Die Arbeitszeit wurde in Österreich zuletzt vor 40 Jahren verkürzt. Seither geht der Trend in die andere Richtung: 10% der Frauen und 20% der Männer sind bereits überstundenpauschaliert, was dazu führt, dass für viele ArbeitnehmerInnen 50- oder 60-Stunden-Wochen die Normalität sind. In Österreich arbeiten Vollzeitarbeitskräfte insgesamt so lange wie in keinem anderen europäischen Land mit Ausnahme von Großbritannien. Zur PDF-Version
Gleichzeitig verzeichnet Österreich Rekordarbeitslosigkeit und zunehmende Fälle stressbedingter physischer und psychischer Erkrankungen: Die Arbeitslosenquote
lag im Vorjahr bei 8,4%, dem höchsten gemessenen Wert seit den 50er Jahren. In der jüngsten Studie der OECD belegte Österreich bei der Qualität des Arbeitsumfeldes wegen der langen Arbeitszeiten und des hohen Zeitdrucks unter 32 teilnehmenden Ländern lediglich Platz 27.
Arbeitszeitverkürzung schafft Beschäftigung
Die Produktivität der österreichischen Wirtschaft steigt kontinuierlich. Dies bedeutet, dass für die Produktion einer bestimmten Menge an Gütern zunehmend weniger Arbeitskräfte notwendig sind. Was auf der einen Seite für zunehmenden gesellschaftlichen Wohlstand sorgt, bedeutet auf der anderen Seite den Verlust von Arbeitsplätzen, da nun weniger Menschen für die gleiche Produktion benötigt werden. Das bedeutet wiederum, dass die davon betroffenen ArbeitnehmerInnen darauf angewiesen sind, dass an anderer Stelle neue Arbeitsplätze entstehen. Hierfür ist notwendig, dass das Wirtschaftswachstum zumindest gleich groß ist wie die Summe aus Produktivitätswachstum und dem Wachstum der Erwerbsbevölkerung.
Nicht nur die derzeitige Krise, sondern bereits die Entwicklung der letzten Jahrzehnte veranschaulicht, dass dies zunehmend schwieriger geworden ist: Während sich in den 60er und 70er Jahren die Arbeitslosenrate bei 2% lag, wurden ab Mitte der 90er Jahre Werte um die 7% zur Normalität. Aber auch schon in den 60er und 70er Jahren hätte die Bilanz schlechter ausgesehen, wäre damals nicht die Arbeitszeit schrittweise verkürzt worden. Für das Ziel der Vollbeschäftigung wäre sowohl kurzfristig als auch langfristig ein hohes Wirtschaftswachstum nötig. Das scheint wenig realistisch, deswegen sind weitere Verkürzungen
der Arbeitszeit wirtschaftspolitisch unabdinglich.
Arbeitszeitverkürzung im Sinne der Gleichstellung
Klar ist also, dass Arbeitszeitverkürzung aus gesundheitlicher und arbeitsmarktpolitischer Sicht sinnvoll ist. Darüber hinaus bringt sie aber auch für die Gleichstellung Fortschritte. Kinderbetreuung und Pflege von Angehörigen wird derzeit zu einem großen Teil von Frauen in Teilzeitarbeitsverhältnissen übernommen, während Männer in der Regel einer Vollzeitbeschäftigung nachgehen. Jede Verkürzung der Arbeitswoche macht es Vollzeitverdienern leichter, sich hier zusätzlich einzubringen. Dies sorgt auch für zusätzliche Lebensqualität, da viele Väter angeben, dass sie gerne mehr Zeit mit ihrem Nachwuchs verbringen würden. Gleichzeitig wird es für den/die andere PartnerIn leichter, eine Vollzeitstelle zu übernehmen, wenn die damit verbundenen Stunden geringer sind bzw. familiäre Aufgaben gleicher verteilt werden können.
Das Ziel: Die 30h-Woche
Damit es tatsächlich zu einer positiven Veränderung kommt, muss das Ziel die „kurze Vollzeit“ in der Höhe von 30 Wochenstunden sein. Mit besseren Möglichkeiten zu flexibler Arbeitszeiteinteilung wäre das ein entscheidender Schritt zur leichteren Vereinbarkeit von Familie und Vollzeitbeschäftigung. Mehr freie Zeit schafft aber auch Raum, um sich sozial zu engagieren sei es in der Nachbarschaft, in Vereinen, karitativen Organisationen oder in der Politik und birgt so nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für die Gesellschaft großes positives Potential.
Arbeitszeitverkürzung ≠ Einkommensverlust
Arbeitszeitverkürzung muss dabei nicht mit einem Einkommensverlust einhergehen. In den letzten Jahrzehnten verzeichnete die österreichische Wirtschaft große
Produktivitätsgewinne, während die Reallöhne hingegen kaum gestiegen sind. Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich (das heißt: bei gleichbleibendem Brutto-Monatslohn) ist nichts anderes als eine gerechte Entschädigung der ArbeitnehmerInnen für die vorenthaltenen Lohnsteigerungen der letzten Jahrzehnte. Ein realistisches Umsetzungsszenario könnte aber auch der teilweise Lohnausgleich bei höheren, sowie der volle Lohnausgleich bei niedrigeren Einkommen sein. Bruttogehaltsverluste bei höheren Einkommen würden in diesem Fall teilweise durch niedrige Lohnsteuerzahlungen kompensiert werden. Da gleichzeitig mit einem Rückgang der Arbeitslosigkeit zu rechnen ist, fallen für den Staat im Gegenzug niedrigere Sozialausgaben an, wodurch sich auch hier keine Lücke auftäte.
Gegenargument Fachkräftemangel?
Unternehmen haben es gerne, wenn sie sich die Arbeitskräfte aussuchen können. Weniger gerne sehen sie es hingegen, wenn dieselben Arbeitskräfte unter mehreren Stellen wählen können, da dies deren Ansprüche erhöht. Arbeitszeitverkürzung bedeutet eine Machtverschiebung zugunsten der ArbeitnehmerInnen. Das ist mehr als gerechtfertigt, wenn man die Lohnentwicklung der letzten Jahrzehnte als Spiegelbild der herrschenden Machtverhältnisse betrachtet. Um Engpässe zu vermeiden, bietet sich darüber hinaus auch die Möglichkeit des Ausbaus öffentlicher Weiterbildungsprogramme. Damit ist klar: Arbeitszeitverkürzung bringt mehr Beschäftigung und mehr Lebensqualität. Dass immer wieder versucht wird, die Idee schlechtzureden zeigt auch, dass es hier um eine Verteilungsfrage geht: Stehen Gewinne von Einzelnen oder das Wohl der Menschen im Vordergrund?