Die Corona-Krise trifft Menschen unterschiedlich hart. Wer bereits vor der Krise bessergestellt war, schaffte es bisher auch leichter durch die Krise. Von Nora Waldhör. Zur PDF-Version.
Nachdem sich das Coronavirus im Frühjahr 2020 rasch auf der ganzen Welt verbreitet hat, wurde sehr früh klar, dass es sich dabei zwar primär um eine Gesundheitskrise handelt, die sozialen und ökonomischen Folgen jedoch weitreichend sein werden. Jene Personengruppen, die bereits vor der Krise aufgrund struktureller Benachteiligungen schlechter gestellt waren, sind auch durch die Corona-Krise stärker betroffen. Eine Gruppe, für die die Folgen besonders spürbar sind, sind Frauen.
Die Ursachen wurzeln in einer patriarchalen Geschlechterordnung
Geschlechterungleichheit ist kein Resultat der Corona-Pandemie. Vielmehr war die Situation vieler Frauen bereits davor prekär. Alleinlebende Frauen haben mit etwa 34 % ein höheres Risiko von Armut oder Ausgrenzung betroffen zu sein als Männer mit etwa 29 %. Unter den Ein-Eltern-Haushalten, in denen zum Großteil alleinerziehende Mütter leben, ist das Risiko von Armut und Ausgrenzung betroffen zu sein mit 46 % am höchsten: Fast jede zweite alleinerziehende Mutter und ihre Kinder sind in Österreich von Armut- und Ausgrenzung bedroht.
Nach wie vor ist unsere Gesellschaft patriarchal und unser Wohlfahrtsstaat nach dem männlichen Ernährermodell (Male-Bread-Winner-Model) organisiert. Demnach übernimmt der Mann die Aufgabe des Familienernährers am Arbeitsmarkt. Über sozialstaatliche Leistungen sind in weiterer Folge er selbst sowie die Familie gegen soziale Risiken, wie bspw. Alter und Arbeitslosigkeit, finanziell abgesichert. Die Frau übernimmt die unbezahlte Hausarbeit, Kindeserziehung sowie Altenpflege. Doch dieses Bild passt kaum zu heutigen Lebensrealitäten: Viele Frauen gehen ebenso einer Erwerbsarbeit nach, oder leben nicht mit einem Mann oder dem Kindesvater in einer Beziehung. Frauen liegen in den Bildungsstatistiken vor den Männern und der Anteil der erwerbstätigen Frauen ist stark gestiegen, dennoch fallen viele junge Eltern nach der Geburt des 1. Kindes in alte Rollenmuster zurück. Häufig reduzieren Frauen die Stundenanzahl, um Familie und Beruf vereinbaren zu können, denn das Kinderbetreuungsangebot ist oft lückenhaft. Aufgrund der geschlechterspezifischen Zuschreibung von Kinderbetreuungspflichten übernehmen meist die Frauen diese. Das trägt dazu bei, dass Frauen – insbesondere jene, die mit keinem Mann zusammenleben – deutlich schlechter gegen Armut abgesichert sind. Denn in unserem Wohlfahrtsstaatsmodell hängt nicht nur der Zugang zu bestimmten sozialen Leistungen von einer vorherigen Erwerbsarbeit ab, auch die Höhe der Leistung wird nach dem vorherigen Gehalt bemessen. So sind bspw. die Bezüge aus der Arbeitslosenversicherung oder der Pensionsversicherung von Frauen häufig deutlich niedriger, da sie, zusätzlich zu den bestehenden Gehaltsunterschieden, insbesondere im Falle einer Mutterschaft, häufig nur Teilzeit oder noch weniger arbeiten.
Darüber hinaus zeigen sich geschlechterspezifische Unterschiede am Arbeitsmarkt, u.a. hinsichtlich des Ausmaßes der Beschäftigung, der Bezahlung sowie der Branche. Die Arbeit von Frauen wird auch heute noch deutlich schlechter bewertet und daher auch schlechter bezahlt, verdienten doch Frauen im Jahr 2020 um rund 20 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Kindeserziehung sowie Hausarbeit wird nicht als Arbeit betrachtet und daher auch nicht entlohnt, aber auch bezahlte Erwerbsarbeit von Frauen wird nach wie vor schlechter bezahlt. Zudem sind Frauen häufig in Branchen tätig, die arbeitsrechtlich schlechter abgesichert sind und die Beschäftigungsverhältnisse häufig prekär oder atypisch (z.B. Teilzeit) sind, wie etwa in der Pflege, dem Handel oder der Gastronomie.
Schwierige Vereinbarkeit von Beruf und Familie
Ähnlich wie in offiziellen Zeitverwendungserhebungen üblich, baten wir die Menschen ihre Zeitverwendung von gestern bzw. vom letzten Werktag in Intervallen von Viertelstunden anzugeben. Für viele Menschen ergab sich durch die Begrenzung auf 24 Stunden eine große Schwierigkeit, denn vor allem Nebentätigkeiten verschärften sich durch den Lockdown enorm – zum Beispiel, wenn Kinder während des Home-Office im gleichen Zimmer betreut werden (mussten). Eine wesentliche Rückmeldung der Befragten, dass Tage während des Lockdowns keine 24 Stunden hatten, sondern vielmehr 36 bis 42 Stunden, spiegelt diese Überbelastung wider.
Die Corona-Krise trifft Frauen auf unterschiedliche Weise
Frauen sind häufig in Branchen tätig, die besonders von der Krise betroffen sind, bspw. die Gastronomie und Hotellerie, aber auch viele Bereiche des Handels. Ende Juni 2020 waren von den 64.146 Corona-Arbeitslosen 54.702 weiblich und lediglich 9.444 männlich. Im Jänner 2021 waren im Vergleich zum Vorjahr um rund 42 % mehr Frauen arbeitslos, als im Jänner 2020, unter den Männern waren es etwa 25 %. Ein Grund für die hohe Arbeitslosigkeit ist neben der hohen Betroffenheit von frauendominierten Branchen auch die schlechtere Absicherung in diesen Branchen:
Während Männer häufig von Kurzarbeit profitierten, verloren Frauen ihren Job. Das zeigt die Verwendung der Mittel für Kurzarbeit. Im Zeitraum von Juli bis September 2020 wurden ca. 715 Millionen (37 %) Euro für Frauen und ca. 1.200 Millionen (63 %) Euro für Männer in Kurzarbeit aufgewendet. Doch auch für all jene, die ihren Job trotz Corona-Krise behalten haben, ist die Situation nicht einfach: Tagtäglich riskieren zahlreiche Frauen in systemerhaltenden Gesundheits- und Pflegeberufen sowie im Handel nicht nur ihre eigene Gesundheit, sondern auch die Gesundheit ihrer Familienangehörigen für das Wohl unserer Gesellschaft. Denn das Privileg, sich in Selbstisolation zu begeben und vom Home-Office aus zu arbeiten, haben weit nicht alle Frauen. Als Dank und Anerkennung ernteten sie Applaus während des 1. Lockdowns, doch dieser bezahlt bekanntlich keine Rechnungen. Die Bezahlung in systemerhaltenden Berufen liegt meistens unter dem Medianeinkommen, also in der unteren Hälfte aller Einkommen.
Für all jene Frauen, die im Home-Office arbeiten, ist die Corona-Krise geprägt von Mehrfachbelastungen und Erschöpfung, insbesondere wenn im gleichen Haushalt Kinder leben und Schulen- und Betreuungseinrichtungen geschlossen sind. Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen zählten bisher zu jenen öffentlichen Einrichtungen, die als erstes geschlossen wurden und als letztes wieder öffneten. Das bedeutet eine enorme Herausforderung für alle Eltern, wodurch nach wie vor hauptsächlich Frauen mehrfachbelastet sind. In vielen Fällen übernehmen Frauen die Hauptverantwortung für Kinderbetreuung und Haushalt, denn zum einen sind traditionelle Rollenbilder nach wie vor stark verankert, zum anderen wird Arbeit unterschiedlich bewertet und in vielen Fällen wird die Tätigkeit des Mannes höher geschätzt, insbesondere wenn der Anteil des Mannes am Haushaltseinkommen höher ist. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts SORA arbeiteten Frauen während des 2. Lockdowns deutlich häufiger an Randzeiten, wie früh morgens, abends oder nachts, um Beruf und Kinderbetreuung sowie Hausarbeit zu vereinbaren. Zudem fühlten sich 51 % der befragten Frauen durch Vereinbarkeitsprobleme sehr belastet, bei den Männern lag die Zahl mit 40 % deutlich niedriger. Ein adäquates Konzept, das Kinderbetreuung und Bildung in öffentlichen Einrichtungen trotz Pandemie ermöglicht, fehlte im Jahr 2020 gänzlich.
Zunahme von häuslicher Gewalt
Ein weiteres Problem, das sich – wie auch in vielen vorherigen Krisen – auch während der Corona-Krise verschärft hat, ist häusliche Gewalt. Viele Familien sehen sich mit Arbeitslosigkeit und finanziellen Ängsten konfrontiert, wodurch es vermehrt zu Konflikt-Situationen kommt. Eine weitere Herausforderung stellen auch Selbstisolation und Ausgangssperren dar, die die ohnehin angespannte Situation noch zusätzlich verstärken. Eine groß angelegte, repräsentative Studie der TU München über die Situation in Deutschland zeigt, dass rund 3 % der 3.800 befragten Frauen während der strengen Kontaktbeschränkungen im 1. Lockdown von körperlicher Gewalt betroffen waren, 3,6 % wurden von ihrem Partner vergewaltigt und in 6,5 % der Haushalte wurden auch die Kinder gewalttätig bestraft. Für Österreich gibt es zwar keine vergleichbare Studie, allerdings berichten auch hier zu Lande Frauen- und Gewaltschutzeinrichtungen von
einer deutlichen Zunahme der Telefonanrufe und der Beratungsgespräche.
Das Recht auf Selbstbestimmung wird durch Corona bedroht
Was das Recht auf Selbstbestimmung angeht, ist ebenso ein Rückschritt festzustellen: Während des 1. Lockdowns im Frühjahr 2020 war es für viele Frauen kaum möglich, einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen. In vielen öffentlichen Spitälern war die Begründung, dass nur akute und dringende Eingriffe durchgeführt werden. Da in Österreich ein Schwangerschaftsabbruch jedoch nicht legalisiert, sondern lediglich in den ersten zwölf Wochen straffrei ist, stellt ein Schwangerschaftsabbruch für ungewollt Schwangere durchaus einen akuten und dringenden Eingriff dar. Die Einschränkung der Mobilität aufgrund von Ausgangssperren war insofern problematisch, da die notwendige Fahrt in die nächste große Stadt oder gar in ein anderes Bundesland deutlich schwieriger, bzw. im Falle von Kinderbetreuungspflichten oder einer Partnerschaft nicht ohne Begründung möglich war. In Tirol sowie in anderen Bundesländern gibt es laut der Österreichischen Gesellschaft für Familienplanung (ÖGF) lediglich eine Arztpraxis, in der während des 1. Lockdowns Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt wurden. Die Frage, ob es nicht vielmehr darum geht, ungewollt schwangeren Frauen den ohnehin schweren Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen noch zusätzlich zu erschweren, scheint berechtigt, da die Dringlichkeit durchaus gegeben ist. Schwangerschaftsabbrüche sind auch im Jahr 2021 ein sehr emotional diskutiertes und moralisch aufgeladenes Thema, weshalb viele Betroffene die Entscheidung allein treffen, ohne eine andere Person einzubeziehen. International wird der Gender Backlash noch deutlicher: In Polen wurde im Frühjahr 2021 ein Gesetz beschlossen, das Schwangerschaftsabbrüche fast gänzlich verbietet. Und auch in Ungarn wurden während der Corona-Pandemie äußerst homo- und transfeindliche Gesetze beschlossen: Etwa ein Gesetz, wonach die Elternschaft ausschließlich aus Mann und Frau bestehen darf, die Mutter muss eine Frau sein, der Vater ein Mann. Es gilt das Geschlecht, das zum Zeitpunkt der Geburt festgestellt wurde. Eine behördliche Änderung des Geschlechts wurde bereits im Mai 2020 verboten. Diese Fälle zeigen, dass die Corona-Pandemie genutzt wird, um erzkonservative Gesetze zu beschließen und das Recht auf Selbstbestimmung über den Körper, die Geschlechtsidentität sowie die Sexualität zu beschneiden, in der Hoffnung, dass die öffentliche Debatte ausbleibt.
Die Corona-Krise hat gezeigt, dass sich bestehende gesellschaftliche Probleme, Benachteiligungen am Arbeitsmarkt und in der Arbeitswelt, bei der Zunahme der häuslichen Gewalt oder bei der Einschränkung des Rechts auf Selbstbestimmung im Zuge der Krise deutlich verschlechterten. Frauen müssen in vielerlei Hinsicht als Verliererinnen der Krise gezählt werden. Damit die Ungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern nach der Corona-Krise ab- und nicht weiter zunimmt, braucht es umso dringender eine progressive Frauenpolitik. Das bedeutet:
• Das Recht auf Selbstbestimmung in jeglicher Hinsicht
• Ein flächendeckendes und ganztägiges Kinderbetreuungsangebot
• Strengere Gesetze, um Unterentlohnung von Frauen zu verbieten
• Quoten für Führungspositionen
• Opferschutzorientierte Täterarbeit sowie die Ausfinanzierung bestehender Gewaltschutzeinrichtungen
• Bildungs- und Sensibilisierungsarbeit in allen öffentlichen (Bildungs-)Einrichtungen
• Die Neubewertung von Arbeit, inkl. unbezahlter Arbeit
Zum Weiterlesen
• Glassner, V & Theurl, S. (2020): Arbeitslosigkeit und steigende Arbeitsbelastung: Wie die COVID-Arbeitsmarktkrise Frauen trifft
• Mader, K. / Derndorfer, J. / Disslbacher, F. / Lechinger, V. / Six, E. (2020): Der Lockdown und die Unvereinbarkeit von
Home-Office und Kinderbetreuung
• Ronja verdient mehr
• SORA (2020): Wie geht es Eltern im zweiten Lockdown der Corona-Pandemie?
• TU München (2020): Häusliche Gewalt während der Corona-Pandemie