(Un)Gleiche Chancen für alle

by Georg Hubmann

„Was willst du später einmal werden?“, diese Frage wird Kindern sehr oft gestellt. Allerdings haben nicht alle Kinder die gleiche Chance, ihre Träume zu erfüllen. Was sie später erreichen können, hängt von ihrer Herkunft ab. Wer wie weit kommt, entscheidet sich schon sehr früh und hängt mit der Begabung der Kinder nur wenig zusammen. Wichtiger als die Leistung der SchülerInnen, ist die Bildung der Eltern, ihr ökonomischer Status und der Wohnort.

Die erste wichtige Weichenstellung für den späteren Bildungserfolg der Kinder erfolgt schon bei der frühkindlichen Ausbildung. Eine Studie der Bertelsmann Stiftung kommt zu dem Ergebnis, dass die Chancen des Kindes später in ein Gymnasium zu gehen um 40% steigen, wenn es eine frühkindliche Bildungseinrichtung besucht hat. Besonders positiv wirkt sich der Besuch von Kinderkrippen auf Kinder aus bildungsfernen Haushalten aus. So verdoppelt sich für Kinder, deren Eltern höchstens einen Hauptschulabschluss haben, die Wahrscheinlichkeit später auf an ein Gymnasium zu wechseln. Auch Kinder mit Migrationshintergrund profitieren überdurchschnittlich. Ihre Aussichten auf einen Wechsel in die AHS-Unterstufe steigen um 55%. Kinderkrippen haben also das Potenzial, die Chancenungleichheit der Kinder aufgrund ihrer Herkunft zu beseitigen oder zumindest abzuschwächen.

Ungleiche Chancen für Kinder

Wie gravierend diese Ungleichheit ist, zeigt ein Blick auf die nächste wichtige Entscheidung im Bildungsweg. Nach der Volksschule wird entschieden, ob das Kind in eine HS/NMS oder eine AHS-Unterstuf

e wechselt. Die Kinder sind ca. 10 Jahre alt und folgen daher dem elterlichen Rat. Dieser fällt allerdings je nach Herkunft anders aus. Nur 14% der Kinder, deren Eltern höchstens einen Pflichtschulabschluss haben, wechseln nach der Volksschule in ein Gymnasium. Im Gegensatz dazu, besuchen mehr als 58% der SchülerInnen aus einem AkademikerInnenhaushalt eine AHS-Unterstufe. Aber nicht nur die Bildung der Eltern beeinflusst die Schulwahl. Auch der Wohnort und die Alltagssprache der Kinder haben in diesem Zusammenhang große Bedeutung. So wechseln in Städten mit mehr als 100.000 EinwohnerInnen jedes zweite Kind in eine HS oder NMS, in kleinen Gemeinden

unter 20.000 Menschen drei von vier Kindern. Kinder mit deutscher Muttersprache wechseln außerdem häufiger in ein Gymnasium als Kinder mit einer anderen Muttersprache. Hervorzuheben ist, dass diese Faktoren unabhängig von der Leistung der SchülerInnen den Bildungsweg beeinflussen.

Die elterlichen Entscheidungen haben Konsequenzen

Wie groß der Effekt dieser Entscheidungen ist, zeigt sich, wenn man den weiteren Bildungsfortgang der HS und AHS-Unterstufen-SchülerInnen betrachtet. Im Alter von etwa 15 Jahren müssen sich die SchülerInnen entscheiden, welche Schule sie nach der Sekundarstufe I besuchen möchten. Die zuvor getroffenen Entscheidungen der Eltern haben aber noch immer Auswirkungen. Hat ein Kind die AHS-Unterstufe besucht, sind seine Chancen eine Matura zu machen dreimal so hoch als bei einem Kind, dass in die HS gegangen ist. Die Wahrscheinlichkeit die Schulzeit nur mit einem Pflichtschulabschluss zu beenden, ist für HauptschülerInnen sogar mehr als 25mal so groß als für GymnasiastInnen.

Die Auswirkungen reichen bis ins Berufsleben

Die Entscheidungen, die für Kinder im Alter von 10 Jahren getroffen wurden, haben sogar noch Auswirkungen auf die tertiären Bildungschancen. Dadurch, dass HauptschülerInnen seltener an Schulen mit Matura wechseln, sinkt für sie auch die Wahrscheinlichkeit ein Studium zu beginnen. Daher kommen nur 35% der StudienanfängerInnen aus der Hauptschule und dass obwohl beinahe doppelt so viele Kinder eine HS als eine AHS-Unterstufe besuchen. All das wirkt sich später auch auf das Berufsleben aus. Je höher der Bildungsstand ist, desto höher ist das Einkommen und umso geringer ist das Risiko von Arbeitslosigkeit. Statistisch gesehen bringt jedes zusätzliche Jahr in Ausbildung 7% mehr beim Nettostundenlohn. Die Frage „Was willst du später einmal werden?“ können Kinder also jederzeit beantworten. Was sie aber werden können, liegt nur zum Teil in ihrer Hand.

Chancengleichheit schaffen

Die Tatsache, dass Bildung vererbt wird ist nicht nur ungerecht, sondern auch ökonomisch nicht sinnvoll. Das Potenzial vieler Menschen wird nicht genützt, weil sie in diesem Bildungssystem nicht die Chance hatten, ihre Begabung zu entfalten. Um allen Kindern die gleichen Chancen zu ermöglichen, ist es notwendig, das derzeitige Bildungssystem zu verändern. Deshalb plädieren die Bildungsexperten der österreichischen Sozialpartnerschaft in ihrem „Jugendpapier“ für ein zweites verpflichtetes Kindergartenjahr, damit sollen alle Kinder besser auf die Schule vorbereitet werden. Ebenso wichtig ist der Ausbau von ganztägigen Schulformen. Die Nachmittagsbetreuung gleicht die Nachteile von Kindern aus Haushalten mit wenig Einkommen, die zu Hause oft weniger gefördert werden können, aus. Der Bildungsexperte Bernd Schilcher fordert außerdem die Einführung einer Gesamtschule für alle Kinder von 10 bis 14 Jahren. Er argumentiert, dass es nicht sinnvoll ist, die Kinder in verschiedene Schulen aufzuteilen, so wie das zurzeit der Fall ist. Es geht darum, die Entscheidung zwischen HS und AHS erst im Alter von 14 Jahren zu treffen, weil da schon viel eher klar ist, welchen Ausbildungsweg adie Kinder künftig einschlagen wollen.

 

 

 

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