Krisenpolitik im Vergleich: Griechenland, Portugal und Irland

by Klaus Baumgartner

Die Krisenpolitik unterscheidet sich wesentlich innerhalb der Eurozone. Obwohl der Sparimperativ noch dominant ist, gibt es dezente, aber signifikante Unterschiede. Von Alexander Barta. Zur PDF-Version.

Im Zuge der Eurokrise wurden mehrere institutionelle Veränderungen vorgenommen, um die wirtschaftliche Entwicklung der einzelnen Mitgliedstaaten zu begleiten und untereinander zu koordinieren. Das Ziel der Maßnahmen ist es die Schuldenstände der Staaten zu reduzieren. So wurde beispielsweise das Europäische Semester als neuer Steuerungsmechanismus der EU Kommission für die Budgetentwicklung der Mitgliedsstaaten eingeführt, der Fiskalpakt und Schuldenbremsen in einzelnen Länderverfassungen verankert, sowie der Stabilitäts- und Wachstumspakt aus dem Jahre 1997 reformiert bzw. stark verschärft. Die Rahmenbedingungen beinhalten sehr marktfreundliche Grundsatzstrukturen, die mit Hilfe des erweiterten Regelwerks den politischen Prozess derartig formen, dass nachfrageorientierte Maßnahmen schwerer umsetzbar werden. Das zeigt sich vor allem in den Ländern die besonders von der Finanz- und Wirtschaftskrise betroffen sind. Im Folgenden werden die Auswirkungen der Maßnahmen in Griechenland, Irland und Portugal analysiert.

Das griechische Drama
Griechenland ist das einzige Land, das nicht im Rahmen des Europäischen Semesters überwacht wird, sondern immer noch an die Konditionen der Troika – Institutionen gebunden ist. Die griechische Wirtschaft befand sich seit 2010 in der längsten Rezession, die ein Land je in Friedenszeiten durchlebt hat. Nach einer kurzen Phase der Erholung 2015 schrumpft die Wirtschaft erneut. Im Zuge der ersten beiden Memoranda-Programme (2010-2014) flossen 215,9 Mrd. Euro nach Griechenland und das aktuell laufende Dritte umfasst weitere 86 Mrd. Euro bis 2018. Trotz der im Gegenzug aufgezwungenen Austeritätspolitik beträgt Griechenlands Schuldenlast weiterhin 179,0% der griechischen Wirtschaftsleistung (BIP), und liegt damit rund 70% über dem Vorkrisenniveau. Interessant ist, dass nur 5% der Kredite der ersten beiden „Hilfsprogramme“ dem griechischen Staat zu Gute kamen, während der Rest zur Stabilisierung des Banken- und Finanzsektors diente. Trotzdem verbuchen die vier größten systemrelevanten Banken Griechenlands weiterhin notleidende Kredite im Wert von etwa 30 Mrd. Euro. Insgesamt liegt deren Anteil bei 35%. Der griechische Finanzsektor gehört damit immer noch zu den labilsten der Eurozone. Die Politik der internen Abwertung mit Lohn- und Pensionskürzungen sorgte keineswegs für mehr Wachstum, geschweige denn für ein baldiges Zurückkehren an die Finanzmärkte. Im Gegenteil: Die griechische Bevölkerung hat im Durchschnitt seit Beginn der Krise rund ein Viertel ihrer Kaufkraft pro Kopf eingebüßt. Das Jahres-Medianeinkommen ist seit 2007 ebenfalls um ein Viertel auf 7.520 Euro im Jahr 2015 geschrumpft. Der Niedriglohnsektor hat sich im Verlauf der Krise nahezu verdoppelt und umfasst mittlerweile 21,7% der Beschäftigten. Diese verdienen weniger als zwei Drittel des mittleren Stundenlohnes. Die Arbeitslosigkeit ist mit 23,4% immer noch mehr als doppelt so hoch wie vor der Krise, genauso die Jugendarbeitslosigkeit: jeder zweite Jugendliche unter 25 Jahren ist erwerbslos. Verschiedene Ökonomen haben gezeigt, dass der Einbruch der Wirtschaftsleistung tatsächlich auf die Sparpolitik von EU und IWF zurückzuführen ist und die Wirtschaft ohne diese lediglich stagniert wäre. Fiskalpolitisch bedeuteten die auferlegten Sparmaßnahmen eine drastische Reduzierung des Gestaltungsspielraums für die Regierung.

Der Erfolg Portugals
Portugal machte eine sehr interessante Entwicklung durch. Seit 2015 ist eine schrittweise Abkehr vom Sparparadigma erfolgt. Portugals Staatsschuldenquote ist zwar mit 130,4% (des BIPs) immer noch doppelt so hoch wie vor der Krise und die Banken sind zwar liquide, aber deren Vermögenswerte von schwacher Qualität: Die faulen Kredite beliefen sich 2014 noch auf einen Anteil von rund 10%. Teure Kredite des IWF wurden schon vorzeitig getilgt. Das Medianeinkommen der Portugiesen ist seit derKrise tendenziell leicht gestiegen (seit 2007 um mehr als zehn Prozentpunkte). Im Gegensatz zur Situation in Griechenland schaffte es Portugal den Niedriglohnsektor weit unter den EU-Schnitt auf 12% zu drücken. Ein ähnliches Muster zeigt sich bei der Entwicklung der Arbeitslosigkeit: Anfang 2013 lag diese bei 17,3% der Erwerbstätigen, vier Jahre später fast halbiert bei 9,9%. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt aber dennoch zehn Prozentpunkte über dem EU-Schnitt.

Nichtsdestotrotz zahlt sich die nachfragestärkende Politik der seit 2015 amtierenden sozialistischen Minderheitsregierung aus: Im ersten Quartal des Jahres 2017 wuchs die Wirtschaft im Vergleich zum vorangegangenen um 1%, was einem Wachstum im Vergleich zum Vorjahr um 2,8% gleichkommt. Das übertrifft auch die Erwartungen der europäischen Institutionen und ist das stärkste Wachstum seit 2007. Die Anti-Austeritätspolitik wirkt sich sehr positiv auf die Binnennachfrage aus und stärkt so die Wettbewerbsfähigkeit des Landes. Die Zurücknahme der enorm erhöhten Mehrwertsteuer im Hotel- und Gaststättengewerbe wurde beispielsweise vom Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) sowie dem deutschen Bundesfinanzminister kritisch beäugt, zeigt aber, dass eine vom Tourismus getragene Wirtschaft deutlich davon profitiert. Im Gegensatz zum Nachbarland Spanien gilt Portugal mittlerweile auch als attraktiv für Investitionen, da die koordinierte Industrie- und Infrastrukturpolitik Wirkung zeigt. Positive Wachstumszahlen, steigende Steuereinnahmen und sinkende Ausgaben wegen fallender Arbeitslosigkeit machten es außerdem möglich, dass Portugal das jährliche Haushaltsdefizit unter die von der Kommission geforderten Marke von 2,5% senken konnte.

Musterschüler Irland?
Irland wird oft als Musterbeispiel für erfolgreiche Austeritätspolitik genannt. Doch der Schein trügt: Die Staatsschuldenquote wurde zwar um ein Viertel gesenkt, ist aber mit 75,4% des BIPs rund dreimal so hoch wie vor der Krise. Mehr als die Hälfte der Arbeitssuchenden ist länger als ein Jahr auf Jobsuche. Die Arbeitslosenrate hat sich zwar wieder fast auf dem Vorkrisenniveau um die 5 Prozentmarke eingependelt und die Jugendarbeitslosigkeit ist mit 17,2% erstmals wieder leicht unter dem EU-Durchschnitt, doch emigriert eine Großzahl an jungen Iren: fast jeder fünfte Ire lebt und arbeitet im Ausland. Die Einführung verschärfter Regelungen mit strengeren Sanktions- und Aktivierungselementen in der Arbeitslosenhilfe erhöhte den Druck auf die Lohnabhängigen weiter, gerade weil Irland ohnehin schon eine liberale Wirtschaftsordnung mit nur geringfügigem Kündigungsschutz hatte. Hinzu kommt, dass jeder fünfte Beschäftigte im Niedriglohnsektor angestellt ist und das jährliche mittlere Einkommen mit 21.688 Euro immer noch 1,7% unter dem im Vorkrisenjahr 2007 liegt. Das vielbewunderte Wirtschaftswachstum ist hauptsächlich auf das großzügige Steuervermeidungssystem und die damit zusammenhängende positive Außenhandelsbilanz zurückzuführen. Die von den in Europa niedrigsten Unternehmenssteuern von 12,5% angelockten transnationalen Großkonzerne dominieren Irlands Exporte. Die Wachstumsraten überdecken auch die noch immer gravierenden Probleme im Finanzsektor: der ist einer der größten Inhaber notleidender Kredite mit fast 20 Prozent aller Kredite (in absoluten Zahlen rund 100 Mrd. Euro). Zudem hat sich seit dem Ausbruch der Finanzkrise 2007/08 die Verschuldung im privaten Sektor für irische Nicht-Finanzunternehmen nahezu verdoppelt. Unsicherheit besteht auch weiterhin auf dem Immobilienmarkt, der seit seinem Zusammenbruch 2013 wieder überhitzt und eine erneute Blasenbildung droht.

Bewertung der Krisenpolitik
Im europäischen Vergleich wird deutlich, dass sich die wirtschaftspolitischen Entwicklungspfade Griechenlands, Portugals und Irlands unterscheiden. Während Griechenland kaum noch eigenen politischen Gestaltungsspielraum im Rahmen der Hilfsprogramme zugestanden wird und sich den empfohlenen Einsparungen im öffentlichen Haushalt und der Infrastruktur beugen muss,, wirkt sich Portugals vorsichtige Abkehr von austeritätspolitischen Maßnahmen äußerst positiv auf die wirtschaftliche Entwicklung aus. Im Gegensatz zu Griechenland erreicht und unterbietet Portugal die Vorgaben seitens der EU. Die strengen EU-Sparauflagen im griechischen Fall ersticken jeglichen Wirtschaftsaufschwung und sind eher schädlich für die Gesamtwirtschaft. Das Fehlen von mittel- und langfristiger Planungssicherheit für Unternehmen und Investoren macht Griechenland als Wirtschaftsstandort von Jahr zu Jahr unattraktiver. Griechenlands aufgezwungene Kürzungspolitik verschärft die Krise und die Abhängigkeit von den Kreditgebern. Portugals jüngste Maßnahmen haben zu einer Stärkung der Binnennachfrage und der Leitsektoren der Wirtschaft geführt, sodass ein günstiges Klima für Wachstum und Beschäftigung herrscht. Das Beispiel Irland zeigt, dass sich auf der Oberfläche die wirtschaftlichen Daten verbessern: weniger Arbeitslosigkeit, positive Wachstumszahlen und Außenhandelsbilanz. Wenn man aber genauer hinschaut wird ersichtlich, dass unter Berücksichtigung der relativ hohen Emigrationsquote, der großzügigen, konkurrenzlos niedrigen Unternehmenssteuern und der Dominanz weniger transnationaler Großkonzerne die Statistiken substanzlos werden. Blinde Sparpolitik à la Griechenland und Steuerdumping à la Irland bringen keinen wirtschaftlich nachhaltigen Aufschwung, sondern verschärfen eher existentielle Not und Perspektivlosigkeit. Der Fall Portugal hingegen beweist, dass eine Lockerung der Kürzungspolitik und eine Förderung der Binnenkonjunktur mit Hilfe einer ausgewogenen Sozial- und Wirtschaftspolitik wichtige Akzente für einen gesellschaftspolitisch tragbaren Ausweg aus der Krise bringt.

Wege aus der Krise
Generell ist das Wachstum der Eurozone überwiegend lohngetrieben und eine Wende hin zum deutschen Exportmodell daher wenig zu empfehlen, da eine Politik der Lohnzurückhaltung zwar Nettoexporteffekte begünstigen würde, diese jedoch zu klein wären, um das niedrigere Wachstum des privaten Konsums zu kompensieren. Für die Eurozone als relativ geschlossenen Wirtschaftsraum ist eine exportorientierte, lohnmoderate Wettbewerbspolitik eher weniger erfolgsversprechend. Damit sich die Eurozone in einen gleichgewichtigen Wirtschaftsraum entwickelt, reicht die bisherige Reduzierung der Probleme auf Staatshaushaltsbilanzen und Schuldenquoten nicht aus. Ein sinnvoller Lösungsansatz muss innerhalb des Währungsraums ausreichende Transferleistungen ähnlich von Länderfinanzausgleichen in Bundesstaaten beinhalten. Da eine Fiskalunion politisch noch in relativer Ferne ist, könnte ein Überschuss-Recycling erste Fortschritte bringen. Dabei müssten Mitgliedsstaaten mit hohen Handelsbilanzüberschüssen eine bestimmte Summe in einen Europäischen Solidarfond einzahlen, womit dann in wirtschaftlich schwächeren Regionen investiert und ein soziales Sicherungsnetz aufgebaut werden kann. Das Überschuss-Recycling wäre ein wirksamer Mechanismus, der makroökonomische Ungleichgewichte austariert und sogar die Kapazität besitzt eine Art Investitionsfond für UnternehmerInnen zu sein. Das wäre ein erster Schritt aus dem zwanzigjährigen sozialpolitischen Stillstand in der EU hin zu einer echten Sozialunion.

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