Die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks

by Johannes Rendl

Der ORF ist derzeit kaum auf gängigen Onlineplattformen präsent, das muss sich schnell ändern, vor allem wenn der ORF auch in Zukunft bei jüngeren ZuseherInnen ankommen möchte. Von Julien Deimling. Zur PDF-Version.

Wie wichtig der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist, hat sich einmal mehr während der Corona-Krise gezeigt. Für viele Österreicherinnen und Österreicher war der ORF eine der wichtigsten Informationsquellen. Egal ob die Verlautbarungen über neue Maßnahmen, Pressekonferenzen oder Nationalratssitzungen, der ORF erfüllt eine wichtige Aufgabe in der Kommunikation zwischen der Regierung und der Bevölkerung. Nicht nur das, mit seinem Angebot an Kultursendungen und Aktionen wie „Wir bewegen Österreich“ erfüllt der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Österreich auch seine Funktion als Wissens – und Kulturvermittler und motiviert zum Sport. Umso wichtiger ist es, eine wichtige Zielgruppe nicht außer Acht zu lassen.

Vor allem jüngere Menschen konsumieren Medien immer öfter im Internet. Medienkompetenz und das kritische Hinterfragen solcher steht zwar auf den meisten Lehrplänen, doch bei der Flut an Informationen, ständig wechselnden Plattformen und einer sich immer schneller ändernden Medienlandschaft ist es für die meisten Erwachsenen oft schwieriger als für Kinder und Jugendliche sich im Internet zurechtzufinden.

Wie steht es aktuell um die Onlinepräsenz des ORF?
Der ORF ist zwar mit orf.at und seiner Mediathek im Internet präsent, aber im Großen und Ganzen war es das auch schon. Die meisten Formate dürfen aus rechtlichen Gründen nicht länger als eine Woche online sein. Auch das Posten von Content auf einem eigenen YouTube-Kanal oder Instagram-Account ist leider aus rechtlichen Gründen nicht möglich. Zudem kommt hinzu, dass orf.at Anfang April sein Onlineangebot auf Facebook eingestellt hat – nur die Zeit im Bild ist vorerst noch auf Facebook präsent. Bedenken bezüglich der kommerziellen Nutzung von Nutzerdaten, oder Algorithmen, die Reichweite vor allem gegen Bezahlung ermöglichen, sind durchaus angebracht. Keine Präsenz öffentlich-rechtlicher Inhalte auf diesen reichweitenstarken Online-Plattformen ist aber auch keine Lösung. Denn auf Onlineplattformen wie YouTube und Co bewegen sich vor allem jüngere Menschen, die der ORF mit seinen linearen Angeboten immer schlechter erreicht. Und bei aller berechtigter Kritik bieten Plattformen wie YouTube oder Facebook ihren NutzerInnen die Möglichkeit, Meinungen und Positionen relativ leicht einer breiten Öffentlichkeit zu vermitteln, was demokratiepolitisch durchaus positiv gewertet werden kann. Gleichzeitig befördern ihre auf Klickzahlen und Verweildauermaximierung hin optimierten Algorithmen viel zu oft die Verbreitung von Fake-News und „Hate-Speech“. Umso wichtiger ist es für öffentlich-rechtliche Medien hier ebenfalls und dauerhaft mit ihrer Berichterstattung präsent zu sein. Allerdings nicht nur dort.

Neue digitale Angebote- Eine Alternative zu YouTube
Während der Maßnahmen bezüglich COVID-19 haben viele Kultureinrichtungen in Österreich in nur wenigen Wochen einen beachtlichen Umfang an Onlinecontent produziert. Zur Veröffentlichung ihrer Angebote waren die allermeisten allerdings auf kommerziellen Plattformen wie YouTube angewiesen. Ein vergleichbares öffentlich-rechtliches Angebot für die Bereitstellung von Streams und Aufzeichnungen fehlt bislang. Dabei wäre das durchaus ein Angebot, das dem Kulturauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im digitalen Zeitalter entsprechen würde. Zudem haben auch diverse Aufrufe des ORF zur Einreichung von Inhalten durch ZuseherInnen, wie etwa „Wir bewegen Österreich“ oder „Die große Tieraktion“, gezeigt, dass die Einbindung des Publikums durchaus auf positive Resonanz stößt. Letztlich braucht es dafür aber eine öffentlich-rechtliche Plattform, bei der es möglich ist, Videos unkompliziert hochzuladen, sowie einen rechtlichen Rahmen, der es erlaubt auf diese Videos dauerhaft zuzugreifen und mit ihnen zu interagieren.

Userinteraktionen
Wer Plattformen wie Spotify oder YouTube nutzt, kennt die Funktion, selbst eine Playlist zu erstellen und für andere UserInnen zugänglich zu machen. Solche Funktionen wären auch im öffentlich-rechtlichen Bereich hoch an der Zeit. So könnten beispielsweise LehrerInnen für ihre SchülerInnen Playlisten zusammenstellen, die als Ergänzung zum Unterricht dienen – ein Feature, das in Zeiten von Home-Schooling besonders schmerzlich vermisst wird. Aber auch im privaten Bereich könnten Menschen Playlisten mit z.B. ihren liebsten Kochsendungen zusammenstellen und mit FreundInnen teilen. Einerseits als Ergänzung oder Ersatz für das klassische Kochbuch, andererseits könnten in den Kommentaren Erfahrungen und Verbesserungsvorschläge ausgetauscht werden. Aus solchen Interaktionen ließen sich wiederum Daten erheben, die es dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk erlauben zu eruieren welche Themen die Bevölkerung beschäftigen und damit die Angebote entsprechend anzupassen.

Kooperation mit anderen Medien
Die Zukunft des ORF erfordert aber nicht nur die Entwicklung neuer Angebote und Technologien, sondern auch ein neues Selbstverständnis im Umgang mit eigenen Inhalten sowie potentiellen KooperationspartnerInnen. Schon heute stellt der ORF über die Austria Videoplattform der APA über 30.000 Beiträge zur kommerziellen Nutzung durch Dritte zur Verfügung. Auf diese Videos haben 16 Medienhäuser und 44 Medienportale Zugriff, die diese auf ihren eigenen Webseiten zeigen dürfen. Freie Medien, BloggerInnen und Privatpersonen, die genauso ihre Rundfunkbeiträge bezahlen, bleiben jedoch außen vor. Zumindest im Bereich von Eigenproduktionen ohne Fremdmaterial und ohne geschützte Musik ist diese Einschränkung schwer zu rechtfertigen. Stattdessen sollte in diesem Bereich die Veröffentlichung unter freien Lizenzen zum Standard werden, damit die Inhalte auch beispielsweise in der reichweitenstarken Wikipedia Verwendung finden können. Zum einen, wäre Videocontent eine gute Ergänzung zu den textlastigen Beiträgen auf Wikipedia. Zum anderen ist Wikipedia eine gemeinnützige und einem neutralen Standpunkt verpflichtete Plattform, was sie zu einer idealen Kooperationspartnerin für öffentlich-rechtliche Medien macht. In Deutschland hat Terra X, die Doku-Reihe des ZDF, deshalb auch bereits damit begonnen, ausgewählte Video-Clips in Wikipedia-kompatiblen Lizenzen zu veröffentlichen.

Was wir aus anderen Ländern lernen können
Überhaupt hat Deutschland auf die neuen Herausforderungen des Internets schneller und besser reagiert, allen voran mit dem eigenen öffentlich-rechtlichen Jugendangebot „Funk“. Auch in Deutschland waren Inhalte aufgrund rechtlicher Restriktionen nur für einen gewissen Zeitraum online verfügbar. Zumindest für „Funk“ erlaubt der Gesetzgeber aber „[d]ie Verweildauer der Inhalte des Jugendangebots […] so zu bemessen, dass sie die Lebenswirklichkeit und die Interessen junger Menschen abbilden und die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der jeweils zur Zielgruppe gehörenden Generationen erfüllen.“ Hier drängt sich die Frage auf, ob es nicht generell sinnvoll wäre, dass sich alle Inhalte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks an der Lebenswirklichkeit der jeweiligen Zielgruppen orientieren sollten. Trotzdem ist die eigene Videoplattform „Funk“ ein erster und wichtiger Schritt, um gezielt öffentlich-rechtliche Inhalte und Formate für neue digitale Plattformöffentlichkeiten zu entwickeln. Der Erfolg gibt diesem Ansatz recht: Drei Jahre nach seinem Start kennen 73 Prozent der „Funk“-Zielgruppe zwischen 14 und 29 Jahren das Content-Netzwerk von ARD und ZDF und/oder eines seiner Angebote. Bereits 2018 erreichte Funk auf YouTube eine Milliarde Views.
In Österreich ist ein Angebot wie „Funk“ jedoch rechtlich gar nicht erlaubt. Auf Perspektive wird das Fehlen zeitgemäßer Online-Formate und -Inhalte jedoch zu einem Legitimationsproblem für ein öffentlich-rechtliches Angebot führen. Es gilt also den ORF von rechtlichen Fesseln bei neuen Online-Angeboten zu befreien und gleichzeitig seine Unabhängigkeit von Parteien und Regierung zu stärken.

Forderungen

1. Die digitale Öffentlichkeit braucht neue öffentlich-rechtliche Angebote, die das Publikum stärker miteinbeziehen, um eine Alternative zu privaten Plattformen zu schaffen.

2. Neue Öffentlichkeiten erschließen. Einerseits in Form von Angeboten für usergenerierte Inhalte, andererseits in Form von Kooperationen mit anderen gemeinnützigen Plattformen wie Wikipedia.

3. Die Förderung neuer digitaler öffentlicher Räume muss eine öffentlich-rechtliche Aufgabe werden und auch Präsenz auf neuen digitalen Plattformen erlauben.

4. Inhalte sollten in der Mediathek länger online bleiben. Vor allem Eigenproduktionen des ORF sollten standardmäßig unter freien Lizenzen veröffentlicht werden.

5. Ein Teil der Mitglieder des Stiftungsrats sollte per Los aus allen GebührenzahlerInnen ausgewählt werden, um die staatsferne und demokratische Legitimation des ORF zu stärken.

 

Zum Weiterlesen:
• Leonhard, Dobusch (2018): Demokratisch-mediale Öffentlichkeiten im Zeitalter digitaler Plattformen
• Leonhard, Dobusch (2020): Öffentlich-Rechtliche Netzwerkeffekte
• Leonhard, Dobusch (2020): Von der Corona-Ausnahme zur Regel?
• Vortragsvideo von Leonhard Dobusch (2020): Zur Zukunft des ORF: Unabhängig, Digitaler, Offener?

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