Geld und Profit als alleiniger Maßstab weisen oft falsche Wege am Markt. Es stellt sich die Frage, wie können wir die Märkte in den Griff kriegen? Von Valerie Buttler & Klaus Baumgartner. Zur PDF Version.
Mit einem neuen Blickwinkel und klaren Handlungsvorschlägen für dieses schon lange diskutierte Problem wurden die Linzer Ökonomen Jakob Kapeller, Bernhard Schütz und Dennis Tamesberger von einer Jury unter dem Vorsitz von Nobelpreisträger Joseph Stiglitz ausgezeichnet. Im Zentrum ihres Konzeptes stehen Prinzipien, die internationalen Handel mit universellen Werten wie Gerechtigkeit, Würde und Fairness in Einklang bringen, kurzum ein Wirtschaftssystem, das die Zivilisierung der Märkte zum Ziel hat.
Mechanismen freilegen und ändern
Als vor vier Jahren in Bangladesch eine Textilfabrik einstürzte und mehr als 1.000 Arbeiterinnen und Arbeiter zu Tode kamen, beherrschten die Schicksale der Näherinnen und Näher, die für globale Konzerne arbeiten, die Titelseiten in ganz Europa. Seit damals stehen die Lebens- und Arbeitsbedingungen in den Ländern des globalen Südens immer wieder im Fokus der europäischen Öffentlichkeit – allerdings nur dann, wenn wieder Menschen an den Arbeitsbedingungen zugrunde gehen. Doch warum muss die Produktion von Waren krank machen oder gar zum Tode führen? Schlechte Produktionsbedingungen, niedrige Umweltstandards oder Ressourcenverschwendung sind keine unumstößlichen Naturgesetze. Es gilt jene Mechanismen freizulegen und zu ändern, die hier ein gedeihliches globales Zusammenleben verhindern: Die Situation in Bangladesch ist eine Folge bewusster politischer und betriebswirtschaftlicher Entscheidungen, die auch in eine andere Richtung verlaufen könnten.
Uneingeschränkt unmoralisch
Gerade in einer globalisierten Wirtschaft tendiert der uneingeschränkte Wettbewerb dazu, zentrale Werte des Zusammenlebens zu untergraben. Wer soziale Verpflichtungen gegenüber anderen vermeidet, schafft sich einen Wettbewerbsvorteil. Jene Unternehmen, die in Ländern wie Bangladesch Textilien unter den widrigsten Umständen (katastrophale und gesundheitsschädliche Arbeitsbedingungen an denen regelmäßig Menschen sterben; Kinderarbeit, Lohndumping, Verbot bzw. Kampf gegen gewerkschaftliche Organisationen) produzieren, zählen zu den Markführerinnen der Textilbranche. Sie setzen mit ihren niedrigen Standards die unter Druck, die soziale und ökologische Vorgaben einhalten wollen und damit kostenintensiver produzieren. Primark, H&M und Co überfluten den Markt mit ihren Billigprodukten und Wegwerfwaren. Diese Ökonomie des „immer billiger“ und „immer mehr“ hat klare Auswirkungen auf die Situation vor Ort: Von den Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen und steigendem Lohndruck, über ökologischen Raubbau und Kinderarbeit, bis hin zu mangelnder Verarbeitung und sinkender Qualität der Produkte zeigt sich diese Abwärtsspirale weltweit.
Doch es geht auch anders
Eine mögliche Form den Markt nach universellen, sozialen Werten auszurichten wird in Japan seit 14 Jahren erfolgreich angewandt – das sogenannte Top-Runner- Programm. Hierbei wurden bestimmte Produktdimensionen, die zwar als gesellschaftlich relevant erachtet werden, jedoch wenig Einfluss auf das individuelle Konsumverhalten haben, aus dem Kostenwettbewerb genommen. Im Zuge des Top-Runner-Programms gibt die japanische Regierung für verschiedene Produktkategorien (z. B.: Autos, Klimaanlagen, Kühlschränke, Kochgeräte, Unterhaltungselektronik, andere elektronische Haushaltsgeräte usw.) Energiestandards für eine Periode von 3–10 Jahren vor. Das energieeffizienteste Produkt seiner Klasse gilt dabei als Maßstab. Bei Nichteinhaltung der vorgegebenen Standards wird streng vorgegangen: Zunächst unterbreitet das Ministerium den ProduzentInnen einen Vorschlag, wird diesem nicht nachgekommen, geht die Behörde damit an die Öffentlichkeit. Werden die Standards weiterhin nicht erfüllt, wird sanktioniert: von Strafzahlungen bis hin zum Verkaufsverbot.
Europäische Aufsichtsagentur für Handelswaren
Die Autoren zeigen aber nicht nur die Folgen deregulierter und liberalisierter Märkte auf, sondern entwickeln ein alternatives Handlungsszenario für die Europäische Union. Zentral für Kapeller, Schütz und Tamesberger ist das Konzept einer „Europäischen Aufsichtsagentur für Handelswaren (EACS)“. Für die neu geschaffene Institution sollen die Arbeitsbedingungen, die Produktqualität und der Umwelteinfluss im Produktlebenszyklus (Produktion, Gebrauch, Entsorgung) zu relevanten Kriterien für Produktstandards werden.
Die EACS fußt dabei auf zwei Säulen: Einerseits die Einhaltung von Arbeitsstandard (Division of Adherence of Labor Standards – DALS) sowie andererseits der Sektor für Nachhaltigkeit und Produktqualität (Division for Sustainability and Product Quality – DSPQ). In den Aufgabenbereich des Bereichs Arbeit fallen Aspekte, die sich auf die Kontrolle von Arbeitsbedingungen (Sicherheit, Auswirkungen auf die Gesundheit), ArbeitnehmerInnenrechten (insbesondere die Vereinigungsfreiheit), sozialer Sicherheit und die Entlohnung beziehen. Der Bereich Qualität und Nachhaltigkeit ist hingegen für die Produktqualität und Umweltauswirkungen über den Produktlebenszyklus verantwortlich. Dabei geht es vor allem um Fragen der Lebensdauer und (geplanter) Alterung sowie Energieeffizienz, Abfallvermeidung und KonsumentInnengesundheit.
Ob eine Produktklasse unter die Aufsicht der Agentur gestellt wird, entscheidet sich daran, ob die jeweiligen Produkte in großen Mengen verkauft werden und der Spielraum zur Verbesserung von Produktionsbedingungen oder den genannten Produkteigenschaften groß ist.
Was besser wird
Eine Europäische Aufsichtsagentur für Handelswaren stellt das Primat der Politik gegenüber den Märkten wieder her. Denn das Gewicht, das der gemeinsame europäische Binnenmarkt hat, wird in die Waagschale geworfen, um multinationalen Konzernen die Stirn zu bieten, die die Ausbeutung von Menschen in Ländern des globalen Südens sowie Raubbau an der Umwelt ignorieren oder gar für den eigenen Profit in Kauf nehmen. Es liegt somit künftig nicht mehr an einzelnen Individuen, sondern an gesamtgesellschaftlichen und demokratisch legitimierten Einrichtungen die Standards zu kontrollieren und durchzusetzen.
Wie bei jeder Form von Regulierung birgt auch diese das Risiko, wirtschaftliche Prozesse durch ein Übermaß an Vorschriften zu verlangsamen oder zu blockieren. Eine Reihe von Untersuchungen verweisen jedoch auf gegenteilige Effekte: Angemessen gestaltete Vorgaben für Produkte befördern Innovationen und der damit verbundene Nutzen für die Unternehmen übersteigt die Kosten der Regulierung um ein Vielfaches. Gerade im Umweltbereich zeigt sich diese Innovationskraft sehr deutlich: „Intelligente“ Regeln und steigende Geschäftsrisiken für Umweltverschmutzer waren und sind in vielen Bereichen die treibenden Kräfte für ökologische Modernisierung und Fortschritt.
Für die einzelnen KonsumentInnen bringt die Europäische Aufsichtsagentur für Handelswaren sowohl eine Qualitätssteigerung der Produkte als auch die Gewissheit, nachhaltig und menschwürdig zu konsumieren. Die Implementierung der EACS ergänzt das von Juncker geplante Konjunkturpaket und hilft somit auch der europäischen Wirtschaft bei der Generierung von nachhaltigem Wohlstand.Für die Autoren der Studie ist klar: „Ein solcher institutioneller Wandel bietet die Möglichkeit, Europa effizienter und grüner sowie den internationalen Handel fairer zu gestalten. Er sollte die innovativen Möglichkeiten marktbasierter Systeme für die Gesellschaft optimal nutzbar machen, anstatt globale und lokale Standards nach unten zu nivellieren. Ähnlich dem Top-Runner-Programm verfolgt die vorgeschlagene Institution das Ziel, die mit dem Konzept der sinkenden Grenzmoral assoziierte Erosion von sozialen und moralischen Standards umzukehren, indem sie die Moral zu einem zentralen Faktor im marktlichen Wettbewerb erhebt.“
Die EACS kann somit einen Schlüssel für viele europäische Herausforderungen darstellen und auf breite europäische Anerkennung stoßen. Vereinigungsfreiheit), sozialer Sicherheit und die Entlohnung beziehen.
ZUM WEITERLESEN
• Das ganze Paper von Jakob Kapeller, Bernhard Schütz und Dennis Tamesberger: Moralität, Wettbewerb und internationaler Handel: Eine europäische Perspektive
• Progress Economy ist eine Initiative mit dem vorrangigen Ziel einer öffentlichen und fundierten Debatte über die Wirtschafts- und Sozialpolitik auf europäischer, nationaler und globaler Ebene um progressives Denken in diesen Bereichen auf akademischer und politischer Ebene aktiv zu fördern. www.progressiveeconomy.eu
• Kommentar in der Wiener Zeitung: Zivilisierter Handel ist möglich.
• Kommentar im Standard: Mehr Moral am freien Markt.