Die Knappheit an Arbeitsplätzen und die daraus resultierende Arbeitslosigkeit erscheint als zentrale Hausforderung der heutigen Gesellschaft. Automatisierung, der digitale Strukturwandel und die Notwendigkeit eines ökologischen Umbaus unseres Wirtschaftssystem werden den Mangel an Arbeitsplätze noch zusätzlich verschärfen. Wie aber gewährleisten wir als Gesellschaft, dass möglichst viele Menschen in den Genuss der psychosozialen Vorteile von Erwerbstätigkeit kommen? Denn Erwerbsarbeit ist nicht nur materielle Grundlage für viele, sondern sie ist auch Voraussetzung für soziale Teilhabe und grundlegend für das menschliche Wohlbefinden. Eine Jobgarantie setzt das um und bringt uns der Durchsetzung des Rechts auf Arbeit einen Schritt näher. Von Dennis Tamesberger & Simon Theurl. Zur PDF Version.
Langzeitarbeitslosigkeit deutlich gestiegen
Der Konjunkturaufschwung der letzten Jahre hat zwar zur Entspannung am Arbeitsmarkt beigetragen. Die Anzahl an Langzeitarbeitslosen bleibt jedoch problematisch hoch. Im Jahresdurchschnitt 2018 waren rund 145.000 Menschen in Österreich langzeitbeschäftigungslos.
Das heißt sie waren über ein Jahr beim AMS als arbeitslos vorgemerkt, in Schulung oder auf Lehrstellensuche und das ohne Unterbrechungen von mehr als 62 Tagen. In den letzten 10 Jahren hat sich die Zahl der Langzeitbeschäftigungslosen fast verdreifacht.
Langzeitbeschäftigungslosigkeit bringt neben dem Einkommenverlust Verschlechterungen im Gesundheitszustand und der Lebenszufriedenheit mit sich. Das zeigt sich in den negativen Auswirkungen auf die individuelle Selbstachtung, die Zeitnutzung und das gesellschaftliche Zugehörigkeitsgefühl sowie in weiterer Folge auf das Bewusstsein für kollektive Verantwortung. Gesellschaftlich stellt Langzeitbeschäftigungslosigkeit ein gravierendes Problem dar, da sie zu sozialer Isolation und zu politischer und zivilgesellschaftlicher Inaktivität führen kann. Ökonomisch ist sie Ausdruck versäumter Möglichkeiten, da der gesamtwirtschaftliche Output unter dem Möglichen liegt. Langzeitbeschäftigungslosigkeit vergeudet somit Potenziale, Wissen, Qualifikationen, Kompetenzen und Fachkräfte, die sowohl im öffentlichen wie auch im privaten Sektor gut genutzt werden könnten.
Mythos falsche Anreize
Im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise haben viele Menschen ihren Job verloren. Aufgrund der extremen Knappheit an Arbeitsplätzen und der zurückhaltenden Personalpolitik der Unternehmen hatten sie es in den Folgejahren besonders schwer den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt zu schaffen. Das Resultat ist die wachsende Zahl an Langzeitbeschäftigunglosen, die in den letzten Jahren der konjunkturellen Erholung und des Wirtschaftswachstums nur geringfügig gesunken ist.
Längerfristige Arbeitslosigkeit geht an den Betroffenen nicht ohne Spuren vorbei und führt häufig zu einer Entwertung ihrer Qualifikationen und Kompetenzen, zu Demotivation und kann den gesundheitlichen Zustand beeinträchtigen. Dies erschwert die Jobsuche.
Hinzu kommt, dass die Arbeitslosigkeitsdauer den Arbeitsuchenden als Stigma anhaftet, bereits nach 10 Monaten wird man seltener zu Vorstellungsgesprächen eingeladen. Anders ausgedrückt, Langzeitarbeitslose müssen sich in der Schlange um die verfügbaren Jobs ganz hinten anstellen. Diese Stigmatisierung wird durch öffentliche Debatten, in denen Arbeitslosen pauschal „Arbeitsunwilligkeit“ unterstellt wird und in denen mehr Sanktionen bzw. „Anreize“ gefordert werden, verstärkt.
Damit findet eine Umdeutung der Ursachen von Arbeitslosigkeit statt. Das Faktum „es gibt zu wenige Jobs für die, die einen brauchen“ wird zur Problemdarstellung „die Menschen sind nicht bereit zu arbeiten.“ Arbeitslosen Menschen wird dabei die alleinige Verantwortung für ihre missliche Lage übertragen, während die Rolle von Unternehmen und Politik in den Hintergrund gerät. All jene die „falsche Anreize“ als einzige Ursache von Arbeitslosigkeit verkünden, transportieren damit ideologische Motive: Sie wollen, dass Arbeitslose und im speziellen Langzeitarbeitslose jeden Job um jeden Preis annnehmen müssen und, dass das solidarisch ausgerichtete Sozialversicherungssystem kaputtgespart wird.
Als Resultat entfaltet sich die disziplinierende Wirkung von Arbeitslosigkeit weit in die Erwerbsgesellschaft: die Bereitschaft schlechte Beschäftigungsverhältnisse zu akzeptieren steigt genauso wie die Verhandlungsmacht der UnternehmerInnen gegenüber den Lohnabhängigen.
Die Jobgarantie: eine einfache und elegante Lösung
Vor dem Hintergrund der hohen Langzeitbeschäftigungslosigkeit in Österreich erscheint eine staatliche Jobgarantie als einfache aber auch elegante Lösung: Es werden öffentliche oder gemeinnützige Arbeitsplätze finanziert, anstatt Arbeitslosengelder auszubezahlen. Die öffentliche Hand schafft für alle Langzeitarbeitslosen mit besonderen Vermittlungsschwierigkeiten eine sinnvolle Beschäftigungsmöglichkeit. Der Sozialstaat kann als Gemeinschaftsprojekt erlebt werden, indem die BürgerInnen und die Betroffenen in die Wahl der geförderten Projekte einbezogen werden. Finanziert wird das zu einem Großteil mit dem Geld das ansonsten für Sozialleistungen ausgegeben wird.
Ziele und Nutzen der Jobgarantie:
- Der Staat agiert als letzter Anbieter einer Beschäftigungsmöglichkeit, für alle die am “Markt” keine Arbeit finden.
- Sie garantiert, dass alle die Möglichkeit haben grundlegende menschliche Bedürfnisse zu befriedigen, die in den Industriestaaten traditioneller Weise durch Erwerbsarbeit erfüllt werden.
- Sie ermöglicht soziale Teilhabe durch Beschäftigung.
- Sie verringert Erwerbslosigkeit, Armut und Ungleichheit.
- Arbeitslose erhalten durch die Jobgarantie ihre bestehenden Qualifikationen, eignen sich neue an und bauen Netzwerke auf. Demotivation und einem kompletten Rückzug vom Arbeitsmarkt wird so entgegengewirkt.
- Die Gesellschaft profitiert von sinnvollen Produkten oder Dienstleistungen, die im Rahmen der Jobgarantie hergestellt werden.
- Sie wirkt antizyklisch und stabilisiert somit die Konsumnachfrage und Steuereinnahmen in wirtschaftlich schwierigen Zeiten.
- Gezielt werden sinnvolle regionalpolitische Projekte gefördert und vorangetrieben.
- Sie ermöglicht den Sozialstaat als Gemeinschaftsprojekt zu erleben und demokratische Partizipation zu stärken, indem man BürgerInnen und die Betroffenen in die Wahl der Projekte einbezieht.
Für jene, die die geringsten Chancen haben
Die Jobgarantie richtet sich an jene Personen, die sie am dringendsten benötigen, weil sie sonst keine Chancen mehr am Arbeitsmarkt bekommen. Um Kosten und Mitnahmeeffekte einzugrenzen, bieten sich zwei Kriterien zur Definition der Zielgruppe an: Einerseits ein höheres Alter, weil ältere Beschäftigungslose eine viel geringere Wahrscheinlichkeit haben am Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen. Sie brauchen aber eine Perspektive, sonst droht die Altersarmut. Zweitens die Dauer der vorangegangenen Arbeitslosigkeit, um jene Personengruppe zu unterstützen, die schon am längsten unter der Desintegration leidet.
Aus diesen Gründen macht es Sinn eine Jobgarantie zunächst für alle Langzeitbeschäftigungslosen (Geschäftsfalldauer über zwei Jahre) mit einem Alter ab 45 Jahren, die einen Anspruch auf eine AMS-Leistung haben, einzuführen. In Österreich betrifft das circa 40.000 Menschen. Sobald genügend Erfahrungswerte und entsprechende regionale Strukturen vorhanden sind, ist eine schrittweise Ausweitung der Jobgarantie anzustreben.
Was würde die Jobgarantie kosten?
Durch den Tausch der Ausgaben für Arbeitslose in Erwerbseinkommen, lässt sich der Großteil der Investitionen finanzieren: 40.000 neu geschaffene Jobs, die mit 1.928 € brutto im Monat entlohnt werden, benötigen zusätzliche Investitionen von etwa 270 Millionen Euro. Dies soll aus Steuermittel finanziert werden.
Im Vergleich zu Steuerermäßigungen für Unternehmen, wie die von ÖVP/FPÖ angedachte Senkung der Körperschaftsteuer von 25 Prozent in Richtung 20 Prozent, die rund 1.500 Mio. Euro an Kosten verursachen würde, sind die Mehrkosten für die Jobgarantie, von der die gesamte Gesellschaft profitiert, äußerst gering.
ZUM WEITERLESEN
• Figerl, J./Tamesberger. D./ Theurl, S. (2019): Wiedereinführung der Aktion 20.000
dringend notwendig. Online: https://awblog.at/wiedereinfuehrung-aktion-20000/
[27.08.2019].
• Nüß, P. (2017): Duration Dependence as an Unemployment Stigma: Evidence from
a Field Experiment in Germany. IMK-Working Paper 184. Düsseldorf:
Hans-Böckler-Stiftung.
• Picek, O. (2019): Eine Jobgarantie für Österreichs Langzeitarbeitslose. Online:
http://oliverpicek.com/wp-content/uploads/2019/01/ELRAustria.pdf [28.05.2019].
• Schobesberger, T./ Tamesberger, D. (2018): Herausforderung Langzeitarbeitslosigkeit.
Was wäre zu tun? WISO 41 (2), 167-179.