Der Internationale Währungsfond (IWF) verursachte vor kurzem große Aufregung, als er einen kritischen Artikel zur neoliberalen Wirtschaftspolitik mit dem Titel „Neoliberalism: Oversold?“ veröffentlichte. Drei Ökonomen kritisieren darin mit einer ungewohnten Klarheit die Auswirkungen von Sparpolitik und der globalen Öffnung der Finanzmärkte. Das Erscheinen dieses Artikels ist ein Zeichen für einen breiteren wirtschaftspolitischen Diskurs innerhalb des IWF, dessen Politik schon lange auf Kritik stößt. Stellungnahmen wie diese bieten Anstöße und gute Argumente für eine dringend notwendige Diskussion über die wirtschaftspolitischen Ziele unserer Gesellschaft. Zur pdf-Version
Wer ist der IWF?
Der IWF ist eine zentrale Organisation des globalen Wirtschaftssystems. Ursprünglich gegründet um das Bretton Woods Währungssystem zu beaufsichtigen, agierte er nach dessen Zusammenbruch in den 70ern als Anlaufstelle für wirtschaftspolitische Beratung und Kreditvergabe an krisengeplagte Entwicklungs-
und Schwellenländer. Der Internationale Währungsfonds etablierte sich bald als neoliberale Wirtschaftsorganisation, die sich für die schnellstmögliche Öffnung des Welthandels und die Verkleinerung von Staatseinfluss auf Wirtschaft und Menschen einsetzt. Er vergibt Kredite, die meist an strenge Spar- und Privatisierungsmaßnahmen gebunden sind. Viele IWF Kreditprogramme prognostizierten Wirtschaftswachstum, das aber mit den verschriebenen Reformen nie eintrat. Im Gegenteil, viele IWF Programme hatten fatale soziale Auswirkungen wie steigende Ungleichheit und Armut. Damit hat er maßgeblich zu einer globalen Wirtschaftsliberalisierung beigetragen, die meist zu Lasten der ärmsten Länder ging. Mit dem Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 stieg der Einfluss des IWF, da nun auch europäische Staaten finanzielle Hilfen beantragt haben. Subtileren Machteinfluss genießt der IWF durch die Beratung von Ländern und das Erstellen von hochangesehenen wirtschaftspolitischen Analysen und Empfehlungen. Die Arbeit des IWF ist maßgeblich von den internen Machtverhältnissen geprägt, wo aufgrund einer ungleichen Stimmverteilung die Wirtschaftsmächte USA und Europa dominieren. Durch den IWF bestimmen sie, gemeinsam mit dessen BürokratInnen und WissenschaftlerInnen, den globalen wirtschaftspolitischen Diskurs.
Kritischer Umschwung?
In Anbetracht der neoliberal geprägten Geschichte des IWF verursachte der kürzlich publizierte Artikel „Neoliberalism: Oversold?“ großen Aufruhr. Darin schreiben die drei Ökonomen, Ostry, Loungani und Furceri, dass die Nachteile der neoliberalen Spar-Agenda oft unterschätzt wurden. Sie kommen zu drei Schlussfolgerungen: Erstens zeigen sie auf, dass der Zusammenhang zwischen Handelsliberalisierung und Wirtschaftswachstum schwer beweisbar ist. Dabei merken sie kritisch an, dass sehr wohl das häufige Vorkommen von Krisen klar mit der Handelsliberalisierung zusammenhängt. Dies führt zu ihrem zweiten Argument, dem zufolge diese sich wiederholenden Boom-Bust-Zyklen zu höherer Ungleichheit führen, die wiederum nachhaltig das Wirtschaftswachstum schädigt. Drittens stellen sie fest, dass die Kürzungs- und Sparpolitik als Ausweg aus wirtschaftlichen Krisenzeiten und hohen Staatsschulden zu wenig hinterfragt worden ist. In manchen Fällen wären mit kontinuierlichem Wirtschaftswachstum langsam abgebaute Schulden besser als schnelle Kürzungsprogramme. Denn diese verschlechtern oft die Wirtschaftslage und die soziale Situation durch schwachen wirtschaftlichen Output sowie dem Ansteigen von Arbeitslosigkeit und Ungleichheit dramatisch.
„Evolution statt Revolution“
Die aktuelle IWF-Publikation ist eine bedeutende Kritik an uneingeschränktem Freihandel und Austeritätspolitik. Auch wenn viele WissenschaftlerInnen, PolitikerInnen und AktivistInnen die Schattenseiten dieser Politik schon lange aufgezeigt haben, war eine solche Klarheit vom IWF bisher nicht zu erwarten.
Kritische Stimmen haben aber schon länger mehr Einfluss im IWF bekommen, besonders seit Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise. Der IWF World Economic Outlook von 2012, in dem der damalige Chefökonom Blanchard frühere Prognosen zum Wachstum unter der Austeritätspolitik nach unten korrigierte,
galt als wichtiges Indiz für eine beginnende ideologische Öffnung des IWF. Diese kommt einerseits von Erkenntnissen aus früheren IWF Programmen und dem Schock der Krise sowie andererseits von neuem, offenerem Personal im IWF. Vereinzelt werden nun keynesianische Argumentationslinien mit der klassischen
neoliberalen Orthodoxie des IWF verbunden, was nicht selten zu Widersprüchlichkeiten führt. Zuweilen äußert sich das in Empfehlungen von Investitionsprogrammen anstelle von Sparauflagen in Krisenzeiten. Aufgrund der großen Macht des IWF in wirtschaftspolitischen Debatten ist eine solche Öffnung sehr bedeutend. Kritische Publikationen des IWF werden jedoch immer sehr vage und ambivalent formuliert, nach dem Motto „There is no oneway-
fits-all“. Beispielhaft dafür war, dass eine Woche nach dem Erscheinen des oben beschriebenen Artikels der heutige Chefökonom Obstfeld betonte, dass die Kritik am Neoliberalismus überinterpretiert wurde und auf keinen Fall einen revolutionären Wandel darstelle. Er fügte hinzu, dass der IWF die Kernüberzeugung
zu offenen Wettbewerbsmärkten, robusten makropolitischen Rahmenbedingungen, finanzieller Stabilität und starken Institutionen natürlich behalte. Voreilige Euphorie über einen bereits vollzogenen Sinneswandel beim IWF wurde damit getilgt.
Bedeutung für die IWF Politik
Die Öffnung des IWF hat sich schon in den letzten Kreditpaketenangedeutet. In den Verhandlungen der Troika zum Umgang mit von der Eurokrise besonders betroffenen Staaten, in denen der IWF mit EU Kommission und Europäischer Zentralbank eine wichtige Rolle einnahm, war zu beobachten, dass der IWF oft etwas mildere Sparmaßnahmen einforderte. So hat er zum Beispiel immer wieder für einen Schuldenschnitt für Griechenland plädiert, sich aber damit nicht durchgesetzt. Die schlussendlich ausgehandelten Pakete hatten dann jedoch genau die verheerenden Auswirkungen auf Griechenland wie sie von den Autoren von „Neoliberalism: Oversold?“ kritisiert wurden, nämlich einen drastischen Anstieg von Armut und Ungleichheit. Die oft variierenden Positionen des IWF sind ein Indiz von inneren ideologischen Auseinandersetzungen. Sie hängen stark mit dem technischen Mandat und der Organisation des IWF zusammen, die den verhandelnden BürokratInnen relativ viel Spielraum lässt. Dies ist auch einer der Gründe dafür, dass im Research-Department kritische Publikationen wie „Neoliberalism: Oversold?“ produziert werden können. Der realpolitische Einfluss dieser Publikationen ist jedoch schwer einzuschätzen und wie schon Chefökonom Obstfeld ermahnte: Es ist vorerst kein bahnbrechender Wandel beim IWF zu erwarten.
Das Momentum nutzen
Trotz den Widersprüchlichkeiten kann Kritik von einer so bedeutenden Wirtschaftsorganisation wie dem IWF besonders gut politisch genutzt werden, um auf jene den Druck zu erhöhen, die noch immer an neoliberale Kürzungspolitik als einen Weg aus der Krise glauben. Damit werden kritische Stimmen sowohl inner als auch außerhalb des IWF gestärkt. Der Artikel „Neoliberalism: Oversold?“ zeigt auch, dass der Einfluss der Kritik an Freihandel und Austeritätspolitik als Zukunftsprogramme deutlich gestiegen ist, weil die Kritik auch in den Arbeiten des IWF aufgegriffen und reproduziert wird. Das gibt gleichzeitig Hoffnung
und gute Argumente für GegnerInnen des Neoliberalismus.