In Geiselhaft des Rechtspopulismus. Was sind die Gründe?

by Klaus Baumgartner

Überall in der westlichen Welt konnten rechtspopulistische Parteien zuletzt massive Zuwächse verzeichnen oder gar an die Macht gelangen. Was steckt hinter dieser Entwicklung? Von Theres Svoboda. Zur PDF-Version.

Zahlreiche WählerInnen fühlen sich in der herkömmlichen Parteienlandschaft nicht mehr ausreichend repräsentiert, besonders häufig ist das bei ArbeiterInnen der Fall. Aber auch Angestellte und Selbstständige wählen immer öfter rechtspopulistische Parteien. Der Soziologe Klaus Dörre hat in einer aktuellen Studie die Entwicklungen analysiert und versucht Antworten zu finden. Im Folgenden haben wir die zentralen Ergebnisse seiner Forschung aufgearbeitet. 

Neoliberale Alltagserfahrungen

Eine Erklärung für den Erfolg der RechtspopulistInnen ist in den Alltagserfahrungen der Menschen zu finden. Viele Lohnabhängige und Erwerbslose merken täglich, dass das medial verbreitete Bild des „wir sind gut durch die Krise gekommen“ in Österreich oder in Deutschland das Bild vom Jobwunderland in dem es stetig allen besser geht, nicht mir ihrer eigenen Wahrnehmung übereinstimmt. Auch die Zahlen bestätigen das: In Österreich besitzt das reichste 1 % rund 40 % des Nettovermögens, während die Hälfte der Bevölkerung gerade einmal über 2,5 % verfügt. Bei den Einkommen sieht es ähnlich aus: Vor allem im Bereich der SpitzenverdienerInnen sind die Löhne am stärksten gestiegen, während die niedrigeren Einkommen sogar gesunken sind. Die Vermögens- und Einkommensungleichheit nimmt also kontinuierlich zu, gleichzeitig sind immer mehr Menschen, trotz sinkender Arbeitslosenquote, atypisch beschäftigt. JedeR dritte unselbstständige Erwerbstätige (34,6 %) arbeitet mittlerweile Teilzeit, geringfügig oder hat einen Leiharbeits-, freien oder befristeten Dienstvertrag. Vor allem Frauen arbeiten oft in schlecht bezahlten und wenig anerkannten Berufen. Hinzu kommt eine steigende Zahl an Ein-Personen-Unternehmen und Mehrfachbeschäftigen. Diese Erwerbsformen bedeuten für zahlreiche ArbeitnehmerInnen unsichere Lebensverhältnisse. Für jene die sich bereits in Langzeit- oder Altersarbeitslosigkeit befinden, wird es außerdem immer schwieriger ins Arbeitsleben zurückzukehren. Für sie ist die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben nur eingeschränkt oder gar nicht mehr möglich. Verändert haben sich in den vergangenen Jahrzehnten auch die konkreten Tätigkeiten.

Von den ArbeitnehmerInnen wird eine immer größere Bereitschaft zur Flexibilität verlangt, während die soziale Sicherheit kontinuierlich abnimmt. Auch unbefristete Stellen sind, bedingt durch Standortkonkurrenz und Umstrukturierungen, davon betoffen. Die steigenden Anforderungen erzeugen oftmals Stress und Druck auf die Beschäftigten. Fast jedeR Dritte ist psychisch dadurch belastet. Ebensoviele kennen Fälle von Burnout im eigenen Betrieb.

Die Auswirkungen des neoliberalen Kapitalismus, der den Wettbewerb zum zentralen gesellschaftlichen Organisationsprinzip erhebt, sind für die Menschen tagtäglich spürbar. Sie beeinträchtigen die Arbeitsplatzsituation, das Familienleben und die Freizeit. Die derzeitige Gesellschaft wird daher als ungleich und ungerecht wahrgenommen. In der herkömmlichen Parteienlandschaft fühlen sie sich jedoch mit diesen Alltagssorgen nicht mehr ausreichend repräsentiert. Damit wird die Interpretation der Rechten, die Schuld nicht im Abbau von sozialen Sicherungssystemen zu suchen, sondern Migrationsfragen dafür verantwortlich zu machen, anschlussfähig.

Exklusive Solidarität

Die negativen Alltagserfahrungen der Menschen führen aber nicht zu Solidarität mit all jenen in der Gesellschaft die Ähnliches erleben, sondern zur sozialen Abwertung anderer. Der Rechtspopulismus erklärt Solidarität zum exklusiven Gut, das sich weder MigrantInnen oder Geflüchtete, noch SozialleistungsbezieherInnen, die abfällig als „Sozialschmarotzer“ bezeichnet werden, verdient hätten. Eine Ursache dafür liegt in der Komplexität des globalen Finanzmarkt-Kapitalismus, der für viele nur schwer zu durchschauen ist und deshalb nicht als Verursacher der Vermögens- und Einkommensungleichheit identifiziert wird. Vereinfachte Deutungen und verschwörungstheoretische Interpretation sind oftmals die Folge. In der Vergangenheit wurden außerdem viele wohlfahrtsstaatliche Institutionen, aber auch Gewerkschaften und linkspolitische Parteien derart geschwächt, dass viele der Maßnahmen für mehr soziale Gerechtigkeit nicht durchgesetzt werden können oder zu wenig Wirkung zeigen. Gesetzliche Regelungen wie der 12-Stunden-Tage beziehungsweise die 60-Stunden-Woche oder die geplante Reform des Arbeitslosengeldes treiben den Sozialabbau zusätzlich voran und sind Ausdruck dieser Entwicklung.

Auch die Anpassungspolitik der Mitte-Links-Parteien an die marktgetriebene Globalisierung hat dazu beigetragen, dass sich immer mehr StammwählerInnen, vor allem jene aus der Arbeiterklasse, abgewandt haben. Diese Art der Politik wirkt sich bis heute auf die Solidarität mit marginalisierten sozialen Gruppen aus. Die vermeintlich produktiven Teile der Gesellschaft aus den Eliten sowie der Mittel- und Arbeiterklasse betrachten sich selbst als „eigentliche Leistungsträger“ der Gesellschaft und kündigen den anderen Solidarität und Schutz auf. Aus dieser Perspektive werden SozialleistungsbezieherInnen zu BürgerInnen zweiter Klasse mit weniger sozialen Rechten. Reformen, wie Hartz IV oder das von der Regierung in Österreich geplante Arbeitslosengeld Neu, haben aber noch einen zweiten Effekt – sie wirken disziplinierend auf Lohnabhängige. Das heißt: Die Angst vor dem Jobverlust und dem damit verbundenen gesellschaftlichen Abstieg ist so groß, dass eine Festanstellung zum zu verteidigenden Privileg wird, aber auch prekäre Arbeitsstellen eher angenommen werden. All das trägt dazu bei, dass viele Menschen versuchen den eigenen Status durch bewusste Abgrenzung zu sichern und deshalb anderen gesellschaftlichen Gruppen mit Abneigung, Vorurteilen und sogar Hass begegnen. Die soziale Abwertung anderer dient dabei der eigenen Selbstaufwertung, während Solidarität nicht mehr allen Menschen zuerkannt wird.

Vergessene ArbeiterInnenklasse

Aber nicht nur andere soziale Gruppen werden abgewertet, häufig fühlen sich Beschäftigte auch selbst gesellschaftlich abgewertet. In besonderem Ausmaß trifft das auf Menschen aus der Arbeiterklasse zu. Denn vielfach fehlt, trotz sinkender Arbeitslosenzahlen, der Glaube an Verbesserungsmöglichkeiten für das eigene Leben. Dahinter verbirgt sich das Bewusstsein, dass ein weiterer Aufstieg kaum möglich ist, das Risiko eines gesellschaftlichen Absturzes aber steigt. ArbeiterInnen fühlen sich daher oft unverschuldet benachteiligt. Im aktuellen Arbeitsklima-Index gaben drei Viertel aller KellnerInnen (74 %) an nur schwer von ihrem Lohn leben zu können, ähnlich hohe Anteile finden sich bei FriseurInnen (79 %).

Arbeitsplatzunsicherheit und Zukunftsängste sind die Folgen dieser ungelösten politischen Fragen und betreffen besonders häufig ArbeiterInnen. In direkter Verbindung zu diesen Problemen steht auch die Tendenz Verteilungskämpfe als Konflikt „zwischen leistungsbereiten Inländer(inne)n einerseits und vermeintlich leistungsunwilligen ausländischen, kulturell nicht integrierbaren Eindringlingen andererseits“ (Dörre 2018) umzudeuten. RechtspopulistInnen nützen diese Ängste gezielt und verknüpfen die Chance auf gesellschaftlichen Anschluss mit einer Konfliktperspektive, die mit Migration und Religion in Verbindung gebracht wird. Der Grenzenlosigkeit der Globalisierung wird eine Politik der Abschottung gegenübergestellt, der multikulturellen Gesellschaftsvision, jene einer homogenen Volksgemeinschaft. Auf der Suche nach Erklärungen bietet sich diese vereinfachte Weltsicht geradezu an. In Kombination mit wachsendem Konsumdruck und dem Gefühl keine gesellschaftliche Öffentlichkeit für die eigenen Probleme vorzufinden, wird sie zum idealen Nährboden für den Stimmenfang rechtspopulistischer Parteien. Die Zuwendung der Arbeiterklasse zum Rechtspopulismus beruht also vielfach auf einem Zusammenspiel aus geringen sozialen Aufstiegschancen, bei gleichzeitigen Abstiegsängsten und dem Gefühl mit dem Takt der Konsumgesellschaft mithalten zu müssen.

Rechte Sprachhoheit und ihre Folgen

Der neoliberale Kapitalismus hat aber nicht nur die Wirtschaft verändert, sondern auch die Sprache. Sprachbilder, dass „jeder seines eigenen Glückes Schmied ist“, Misserfolge immer sich selbst und nicht den Strukturen zuzuschreiben sind, haben gravierende Auswirkungen auf die Gesellschaft. Leistung wurde zum Schlüsselwort und Gradmesser in allen gesellschaftlichen Bereichen. Menschen wurden zur Ressource aus der der größtmögliche Nutzen für Wirtschaft und Gesellschaft herausgeholt werden soll. Auch Zuwanderung wird unter dem Aspekt finanzieller Vor- und Nachteile betrachtet. Transportiert wird diese Perspektive, so die Sprach- und Kognitionswissenschaftlerin Elisabeth Wehling, durch sogenannte Frames. Darunter werden Sprachbilder verstanden, denen unterschiedliche Wertesystem zugrunde liegen. Schätzungen zu Folge sind 98 % unseres Denkens unbewusst. Ob etwas für richtig oder falsch gehalten wird, steht damit in direktem Zusammenhang mit den verwendeten Metaphern. In der Migrationsdebatte finden sich besonders häufig negativ behaftete Begriffe. Wörter wie Flüchtlingswelle oder Flüchtlingskrise beinhalten ein Bedrohungsszenario.

Im Gegensatz dazu würden Begriffe wie Vertreibungskrise oder Aufnahmekrise mitfühlendere Assoziationen auslösen. Weitere Beispiele wären die Bezeichnung sozial Schwache oder das Wort Steuerlast. Während ersteres impliziert, dass Armut ein Zeichen von Schwäche darstellt, deutet letzteres darauf hin, dass hohe Besteuerung als ungerechte Maßnahme gegenüber den vermeintlichen Leistungsträgern der Gesellschaft empfunden wird. Greifen Medien oder Parteien nun diese Begriffe auf, und sei es nur um sie zu entkräften, verfestigen sich diese Frames dennoch und stärken damit konservative Moralvorstellungen. Rechtspopulistische Parteien beherrschen das Spiel mit den Sprachbildern oft außergewöhnlich gut und beeinflussen dadurch die öffentliche Meinung in ihrem Sinn. Ein gutes Beispiel dafür liefert die Wahrnehmungsverschiebung in der Sicherheitsdebatte. Es steht nicht mehr die soziale Sicherheit im Mittelpunkt des Alltagsbewusstseins, sondern die Auseinandersetzung um öffentliche und innere Sicherheit. Geflüchtete werden in diesem Zusammenhang als potentielle Sicherheitsgefahr wahrgenommen und kollektiv abgewertet. Die Alltagssprache in Politik und Medien beruht vielfach auf konservativen oder neoliberalen Metaphern. Erwerbstätigkeit wird dadurch zum wichtigsten Maßstab einer Gesellschaft. Auf diese Weise werden nicht nur Reichtum und soziale Ungleichheit gerechtfertigt, sondern auch viele Vorurteile weiter geschürt. Die praktischen Auswirkungen sind die Unterteilung der Welt in ein Freund-Feind- Schema, das zu schwindendem gesellschaftlichem Zusammenhalt führt und die Kluft zwischen Arm und Reich weiter vergrößert.

Dem Rechtspopulismus den Boden entziehen

Wie aber soll der Erfolg der RechtspopulistInnen gestoppt werden, wenn viele gesellschaftliche Zusammenhänge kompliziert sind und sich nicht nur mit einfachen Floskeln erklären lassen? Da sich der Protest vieler rechtspopulistischer WählerInnen gegen eine schwer zu durchschauende wirtschaftliche Macht richtet, ist es nötig beim widersprüchlichen Verhalten von RechtspopulistInnen anzusetzen. Mit dem Ziel eine möglichst breite Zielgruppe anzusprechen, inszenieren sich rechtspopulistische Parteien als Verfechterinnen sozialer Gerechtigkeit. Ein Blick ins Wahlprogramm verrät Gegenteiliges: Nicht soziale Sicherheit ist ihre ideologische Grundlage, sondern bürgerliche-konservative Werte, die sich gegen die eigentlichen Interessen der Arbeiterschaft richten. An diesem Widerspruch gilt es anzusetzen, die verschleierten neoliberalen Ansichten aufzudecken und gleichzeitig die Themen Ausbeutung und soziale Gerechtigkeit wieder stärker in den Mittelpunkt fortschrittlicher Politik zu rücken. Eine Annäherung an die harte Asyl- und Einwanderungspolitik der Rechten hält der Soziologe Klaus Dörre für zum Scheitern verurteilt. Dieser Kurs wäre ein Rückwärts zu einer Klassenpolitik, die nur die Interessen einer kleinen Gruppe vertritt. Eine progressive Politik hingegen berücksichtigt auch andere diskriminierte Gruppen von ArbeitnehmerInnen. Neben der Ethnie oder Nationalität, ist vor allem das Geschlecht ein häufiger Grund für Benachteiligung. So sind zum Beispiel die überwiegend weiblichen Beschäftigten im Sozial- und Pflegebereich besonders oft von Unsicherheit und Ausbeutung betroffen. Darüber hinaus ist eine eindeutig europäische Ausrichtung der Politik nötig. Zentrale Zukunftsthemen wie etwa der Klimawandel, soziale Ungleichheit, die Folgen der Digitalisierung, Fluchtbewegungen oder die Risiken der globalen Finanzmärkte können nicht auf nationalstaatlicher Ebene gelöst werden.

Der rechtspopulistischen Ausgrenzungsstrategie kann außerdem nur mit einer Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls begegnet werden. Dafür muss die Idee einer Europäischen Sozialunion vorangetrieben und ArbeitnehmerInnenschutz sowie soziale Rechte in ganz Europa ausgebaut werden. Die Anhebung auf höchste Schutzstandards würde außerdem den Wettbewerb unter den Mitgliedsstaaten um niedrige Löhne, Absenkung der Sozialstandards und Arbeitsrechtsschutz auf Kosten der ArbeitnehmerInnen beenden. Nicht zuletzt ist auch die Sprache entscheidend um rechtspopulistischen Parteien die Stirn bieten zu können. Dabei ist es wichtig, nur nicht die Frames der GegnerInnen aufzugreifen – auch nicht um sie zurückzuweisen. Im Gegenzug müssen eigene Werte ebenfalls durch Sprachbilder transportiert und alte Begriffe ausgetauscht werden, wenn diese eigentlich fremdenfeindliche, konservative oder wirtschaftsliberale Positionen unterstützen. Dazu braucht es eine intensive Auseinandersetzung mit den eigenen Werten, Positionen und Formulierungen. Das ist unabdingbar, um mit den Botschaften durchzudringen und als politische Organisation wieder an Profil zu gewinnen. Der Erfolg der RechtspopulistInnen gründet vor allem darauf, einfache Lösungen für die zunehmenden Ungleichheits- und Ungerechtigkeitserfahrungen in Aussicht zu stellen. Besonders bei den ArbeiterInnen, die überdurchschnittlich oft von den negativen Folgen des neoliberalen Kapitalismus und der Globalisierung betroffen sind, dient die soziale Abwertung anderer der eigenen Selbstaufwertung. Eine besondere Rolle spielt dabei auch die Sprache, denn durch Framing wird auch in Politik und Medien ein neoliberales Wertebild transportiert. Den rechtspopulistischen Parteien kann nur mit einer Sprache und Politik begegnet werden, die glaubwürdig soziale Werte vertritt und sich für Gerechtigkeit und Gleichheit einsetzt. Es geht darum den Alltagssorgen mit einer inklusiven, empathischen Politik zu begegnen, denn nur die schafft Sicherheit und Vertrauen innerhalb einer Gesellschaft.

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