Die Wirtschaftskrise prägt seit mehr als fünf Jahren das Geschehen in Europa und hat die europäische Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) tiefgreifend verändert. Die vor allem von der Europäischen Kommission (EK) lancierten Reformen, dieser „silent revolution“ stellen auf eine Ausweitung der haushaltspolitischen Koordination, aber auch auf eine strikte fiskalpolitische Überwachung ab. Nach Klatzer und Schlager (2011) haben diese eine klar neoliberal motivierte Schlagseite.
Der Wunsch nach einer tieferen Koordination und Steuerung der europäischen Wirtschaftspolitiken scheint verständlich. Doch ist die neue Steuerungsarchitektur der EWU die richtige Medizin oder werden nur Symptome und nicht die Ursachen der Krise behandelt?
Verstärkte Überwachung makroökonomischer Ungleichgewichte
Zentral ist die verstärkte Überwachung der für die Krise in Europa mitverantwortlichen makroökonomischen Ungleichgewichte, die sich seit Euroeinführung herausgebildet haben. Das geschieht mittels der Messung von Scoreboard-Indikatoren, wie der Entwicklung der Lohnkosten, der Leistbungsbilanzsalden oder der Schulden des privaten Sektors. Bei Überschreitung bestimmter Grenzwerte wird ein Analyse- und letztendlich ein Sanktionsmechanismus in Gang gesetzt. Bei genauerer Analyse der Scoreboard-Indikatoren zeigt sich deren neoliberale Schlagseite. Beispielsweise in deren asymmetrischer Ausgestaltung in der Leistungsbilanzüberschüsse weniger stark sanktioniert werden als Leistungsbilanzdefizite. Gerade weil in der WWU die wettbewerblichen Divergenzen maßgeblich für den Verlauf der Krise verantwortlich sind, ist diese Gewichtung schwer zu rechtfertigen.
Dem Scoreboard der EK steht ein wesentlich breiteres Indikatoren-Set des Europäischen Parlaments (EP) gegenüber. Darin werden auch Faktoren, wie die Entwicklung der Armutsquote, Indikatoren für externe Umweltkosten und die Entwicklung der Steuergrundlage in die Bewertung miteinbezogen. So wären diese Indikatoren geeigneter, um die realwirtschaftliche Konvergenz in der Eurozone zu gewährleisten.
Letztlich zeigt sich, dass die makroökonomische Überwachung der WWU die wirtschaftspolitische Agenda der EK unterstützt. Das Ziel sind Strukturreformen vor allem durch eine Flexibilisierung der Arbeitsmärkte, gezielte Lohndämpfung und Einschnitte in die soziale Sicherung der Bevölkerung bei gleichzeitiger Begünstigung von angebotspolitischen Maßnahmen umzusetzen. Dieser Weg hat sich bereits in den letzten fünf Jahren der Krise als wirtschaftlich und demokratiepolitisch falsch herausgestellt. Vor allem weil auf die in Europa dringend notwendigen Wachstumsimpulse, sowie nachfrageseitige Initiativen verzichtet wird.
Reform und Verstärkung der haushaltspolitischen Supervision
Zu den Maßnahmen der strengeren Überwachung und Koordination der Wirtschaftspolitiken werden auch der Stabilitäts- und Wachstumspakt, sowie die im Vertrag von Maastricht beschlossenen Konvergenzkriterien verschärft. Im so genannten „Fiskalpakt“ hat sich die Eurozone auf eine strikte Haushaltskontrolle der nationalen Budgets eingelassen. Das Ziel des Fiskalpaktes ist es, „einen Mitgliedsstaat zu veranlassen, wenn nötig zu zwingen, ein festgestelltes Defizit abzubauen.“ Dazu wurden eine Defizitregel und eine Schuldenregel festgeschrieben. Bei einer Staatsverschuldung von über 60% des BIP ist diese um durchschnittlich ein Zwanzigstel pro Jahr zu verringern und nach Artikel 3 des Fiskalpaktes darf das (bereinigte) strukturelle Defizit eines Landes 0,5 % des nominellen BIP nicht übersteigen.
Demokratiepolitische und wirtschaftliche Folgen der Reformen
Demokratiepolitisch ist vor allem der Sanktionsmechanismus bedenklich, der ein „reverse majority voting“ vorsieht. Sanktionen gegen nationale Wirtschaftspolitiken können von der – demokratisch nicht legitimierten – EK verhängt werden, außer der Europäische Rat stimmt innerhalb von 10 Tagen mit qualifizierter Mehrheit gegen die Sanktionen stimmt. Die Demokratie wird damit auf den Kopf gestellt.
Weg in die Sackgasse?
Vor allem die durch die Maßnahmen implizierte Festschreibung der Sparpolitik ist zu kritisieren. Denn aus volkswirtschaftlicher Perspektive ist klar, dass eine Krise nicht zu überwinden ist, wenn alle AkteurInnen gleichzeitig sparen. Während der Krise, wenn die Bevölkerung und die Unternehmen ihre Ausgaben zurückschrauben, muss der Staat einspringen, damit ein Land nicht in einer Abwärtsspirale aus mangelnder Nachfrage, sinkenden Einkommen und steigender Arbeitslosigkeit gefangen wird. Das zeigt auch eine Modellsimulation zu den Auswirkungen der Austeritätsmaßnahmen auf die europäischen Volkswirtschaften. Das WWU-BIP wird auch 2013 um aggregierte 0,5% schrumpfen. Die lang erhoffte und vielen neoliberalen ÖkonomInnen erwartete Trendumkehr in Richtung Wirtschaftswachstum ist nicht zu erkennen. Auf europäischer Ebene kann es in der Krise folglich nur eine Antwort geben: Zuerst müssen die Arbeitsplätze und damit das Wachstum gesichert sein und erst dann können die Schulden abgebaut werden. Beide Maßnahmen werden durch die „silent revolution“ der Europäischen Kommission erschwert oder sogar unter der Androhung massiver Sanktionen unmöglich gemacht.