Offener Brief: Vorwärts oder bremsen?

by Georg Hubmann

Für die Lösung der Finanzkrise stehen wichtige Tage an. Es wird um die Entscheidung gehen, ob beschleunigen oder bremsen der richtige Weg ist. Klar ist, dass der Fiskalpakt ein sehr hartes Bremsmanöver darstellt und der Wachstumspakt zu wenig Energie für neuen Schwung beinhaltet. Diese Meinung teilen viele Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis, die im Umfeld des Marie Jahoda – Otto Bauer Instituts tätig sind. Als Unterstützung bei der Meinungsfindung vor der Abstimmung im Parlament ging dieses Schreiben an die Sozialdemokratischen Abgeordneten. Zur Verdeutlichung von Auswegen aus der Krise wurden die Ausgaben 1 und 4 der Perspektiven mitversandt. Hier der Begründungstext:

Der Fiskalpakt stranguliert Europa
Der Fiskalpakt ist die falsche Antwort auf die Finanz- und Wirtschaftskrise. Er verschlechtert die Lage Europas, weil den wahren Ursachen der Krise nicht begegnet wird. Im Gegenteil wird so Demokratie abgebaut und die Macht der Parlamente eingeschränkt mit dem Ziel, soziale Errungenschaften einzusparen und den öffentlichen Sektor zu schwächen. Das ist der falsche Weg für alle, die für ein fortschrittliches Europa eintreten, in dem die Menschen in Wohlstand und Zufriedenheit leben können.

Der Fiskalpakt ist wirtschaftspolitisch falsch
Solide öffentliche Haushalte sind nur bei entsprechendem Wirtschaftswachstum möglich und nicht durch die einseitige Kürzungspolitik des Fiskalpakts. Die Bestimmungen in der Schuldenregel und Defizitregel führen gemeinsam dazu, dass öffentliche Zukunftsinvestitionen in Bildung, Soziales, Infrastruktur oder Umweltanliegen nicht mehr möglich sein werden. Im Zuge von Entlassungen und der Kürzung von Sozialleistungen entsteht eine Abwärtsspirale, die in die Rezession führt und so letztlich auch privaten Unternehmen schadet. Der Fiskalpakt ignoriert den Zusammenhang zwischen Staatsausgaben und Konjunktur. Die Folgen sind in den südeuropäischen Staaten deutlich sichtbar: Die Konjunktur bricht ein und die Staatsverschuldung steigt genauso wie die Arbeitslosigkeit. Die strenge Sparpolitik ist damit bereits gescheitert! Europa droht damit eine Phase der Deflation und damit der Stagnation, wie sie Japan seit der Wirtschaftskrise Anfang der 1990er Jahre durchmacht.
Die richtigen Antworten auf die Finanz- und Wirtschaftskrise müssen bei den wahren Ursachen ansetzen: die steigende Ungleichverteilung der Vermögen, makroökonomischen Ungleichgewichte innerhalb der Eurozone und die unregulierten Finanzmärkte. Auf diese strukturellen Probleme müssen wir rasch reagieren, dann sinken auch die Staatsschulden!

Der Fiskalpakt ist ein Schaden für die Demokratie
Der Fiskalpakt sieht keine Kündigungsklausel vor, er kann nicht von einzelnen Mitgliedsstaaten, sondern nur einstimmig von allen Mitgliedsländern gekündigt oder geändert werden, was einer Ewigkeitsgarantie gleichkommt. Dabei werden die Rechte der Parlamente in Haushaltsfragen eingeschränkt: Weicht der Staat vom Budgetziel ab (0,5% des BIPs Schuldenbremse), wird ein automatischer Korrekturmechanismus ausgelöst, dessen Grundsätze von der nicht demokratisch legitimierten EU-Kommission erst vorgegeben werden. Zudem müssen Staaten im Falle eines Defizitverfahrens (>3% des BIPs) ihr Budget („Programm mit Sturkurreformen“) von EU-Kommission und EU-Rat genehmigen lassen. Da viele der Bestimmungen auch Kommunen und Sozialversicherungsträger betreffen, sind sie gerade für Maßnahmen der Daseinsvorsorge und des Sozialstaates ein großer Hemmschuh.
Ungeklärt ist weiterhin die zentrale rechtliche Frage, ob der Fiskalpakt nicht als Teil der vertraglichen Grundlagen der EU bewertet und deshalb mit einer Zweidrittel-Mehrheit ratifiziert werden muss. Führt diese, von vielen ExpertInnen geführte Argumentation im Nachhinein zu einer Aufhebung des Fiskalpakts, so geht das wiederum zu Lasten des Ansehens der Demokratie im Allgemeinen und der Politik im Speziellen.

Der Fiskalpakt ist ein Anschlag auf den Sozialstaat
Der Fiskalpakt verschärft und institutionalisiert die sogenannte Sparpolitik. Dies passiert zu 80% ausgabenseitig und damit zu Lasten jener staatlichen Leistungen, für die wir als Sozialdemokratie jahrzehntelang gekämpft haben. Konkret werden Löhne, Arbeitslosengelder und Pensionen gekürzt. Bei dem zeitlichen und institutionellen Druck, der durch den Fiskalpakt entsteht, bleibt den Staaten keine Alternative mehr, als den Weg der Ausgabenkürzungen zu gehen.

 

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