Höchste Zeit für eine soziale Wohnoffensive

by Johannes Rendl

Im Zuge der Corona-Krise verloren viele Leute ihre Arbeit und kommen bei einem hohen Mietaufkommen finanziell in Bedrängnis. Es braucht daher schnellst möglich eine soziale Wohnoffensive. Von Andreas Fröhlich & Johannes Rendl. Zur PDF-Version.

Das Dach über dem Kopf ist ein Grundbedürfnis aller Menschen. Nicht nur in Österreich wird das aber zu einer immer größeren finanziellen Belastung. Haushalte in privaten Hauptmietwohnungen geben im Durchschnitt 27 % ihres Einkommens für die Miete aus, bei armutsgefährdeten Haushalten sind es sogar 37 %. In Städten liegt der Durchschnitt bei 40 %. Damit ist klar: Die Wohnkosten sind für viele Menschen eine große Belastung. Aber mit dem entsprechenden politischen Willen kann man eine Wohnungspolitik durchsetzen, die der Mehrheit nutzt.

Ein Beispiel ist die Deckelung der Mieten: In Berlin stiegen die Mieten seit 2000 jedes Jahr im Durchschnitt um 2,8 %. Deshalb beschloss der Berliner Senat mit Ende Februar eine Deckelung. Für alle BewohnerInnen Berlins wird die Miete auf dem Niveau des 18. Juni 2019 eingefroren und seither erfolgte Mieterhöhungen müssen zurückgenommen werden.

Auch in Österreich gibt es genügend Erfahrungswerte bzgl. der Deckelung von Mieten. Man denke nur an Wien um 1917: Unter dem Druck der ArbeiterInnenbewegung hatte die k.u.k.-Monarchie eine Verordnung „Über den Schutz der Mieter“ erlassen, die das Kündigungsrecht der VermieterInnen einschränkte und den Mietzins auf Vorkriegsniveau einfror. Aber auch in der 2. Republik gibt es Gesetze zur Regulierung der Mietpreise, wie das Richtwertmietzinssystem. Das gilt aber nur für Wohnungen, die vor 1945 errichtet wurden, außerdem wurde es in den 1990er Jahren gelockert und liberalisiert. In den letzten Jahren kam es zu einem rasanten Anstieg der Mieten auf dem heimischen Wohnungsmarkt. Österreichs Immobilienpreise sind während der Finanzkrise 2008 relativ stabil geblieben, aber im Anschluss so wie in keinem anderen EU-Land gestiegen. Wo liegen also die größten Probleme und welche Möglichkeiten gibt es heute für eine soziale Wohnpolitik?

Löhne steigen nicht mit den Mieten

Aber wie groß ist der Unterschied? Deine Einschätzung ist gefragt. Zeichne die Entwicklung der Mieten im Graph ein und sieh, ob du richtig liegst:

In Österreich leben knapp 42% der BewohnerInnen zur Miete und 43 % davon in privaten Mietwohnungen. Zwischen 2005 und 2018 sind die Durchschnittsmieten für Wohnungen inklusive Betriebskosten um fast 166 Euro gestiegen, das entspricht 2,5 Euro pro Quadratmeter, also 47,6 %. Im Zeitraum von 2007 bist 2018 verzeichnet der Verbraucherpreisindex als Maßstab für die allgemeine Preisentwicklung bei den Mieten ein Plus von 40,2 %. Die Löhne ziehen aber mit der Teuerung nicht mit: Beim Median Bruttoeinkommen der unselbständig Erwerbstätigen gab es nur ein Plus von 18,8 %.

 

Privatmieten: Teuer & Befristet
Wer zwischen 2016 und 2018 in Österreich einen Mietvertrag am privaten Wohnungsmarkt abschloss, zahlte im Durchschnitt 9,60 Euro pro m2. Das sind ca. 650 Euro für eine 68 m2 Wohnung. Gemeinde- oder Genossenschaftswohnungen liegen im m2-Preis im Durchschnitt zwei Euro unter Privatwohnungen, man kann sich also je nach Wohnform fast 2.000 Euro im Jahr ersparen.

Außerdem sind 70 % der neu abgeschlossenen Mietverträge am privaten Wohnungsmarkt befristet, bei den bestehenden ist es jeder zweite. Dies bringt eine Fülle von Problemen für die MieterInnen mit sich. Zuerst bedeutet eine Befristung des Mietvertrages immer Unsicherheit, weil es unklar ist, ob man nach Ablauf der Befristung in der Wohnung bleiben kann. Aber es hat auch rechtliche Folgen: Hauptzinsüberprüfungen werden dadurch seltener. Sie sind die rechtliche Möglichkeit der MieterInnen die Angemessenheit des Mietzinses überprüfen zu lassen. Viele MieterInnen nehmen eine Überprüfung aber nicht in Anspruch, weil sie um die Verlängerung ihres Mietvertrags fürchten. Die Mieten würden sich durch ein Ende der Befristung von Verträgen reduzieren, weil solche Prüfungen dann eher durchgeführt werden. Befristete Wohnungen werden heute aufgrund dieser Faktoren oft genauso teuer vermietet wie unbefristete und das obwohl eine Befristung eigentlich einen Abschlag von 25 % von der Miete bedingt. Wenn die Verlängerung des Mietvertrages ansteht, geht das oft zusätzlich mit einer deutlichen Mieterhöhung einher. Wird der Mietvertrag nicht verlängert, so ist meist mit hohen Umzugskosten zu rechnen, um dann erst recht wieder einen neuen befristeten Mietvertrag abzuschließen.

Laut einer Studie der Arbeiterkammer von 2010 wurde bei einer Überprüfung von 350 Verträgen für Altbauwohnungen in Wien teils 100 % mehr verlangt als gesetzlich zulässig gewesen wäre, trotz des Richtwertsystems. Dieses wird oft durch Lagezuschläge für öffentliche Infrastruktur in der Nähe eines Mietobjekts umgangen. Gesetzlich vorgeschriebene Abschläge hingegen werden bei mehr als 40 % der Verträge nicht einmal formal ausgewiesen und/oder berücksichtigt.

Lösungsansätze liegen auf dem Tisch: MieterInnenrechte stärken!
Für jedes dieser Probleme liegen die Lösungen auf dem Tisch, wenn der politische Wille dafür da ist. Ein nachvollziehbares und transparentes Universalmietrecht wäre ein wesentlicher Schritt in die richtige Richtung. Dieses muss neben der Abschaffung der Befristung von Mietverträgen, außerdem eine Mietpreisobergrenze und strenge Strafen für Mietwucher enthalten. Lagezuschläge als Grund zur Erhöhung der Miete sollten gestrichen und Zuschlagsmöglichkeiten nur auf bauliche Qualitätskriterien beschränkt werden. Dazu muss es klare Regeln geben, die die Höhe der Zuschläge regeln und begrenzen, insgesamt darf der Richtwert aber nicht wesentlich überschritten werden. Jede Form der Zu- und Abschläge muss im Mietvertrag genau angegeben sein. So wird ein faires und transparentes Mietverhältnis möglich.

Eine soziale Bauoffensive
Um Wohnungspreise niedrig zu halten, braucht es auch eine mutige Wohnraum- und Flächenwidmungspolitik. Ein Ausbau des Angebots an sozialem Wohnbau durch Bund, Land und Gemeinden ist dafür notwendig. Außerdem gilt es bei der Widmung von Grundstücken einen Teil für gemeinnützige Wohnbauträger und Wohnbaugenossenschaften zu reservieren. Denn der soziale Wohnbau ist die wichtigste Preisbremse am Wohnungsmarkt. Ein plastisches Beispiel dafür ist die Wohnsituation in London. Dort beträgt die Durchschnittsmiete am privaten Wohnungsmarkt satte 1.800 Euro. Im Vergleich dazu liegt in einer Stadt wie Wien, mit einem hohen Anteil an sozialem Wohnbau, die Durchschnittsmiete für eine private Mietwohnung bei nur 640 Euro.

Leerstand verhindern
Ungenutzter Wohnraum verknappt das Angebot und trägt so zu steigenden Wohnungspreisen bei. Ein Grund dafür ist die Spekulation mit Immobilien, die in Städten wie Wien mit großem Bevölkerungswachstum zunimmt. Um Leerstände besser zu erfassen, braucht es eine Meldepflicht für leerstehendes Eigentum und ein entsprechendes Register. Ökonomische Anreize für die Vermietung von Wohnimmobilien und eine Leerstandsabgabe sind Ansätze, die hier Abhilfe schaffen. In den 1980er Jahren gab es in Wien eine solche Abgabe auf Leerstand, die aber vom Obersten Gerichtshof gestoppt wurde, da sie als Kompetenz des Bundes bewertet wurde. Folgt man dieser Rechtsauffassung ist es also die Aufgabe der Regierung entsprechende Schritte einzuleiten.

Andere europäische Städte gehen rigoros gegen Leerstand zu Spekulationszwecken vor. In Amsterdam und größeren deutschen Städten wie Hamburg sind längere Leerstände illegal. In Amsterdam gibt es eine Meldepflicht und wenn innerhalb eines halben Jahres immer noch Leerstand besteht, dann darf die Stadt eingreifen. Das Wohnraumschutzgesetz in Hamburg sieht im Falle einer Überschreitung eines gewissen Zeitraums und einer fehlenden Deklarierung der Gründe für den Leerstandes ein Bußgeld von 50.000 Euro vor. Danach kann die Stadt eine zeitweise Enteignung und Zwangsvermietung vornehmen.

Zum Weiterlesen
• Bacher, Johann/Stöger, Harald/Tamesberger, Dennis (2019): Die Wirkung des sozialen Wohnbaus in Österreich. Ein Bundesländervergleich, In: WISO 4/19, 29 – 58
Mietzinsrechner Wien
Arbeiterkammer: Befristete Mietverhältnisse
Postler, René/Rosifka, Walter (2010): Die Praxis des Richtwertmietzinssystems.

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