Soziale Gerechtigkeit und Schulstandorte – Wie unterschiedliche Voraussetzungen an Schulen ausgeglichen werden können

by Georg Hubmann

Die soziale Zusammensetzung der SchülerInnen einer Schule spielt derzeit im österreichischen Schulsystem keine Rolle, wenn die Mittelzuweisung, also wie viel staatliches Geld jede Schule erhält, berechnet wird. Berücksichtigt werden vor allem die Zahl der SchülerInnen, die Schulform, die Schulgröße und der sonderpädagogische Förderbedarf inklusive der Förderung der SchülerInnen mit nicht-deutscher Muttersprache. Ob SchülerInnen dagegen aus sozial und wirtschaftlich benachteiligten Familien kommen, ist weitgehend irrelevant.

Das ist paradox, weil das österreichische Schulsystem durch ein hohes Ausmaß an sozialer Ungerechtigkeit und Selektivität gekennzeichnet ist. Das heißt, dass die Schulleistungen und Schullaufbahnen der Kinder sehr stark von der sozialen Herkunft , dem Einkommen und dem Bildungsgrad der Eltern abhängen. Die Eltern entscheiden also (ungewollt) über den Bildungsweg ihrer Kinder.

Die indexbasierte Mittelverteilung

Eine indexbasierte Mittelverteilung zum Ausgleich von sozialen Benachteiligungen ist eine Maßnahme zur Auflösung dieser paradoxen Situationen. Die Grundidee: Schulen mit mehr sozial benachteiligten Kindern sollen mehr Ressourcen erhalten, da sie unter schwierigeren Bedingungen arbeiten. Dazu wird ein sogenannter Sozialindex berechnet, der die soziale Zusammensetzung einer Schule angibt. Auf dessen Grundlage werden die Mittel an die Schulen verteilt. Der Index kann Werte zwischen 100 und 100 plus X annehmen. X bestimmt den Zusatzbedarf der Schule für den Ausgleich von sozialen Benachteiligungen am Schulstandort. Ein Wert von beispielsweise X=20 bedeutet, dass eine Gesellschaft bzw. eine Gemeinde bereit ist, 20% mehr Mittel für eine Schule, die unter sehr schwierigen Bedingungen arbeitet, zur Verfügung zu stellen. Je höher X ist, desto mehr Mittel bekommt die betroffene Schule.

In einigen Schweizer Kantonen, wo eine indexbasierte Mittelverteilung bereits praktiziert wird, ist X gleich 20. In den Niederlanden ist der Wert gleich 25. Auf dem Weg zur indexbasierten Mittelverteilung in Österreich muss neben der Festlegung der Höhe des Zusatzbedarfes noch entschieden werden, (1.) ob die Schule vollkommen frei über die Zusatzmittel verfügen kann oder ob bestimmte Vorgaben gemacht werden und (2.) wie die Wirkung des Mitteleinsatzes kontrolliert wird. Die Vorstellungen reichen hier von vollkommen freier Entscheidung bis hin zu strengen Vorgaben.

Berechnung des Sozialindex

Zur Erstellung des Sozialindex sind Daten über die soziale Situation der SchülerInnen erforderlich. Dieser Index könnte in Österreich auf Basis der Bildungsstandarderhebungen berechnet werden, da die benötigten Daten dabei sowieso erfasst werden. Die Bildungsstandards testen jährlich alle SchülerInnen der vierten und achten Schulstufe in wechselnden Unterrichtsfächern, dazu werden soziale Daten erhoben.

Eine Modellstudie (von Bacher u.a., 2010) für die Stadt Linz zeigt eine mögliche, praktische Umsetzung. In die Indexberechnung wurden drei Merkmale einbezogen: die Bildung der Eltern, deren Einkommen und die zuhause gesprochene Sprache. Die zuhause gesprochene Sprache wurde aufgenommen, da ein Migrationshintergrund mit sozialen Benachteiligungen verbunden ist.

Mittels eines speziellen statistischen Verfahrens, der Korrespondenzanalyse, wurde ein Sozialindex für jeden Schüler/jede Schülerin und anschließend für jede Schule berechnet. Die Ergebnisse sind in der Tabelle 1 auszugsweise wiedergegeben, die Schülerzahlen sind zufällig gewählt. Dem Beispiel zufolge hat die Schule 10 einen Index von 1,1433 bzw. von 114,33. Sie würde also neben den Basismitteln, die jede Schule gleichermaßen erhält, 14,3% Zusatzmittel bekommen, Schule 8 würde beispielsweise 14,24% mehr Mittel bekommen, um die schwierigere soziale Situation in der Schule auszugleichen.

OECD empfiehlt indexbasierte Mittelverteilung

Das hier vorgeschlagene Modell einer indexbasierten Mittelverteilung wird auch von der OECD (2012) als eine von fünf Maßnahmen zur Reduktion von sozialen Benachteiligungen empfohlen.

Als weitere Maßnahmen rät die OECD: keine Klassenwiederholungen, spätes Erstselektionsalter (derzeit erfolgt schon nach der Volksschule eine Trennung in Hauptschule/Neue Mittelschule und Gymnasium), alternative Wege zu einem Abschluss auf Sekundarebene II und Vermeidung von Segregation, das heißt von einer hohen Konzentration von sozial benachteiligten SchülerInnen auf einzelne Schulen. Bis auf unterschiedliche Möglichkeiten eines Abschlusses auf Sekundarebene II sind in Österreich alle vorgeschlagenen Maßnahmen nicht erfüllt, sodass es nicht verwunderlich ist, dass das österreichische Schulsystem nicht in der Lage ist, soziale Benachteiligungen auszugleichen. Durch eine indexbasierte Mittelverteilung könnte ein Schritt zu einem besseren sozialen Ausgleich geleistet werden.

Quellen:

Bacher, J., Altrichter, H., & Nagy, G. (2010). Ausgleich unterschiedlicher Rahmenbedingungen schulischer Arbeit durch eine indexbasierte Mittelverteilung. Erziehung & Unterricht 160, S. 384-400

OECD (2012): Equity and Quality in Education. Supporting Disadvantaged Students and Schools. Paris

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