.
Aus dem Leitgedanken der Inklusion ergibt sich, dass Anliegen behinderter Menschen in Politik, Verwaltung und Wissenschaft zu berücksichtigen sind (Disability Mainstreaming). Behindertenpolitik darf deshalb nicht nur Teil der Sozialpolitik sein, sondern ist eine Querschnittsaufgabe.
Menschenwürde
Menschenrechte bauen allgemein auf dem Gedanken der Menschenwürde auf. Die UN-BRK geht jedoch besonders oft auf dieses Prinzip ein und möchte die Achtung aktiv fördern. Würde, Autonomie und soziale Inklusion bedingen sich gegenseitig. In dieser Konvention wird Menschenwürde als Teil der Bewusstseinsbildung angesprochen. Durch soziale Aufklärungsprogramme (Artikel 8) und Inklusion sollen sowohl Selbstachtung als auch soziale Achtung von Menschen mit Behinderung gestärkt werden. Klischees und Vorteile sollen abgebaut und ein Gefühl für die Fähigkeiten von Menschen mit Behinderung gefördert werden.
LEBENSLAGEN IN DER UN-BRK
Es wird das gesamte Spektrum menschlichen Lebens erfasst, vom Recht auf Leben über Themen wie Bildung, Wohnen, Freiheit, Sicherheit, unabhängige Lebensführung, freie Meinungsäußerung, Freizeit, Gesundheit, Familie, Beschäftigung sowie Teilhabe am politischen, öffentlichen und kulturellen Leben. Im Folgenden ein paar Beispiele:
Autonomie Rechts- und Handlungsfähigkeit
Artikel 12 schreibt vor, dass jeder Mensch unabhängig von Schweregrad der Behinderung vollkommen rechts- und handlungsfähig sein soll. Demgemäß sollen Menschen, die Schutz im Rechtsverkehr benötigen nicht entmündigt werden, sondern Unterstützung beim Entscheidungsbedarf erhalten. Zudem geht es um die Einwilligungsfähigkeit im Hinblick auf medizinische Maßnahmen sowie um die Deliktsfähigkeit.
Selbstbestimmtes Leben und De-Institutionalisierung
Der Grundsatz des selbstbestimmten Lebens ist in Artikel 19 spezifiziert. Selbstbestimmung muss allen Menschen unabhängig von Lebenssituation und Schweregrad der Behinderung zugestanden werden. Behinderte Menschen sollen ihren Wohnort frei wählen können und nicht gezwungen sein, abgeschottet in Wohnheimen zu leben. Deshalb muss eine entsprechende Infrastruktur aufgebaut werden, damit gemeindenahe Unterstützung wie z.B. persönliche Assistenz niederschwellig verfügbar ist.
Inklusives Bildungssystem
In Artikel 24 wird das Recht auf inklusive Bildung definiert. Nationalstaaten werden dazu verpflichtet, ein inklusives Bildungssystem auf allen Ebenen aufzubauen und zu unterhalten. Heterogenität soll nicht als Problem, sondern als Bereicherung gesehen werden. Der gemeinsame Unterricht von behinderten und nicht behinderten Kindern muss zum Regelfall werden. Niemand darf gegen den eigenen Willen verpflichtet werden, Sonder- oder Förderschulen zu besuchen. Um eine solch hohe Inklusionsquote erfüllen zu können, sind deshalb umfassende Veränderungen der Schulorganisation, der Lehrpläne sowie der PädagogInnenausbildung nötig.
DURCHFÜHRUNG UND ÜBERWACHUNG DER UN-BRK
Artikel 34 sieht als zentrales Gremium für die Überwachung der Einhaltung den Ausschuss für Rechte von Menschen mit Behinderung vor. Er besteht aus 18 gewählten ExpertInnen, trifft zweimal pro Jahr zusammen und hat seinen Sitz in Genf. Die Vertragsstaaten müssen dem Ausschuss regelmäßig Bericht erstatten. In einem Dialogverfahren wird dann ausgehandelt, in wie weit die Aufgaben erfüllt wurden. Der Ausschuss berücksichtigt dafür auch Berichte von anderen, unabhängigen Organisationen. Das Gremium in Genf kann auch Bemerkungen zur Auslegung einzelner Artikel verabschieden. Zudem nimmt es im Rahmen des Fakultativprotokolls Individualbeschwerden entgegen und kann Untersuchungsverfahren gegen Staaten durchführen.
Auf nationaler Ebene erfolgt die Umsetzung durch staatliche Anlaufstellen. In Österreich ist das das Sozialministerium. Die Überwachung der Umsetzung erfolgt zudem durch unabhängige nationale Monitoringstellen (Artikel 33), wobei auch die Zivilgesellschaft, insbesondere Organisationen für Menschen mit Behinderung Überwachungsaufgaben wahrnehmen (Artikel 33 Absatz 3). In Österreich wurde ein unabhängiger Monitoringausschuss eingerichtet.
ZUM WEITERLESEN
• UN-Behindertenrechtskonvention(2019): Die in Österreich gültige deutsche Version der UNRBK. Das Dokument enthält die Präambel, die 50 Artikel sowie das Fakultativprotokoll. Es ist durch den Broschürenservice des Österreichischen Sozialministeriums (https://broschuerenservice.sozialministerium.at/) gratis downloadbar.
• Behinderung und Menschenrechte: Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (2010). Der Artikel „Behinderung und Menschenrechte: Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ von Valentin Aichele aus dem Jahre 2010 fasst die wichtigsten Grundsätze der Behindertenrechtskonvention zusammen. Er ist sehr hilfreich für ein besseres Verständnis. Er ist auf der Website der deutschen Bundeszentrale für politische Bildung (https://www.bpb.de) erhältlich.
• Die „Behindertenrechtskonvention“ in Kraft! – Ein Meilenstein auf dem Weg zur inklusiven Bildung in Deutschland?! (2009). Der in der Zeitschrift für Inklusion, Ausgabe 02/2009 erschienene Artikel von Monika Schumann gibt wichtige Informationen über die BRK und ihre Bedeutung. Ein Spezieller Fokus wird auf das wichtige Thema der inklusiven Bildung gelegt. Der Artikel ist gratis auf der Website der Zeitschrift (https://www.inklusion-online.net) verfügbar.
• Die UN-Behindertenrechtskonvention – ein neues Verständnis von Behinderung (2015). Dieser Artikel von Theresia Degener liefert zusätzliche Informationen zum Entstehungsprozess der Konvention. Geschildert werden die aufgrund unterschiedlicher Interessen entstandenen Konfliktfelder und deren Lösung im Konventionstext. Der Artikel ist gratis über die digitale Bibliothek zu Behinderung und Inklusion (http://bidok.uibk.ac.at/) zu beziehen.
• Erläuterungen zur UN-Konvention (2013). Die von der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration der Stadt Hamburg veröffentlichte Version der Behindertenrechtskonvention stellt auch wichtige Informationen und Erläuterungen bereit. Die sehr hilfreichen Informationen sind im Dokument „UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen Text und Erläuterung“ auf der Website https://teilhaben.hamburg.de/unbehindertenrechtskonvention/ verfügbar.