Willkommen im Diskurs: Feministische Perspektiven gestalten

Das erste Heft stellt das Publikationsprojekt vor, erläutert die Motivation und beleuchtet die Vielschichtigkeit von Feminismus.

Es gibt eine Übersicht über die zehn Themen in Form von Heften und stellt das Team vor, sowohl das interne wie auch die Partner:innen.


Perspektiven von Gleichheit:
Geschichte schreiben, Zukunft gestalten

von Barbara Hinterleitner

Mit der Sesshaftwerdung des Menschen veränderten sich die gesellschaftlichen Strukturen grundlegend: Besitz wurde zum Maßstab für sozialen Status, Macht zum Privileg. Männer beanspruchten Land und Eigentum für sich, und die Kontrolle der Ressourcen wurde zugleich zur Kontrolle über Frauen, die von außen eingeheiratet wurden und so in männlichen Besitz übergingen. Frauen verloren ihren einst selbstverständlichen Platz in der Gemeinschaft und wurden zunehmend
zu Objekten männlicher Verfügung. Und so festigte sich mit dem Aufstieg des Kapitalismus eine patriarchale Ordnung, die bis heute die Ungleichheit prägt und immer wieder zu Konflikten führt.

Kein Wunder also, dass dieser Kampf nicht nur um Rechte geführt wird, sondern um die grundlegenden Strukturen der Gesellschaft. Der moderne Feminismus nimmt seinen Ursprung in einem Aufstand: der Französischen Revolution. Doch während Männer sich Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit auf die Fahnen schrieben, waren Frauen nicht einmal mitgemeint. 1791 hielt Olympe de Gouges ihre „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“ entgegen – und bezahlte dafür mit ihrem Leben.

Im 19. Jahrhundert wurden die Kämpfe intensiver. Die Suffragetten in Großbritannien ketteten sich an Zäune, zertrümmerten Schaufenster und traten in Hungerstreiks, um das Frauenwahlrecht zu erzwingen. In den USA kämpfte Sojourner Truth als schwarze Feministin gegen doppelte Unterdrückung – Rassismus und Sexismus. In Österreich erstritten Frauen wie Adelheid Popp und Marie Beutlmayr mit unermüdlichem Einsatz Bildung und Arbeitsrechte für Frauen und legten den Grundstein für spätere gesetzliche Errungenschaften.

Doch die Bewegung war nicht einheitlich: Während bürgerliche Frauenrechtlerinnen sich eher auf eine Reform innerhalb des Systems konzentrierten, forderten proletarische Feministinnen neben einer unmittelbaren Verbesserung auch seine vollständige Umwälzung. Sie sahen in diesem System selbst die Wurzel aller Unterdrückung und wollten es gänzlich überwinden, um eine neue und gerechtere Welt zu etablieren. Pragmatischer Reformismus oder utopische Vision? Ein Dilemma, das bis heute nachhallt.

In den 1970ern erkämpften Frauen in Österreich entscheidende Rechte: Die Familienrechtsreform von 1975 brachte rechtliche Gleichstellung in der Ehe, die Arbeitserlaubnis war nicht mehr vom Ehemann abhängig. 1979 sicherte die Fristenregelung das Recht auf straffreien Schwangerschaftsabbruch. Dank Pionierinnen wie Johanna Dohnal wurden feministische Forderungen zur politischen Realität – ein Wendepunkt für Selbstbestimmung und Gleichberechtigung.

Die Geschichte zeigt: Fortschritt wurde erkämpft, nicht geschenkt. Und dieser Kampf war nie einheitlich. Während westliche Feministinnen vielfach um rechtliche Gleichstellung rangen, verbanden außereuropäische Bewegungen den Feminismus mit anti-kolonialen und anti- rassistischen Kämpfen. In Südamerika, Afrika und Asien ist Frauenbefreiung untrennbar mit dem Kampf gegen imperialistische und wirtschaftliche Ausbeutung verknüpft. Die Unterdrückung hat viele Gesichter – und die Kämpfe dagegen ebenso.

Doch der Kern bleibt derselbe: Das kapitalistische Patriarchat ist keine Naturgewalt. Es wurde geschaffen – und kann gestürzt werden. Die Frage ist nicht, ob eine gerechtere Welt möglich ist, sondern ob wir bereit sind, sie zu erkämpfen.

Gegenwart: Fortschritte und Rückschritte

Über 230 Jahre nach der Französischen Revolution hat sich vieles verändert – doch noch herrscht in keinem Staat der Welt echte Gleichberechtigung. In demokratischen Staaten sind Frauen rechtlich weitgehend abgesichert, doch in der Realität bestehen weiterhin geschlechtsspezifische Benachteiligungen: schlechtere Bezahlung, gläserne Decken in der Wirtschaft, mangelnde politische Repräsentation oder alltägliche Gewalt. Gleichzeitig gibt es Staaten, in denen Frauen nahezu keine Rechte haben – etwa Afghanistan, Saudi-Arabien oder der Iran – wo Ungleichbehandlung mit religiösen Dogmen gerechtfertigt wird. In vielen Regionen drohen bereits erkämpfte Rechte wieder zu erodieren.

Gleichzeitig gewinnen weltweit autoritäre, nationalistische und antifeministische Bewegungen an Einfluss. Die amerikanische Rechte feiert Frauen, die sich als „Tradwives“ der traditionellen Hausfrauenrolle unterwerfen, in Europa und den USA werden gezielt Abtreibungsrechte ausgehöhlt. Männer wie Andrew Tate, ehemaliger Kick-Boxer und selbsternannter Männlichkeitsguru, oder Donald Trump propagieren eine Männlichkeit, die sich über Macht, Besitz und Kontrolle definiert – ein Weltbild, das sich mit dem von islamistischen Fundamentalisten erschreckend deckt. Denn trotz vermeintlicher Gegensätze eint beide Ideologien ein nationalistisches Überlegenheitsdenken, der Wunsch nach Abschottung, die Kontrolle über Frauen und die Erhaltung traditioneller Geschlechterrollen.

Die entscheidende Frage ist: Liegt das Problem des globalen Nordens wirklich in Migration oder kulturellen Unterschieden, wie es uns die Marktschreier des rechten Populismus wahrmachen wollen – oder doch in einem Männlichkeitsbild, das Dominanz und Gewalt glorifiziert? Frauen fürchten sich nachts in einer Seitengasse nicht vor Gruppen migrantischer Frauen, sondern vor Gruppen von Männern – egal welcher Herkunft. Die Debatte sollte also nicht sein, woher jemand kommt, sondern welches Bild von Männlichkeit wir weitertragen.

Feministische Blickwinkel

In diesem Spannungsfeld von Geschichte und Gegenwart, Diskussion und Fortschritt, Kampf und Rückschritt hat sich unser Projektteam zusammengefunden. Wir sind eine diverse Gruppe – in Alter, Geschlecht und Herkunft –, doch vereint in dem Anliegen, feministische Perspektiven sichtbar zu machen. Wir wollen zum Nachdenken anregen, Diskussionen fördern, zum Kämpfen motivieren und Mut machen.

Die „Feministischen Perspektiven“ informieren, erzählen Geschichten und stellen Zusammenhänge her. Wir beleuchten verschiedene Themenbereiche, analysieren Ikonen und Bewegungen, setzen uns mit Bildung und Arbeit auseinander, hinterfragen Männlichkeitsbilder und diskutieren die Rolle von Frauen in der Politik. In all diesen Aspekten stellen wir uns stets die Frage: Was braucht es auf dem Weg zu mehr Gleichberechtigung, was muss die Politik leisten, und was kann jede:r Einzelne tun?

Von insgesamt zehn Heften stellen wir in einem ersten Schwung fünf vor, an denen über 20 Personen mitgearbeitet haben. Sie sollen bilden, als Inspiration, Unterlage für Schulklassen, als Anregung für Workshops, als Stichwortgeber für Diskussionsrunden dienen. Das erste Heft „Willkommen im Diskurs: Feministische Perspektiven gestalten“ führt unser Projekt, unser Team und unser Anliegen ein.

Das zweite Heft widmet sich feministischen Ikonen und Bewegungen – von Olympe de Gouges und Sojourner Truth bis zu Malala Yousafzai, die mit ihrem Kampf für Mädchenbildung ein globales Symbol wurde. Das dritte Heft behandelt Bildung und Arbeit als Schlüssel zur Emanzipation. „Bildung ist der beste Weg zur Verbesserung“, sagte Malala Yousafzai, pakistanische Frauen- und Kinderrechtsaktivistin und Friedensnobelpreisträgerin 2014. Sie nennt sie wichtige Werkzeuge, um Gleichberechtigung herzustellen, denn sie ebnen den Weg zu gesellschaftlicher Teilhabe und bedeuten Macht.

„Die Herausforderungen und Probleme sind enorm, aber die Lösung ist eine,
und die lautet Bildung.“

    Das vierte Heft hinterfragt traditionelle Männlichkeitsbilder und zeigt alternative Wege auf. Denn Feminismus betrifft nicht nur Frauen – auch Männer leiden unter starren Geschlechterrollen. Einengende Erwartungen an Männlichkeit können toxische Ideale zementieren und zu Unsicherheit, psychischer Belastung und Ausgrenzung führen. Die 2014 ins Leben gerufene UN-Kampagne HeForShe fordert deshalb Männer aktiv zur Mitgestaltung einer gerechteren Welt auf. Die Gleichstellung der Geschlechter ist keine Frauensache, sondern ein Menschenrecht.

    Die Schauspielerin Emma Watson, Botschafterin der Initiative:

    „Auch Männer kommen nicht in den Genuss der Gleichstellung der Geschlechter. Es ist an der Zeit, dass wir alle die Geschlechter auf einer Bandbreite wahrnehmen, anstatt zwei Gruppen von gegensätzlichen Idealen zu haben.“

    Das fünfte Heft beleuchtet die Herausforderungen und Fortschritte von Frauen in der Politik. Politische Macht ist ungleich verteilt – Frauen kämpfen nach wie vor mit strukturellen Hürden, Sexismus und der Frage nach der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Ruth Bader Ginsburg, die als Richterin am US Supreme Court für Gleichberechtigung stritt, wusste um diese Herausforderungen. Sie erinnerte sich daran, wie sie ihren späteren Ehemann an der Universität kennenlernte: „Er war der einzige Junge, den ich kannte, den interessierte, dass ich ein Gehirn hatte.“ Ein Satz, der bis heute viel über die politische Realität von Frauen aussagt.

    Aufbruch statt Stillstand

    Feminismus ist kein einheitliches Konzept, sondern eine lebendige, sich stetig weiterentwickelnde Bewegung. Seine Geschichte ist geprägt von Kämpfen, Siegen, Rückschlägen und Neuorientierungen. Das Ziel bleibt jedoch dasselbe: Eine gerechtere Welt für alle. Diese Heftreihe lädt dazu ein, sich mit verschiedenen Aspekten der feministischen Bewegung auseinanderzusetzen – und vielleicht auch eigene Antworten auf die zentrale Frage zu finden: Streben wir für bessere Verhältnisse innerhalb der bestehenden Ordnung an, oder kämpfen wir für eine völlig neue Ordnung?

    Johanna Dohnal sagte einmal:

    „Die Vision des Feminismus ist nicht eine ‘weibliche Zukunft’. Es ist eine menschliche Zukunft. Ohne Rollenzwänge, ohne Macht- und Gewaltverhältnisse, ohne Männerbündelei und Weiblichkeitswahn.“

    Lassen wir uns davon inspirieren.