Beim Bodenverbrauch geht es einerseits darum, die Ressource Boden möglichst schonend zu nutzen sowie Abgabensystem und Bauordnung zu ökologisieren, andererseits braucht es einen Fokus auf die Raumgestaltung und ihre gesellschaftspolitische Dimension. Von Barbara Hinterleitner. Zur PDF-Version.
Bodenverbrauch in Österreich ist nicht nur ein vieldiskutiertes, sondern auch ein vielschichtiges Thema. Die Herangehensweise an Raumgestaltung eröffnet mehrere Problemstellungen. Dazu gehören Zersiedelung – also Bebauung außerhalb des bestehenden Siedlungsbereichs –, Ausdünnung der Ortskerne und Leerstand ebenso wie Bauland-Umwidmungen und steigende Preise für Baugrundstücke. Leistbarer Wohnraum und innovative Wohnmodelle stehen zu wenig im Fokus der Raumplanung, obwohl sie einen bedeutenden Beitrag zu effektiver Bodennutzung und funktionierender Ortsgemeinschaft leisten können. Das Gute ist, wir haben es selbst in der Hand.
Bauen und Wohnen im Wandel
Österreich ist das Land der Zersiedelung. Stetig wachsende Siedlungsgebiete nehmen Land in Anspruch, das für Landwirtschaft, Erholungsräume oder Naturflächen verloren geht. Neben der Zerstörung wichtiger Bodenressourcen verändern dezentrale Siedlungserweiterungen auch Ortsstrukturen.
Wird am Ortsrand ein Gewerbezentrum mit Supermärkten und Parkplatzflächen gebaut, führt das zu Druck auf bestehende Nahversorger und kleine Geschäfte im Ortszentrum, und mit deren Schließung folgen auch Gasthäuser und Kultureinrichtungen. Die Ortsmitte wird zunehmend entvölkert und verliert an Bedeutung. Diese Wanderbewegung vom Zentrum an den Gebietsrand wird als Donut-Effekt bezeichnet – wie das ringförmige Gebäck ist der Rand köstlich, in der Mitte aber ein Loch.
Ein Grund für die Bebauung außerhalb der Siedlungsgrenzen ist die Verfügbarkeit von Bauland, ein anderer der Preis. Gerade in Ortszentren sind viele unbebaute Parzellen bereits als Bauland gewidmet, ohne in absehbarer Zeit als solche genutzt zu werden. Dieser „Baulandüberhang“ – immerhin 11.000 Hektar in ganz Oberösterreich – wird gehortet oder dient der Spekulation, steht dem Wohnungsmarkt aber nicht zur Verfügung. Das treibt die Preise für tatsächlich verfügbares Bauland in die Höhe und motiviert Gemeinden zu Umwidmungen außerhalb der engeren Siedlungsgrenzen.
Das Einfamilienhaus ist die häufigste Form privater Bebauung, doch ist es alles andere als klimafit – es verbraucht zu viel Boden, zu viel Energie und ist oft nur mit dem Auto erreichbar. Ausgerichtet auf Familien, wird mit zunehmendem Alter die Fläche schnell zu groß, die Treppe nach oben zu steil, die Bewirtschaftung des Gartens zu mühsam. Teile des Hauses werden zu Leerstand. Alternativen gibt es vor allem im ländlichen Bereich kaum; es fehlen attraktive Angebote für altersgerechtes Wohnen oder den Umbau bestehender Häuser. Innovative, generationenübergreifende Wohnmodelle oder -gemeinschaften sowie leistbares Wohnen für Jung und Alt sind zu selten Thema der Raumplanung.
Seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 investiert die öffentliche Hand europaweit um 50 Prozent weniger in gemeinnütziges Wohnen, obwohl durch Spekulation und die Geschäftsmodelle privater Immobilieninvestoren ein drastischer Mangel an leistbarem Wohnraum herrscht. Verschärft wird die Negativspirale durch Kurzzeitvermietungen, die vor allem in touristischen Hochburgen lukrativer sind als langfristige Mietverträge sowie durch Zweitwohnsitze, die mehrheitlich als Geldanlage dienen. Der Entzug dieser Wohnungen aus dem Wohnungsmarkt verschlechtert die Lage und verändert die nachbarschaftliche Gemeinschaft.
Drei Maßnahmen für sozial und ökologisch gerechtes Bauen und Wohnen
- Ortskernstärkung
Zum Schutz von Frei- und Grünland, für ein Ende der Zersiedelung und die Stärkung der sozialen Strukturen bedarf es einer Rückbesinnung auf die Ortsmitte, die in den letzten Jahrzehnten durch dezentrale Siedlungserweiterungen entvölkert wurde. Mit einem Fokus auf Innen- vor Außenentwicklung werden die Wanderbewegungen an die Siedlungsränder gestoppt, die Ortsmitte nachverdichtet und gestärkt – lieber Krapfen statt Donut!
Bei österreichweit 40.000 Hektar Leerstand muss die Nutzung von Bestandsimmobilien Vorrang vor Neubau haben. Ein bewährtes Mittel dafür ist ein effektives Leerstandsmanagement, das die unterschiedlichen Interessen vernetzt und von Politik, Eigentümer:innen, Planer:innen und Bevölkerung gemeinsam getragen wird.
Dort wo man entsprechende Konzepte erfolgreich umgesetzt hat, war ein:e Ortskernkoordinator:in die zentrale Informations- und Koordinationsstelle. Sie ist eine „Kümmerer-Person“ –, die dem Anliegen ein Gesicht gibt und die notwendigen Bestandteile einer lebendigen Innenstadt zusammenbringt: wie zum Beispiel Hausbesitzer:innen und Gewerbetreibende, Gastronomie, Ärzt:innen und Therapeut:innen, Apotheken, kleine Handwerksbetriebe, Start-Ups und Kreativbüros.
Um Zwischennutzungen, neue Wohnformen und kreative Bündnisse hervorzubringen, macht die Bildung von Interessensgemeinschaften und Genossenschaften Sinn, auch gemeindeübergreifend, denn es gilt unterschiedliche Interessen und Bedürfnisse zu betreuen und zu koordinieren: Für Hauseigentümer:innen ist Unterstützung hinsichtlich Sanierung und ökologisches Bauen wichtig, für Unternehmen finanzielle Förderungen zur Ansiedlung. Leerstand- und Versiegelungsabgabe unterstützen diese Entwicklung. Durch eine lustvolle Einbeziehung der Bevölkerung werden Notwendigkeiten ermittelt und Nachhaltigkeit garantiert.
Ein Vorzeigebeispiel für die erfolgreiche Innenstadtrevitalisierung ist die steirische Gemeinde Trofaiach. 2014 tat sie sich mit Stadtplaner:innen zusammen, installierte einen Innenstadtkoordinator und band von Beginn an die Bevölkerung mit ein, um den ausgestorbenen Stadtkern wiederzubeleben. Bereits drei Jahre später waren rund zwei Drittel des Leerstandes durch Betriebe, Zwischennutzungen und Start-Ups wiederbesiedelt. Das Wirtshaus wurde wieder eröffnet, öffentliche Veranstaltungen wie Triathlon, Flohmärkte und Open-Air-Kino tragen nun zum lebendigen Ortskern bei. 2018 gab es dafür den ÖGUT Umweltpreis im Bereich Partizipation und zivilgesellschaftliches Engagement.
- Bauland-Preisdeckel
Mit einem Bauland-Preisdeckel greifen Gemeinden aktiv in den Immobilienmarkt ein und können so Bebauung und nachbarschaftliche Struktur mitbestimmen. Es braucht kluge Rahmenbedingungen für Umwidmungen wie einen Preisdeckel, festgesetzten Grünanteil, etc. Kommunen können für die Genehmigung von Umwidmungen weitere Kriterien im Sinne ökologischer und gemeinschaftlicher Interessen festlegen.
Eine Vorreiterrolle nimmt hier die Stadtgemeinde Gallneukirchen im Mühlviertel ein: Im Sommer 2023 beschloss dort der Gemeinderat den Quadratmeterpreis auf 190 Euro zu begrenzen. Gleichzeitig wurden weitere Kriterien für zukünftige Umwidmungen aufgestellt: Baulückenschließung, Zentrumsnähe, vorhandene Infrastruktur und Bauvorhaben unter Rücksichtnahme von Gemeinschafts- und Umweltinteressen. Durch diesen Schritt beeinflusst Gallneukirchen auch die Preisgestaltung der Umlandgemeinden.
- Wohnbau & neue Wohnformen
Der gemeinnützige Wohnbau muss am Wohnungsmarkt gestärkt werden, um der gesamten Bevölkerung zur Verfügung zu stehen. Nur eine soziale Durchmischung am Wohnort garantiert eine integrative Gesellschaft mit Verständnis für andere Lebensrealitäten – und ohne „Reichen- und Armenghettos“.
Bereits bei der Vergabe von Bauland und -rechten muss steuernd durch die öffentliche Hand eingegriffen werden, um geförderten Wohnungsneubau zu stärken. Das Augenmerk muss dabei auf sozial treffsicherer Wohnungsvergabe, Leistbarkeit, Niedrigenergiebauweise und ökologischen Baustandards liegen.
Ebenso bedarf es guter Ideen für altersgerechten Wohnens, und zwar sowohl bei Bestandsimmobilien als auch im Neubau. Zur Wiederbelebung vereinsamter Einfamilienhäuser können mittels geförderten Umbau Teile des Hauses zu einer Einliegerwohnung oder zu einer Wohngemeinschaft mit geteiltem Sozialraum werden. Wohnmodelle mit individuellen Einzelwohnungen und Gemeinschaftsräumen haben aber nicht nur bei Bestandsimmobilien Zukunftspotenzial; auch neu initiierter Wohnbau muss auf die veränderte Gesellschaftsstruktur reagieren.
Wichtig hierbei sind die Durchmischung aller Bevölkerungsteile, sowohl nach sozialen Kriterien als auch nach Altersgruppen. Generationenwohnen, Co-Housing und kombinierte Wohnformen, die Kinderbetreuung oder Krankenpflege integrieren, sind wichtige Antworten für eine offene, integrative Gesellschaft, die die Potenziale aller Bevölkerungsteile nutzen möchte.
Raumplanung in Österreich muss neu gedacht und reguliert werden. Dies erfordert eine umfassende gesellschaftspolitische Debatte sowie die aktive Beteiligung von Regierung, Planer:innen und Bevölkerung, um nachhaltige und zukunftsorientierte Lösungsansätze zu entwickeln und umzusetzen. Nur so kann eine ausgewogene, lebenswerte Umgebung für gegenwärtige und kommende Generationen geschaffen werden.
Zum Weiterlesen:
- Domke, C. (2023): Investor:innen: Heuschrecken im Wohnzimmer. Arbeit&Wirtschaft.
- Greiner, R. (2023): 70€ pro Quadratmeter günstiger: Gallneukirchen beschließt Bauland-Preisdeckel mit max. 190€/m2. Neue Zeit.
- Misik, R. (2023): Wird das Wohnen unleistbar?
- nonconform (2019): Das Wachküssen einer Innenstadt / Krapfen statt Donut – am Beispiel Trofaiach.
- Scientists for Future Österreich / Diskurs, das Wissenschaftsnetz (2023): Leistbares Wohnen ohne Flächenversiegelung – (Wie) Geht das?
- Stöger, H. / Biasior, S. (2023): Widmungskategorie Sozialer Wohnbau für mehr leistbares Wohnen. A&W Blog.
- VWBF – Verein für Wohnbauförderung (2023): Verein für Wohnbauförderung und SPÖ präsentieren Offensive für leistbares Wohnen.