Die Arbeitswelt verändert sich laufend. Mit der Digitalisierung erhöht sich das Tempo der Transformation. Dabei stellt sich die Frage: Wie profitieren Frauen vom digitalen Wandel und sind Frauen anders betroffen als Männer? Von Sylvia Kuba & Valerie Buttler. Zur PDF-Version.
Bisher fokussiert die öffentliche Debatte zu Fragen des „Digitalen Wandels“ auf den von der deutschen Industrie geprägten Begriff „Industrie 4.0“ und die prognostizierten Veränderungen der industriellen Produktion, die vielfach Männer betrifft. Übersehen wird dabei oft, dass ebenfalls große Umwälzungen, im viel stärker weiblich geprägten Dienstleistungsbereich vor sich gehen. Eine Studie der Hans Böckler Stiftung beschreibt dies als eine „Industrialisierung der Kopfarbeit“. Dabei geht es darum Arbeitsprozesse im Büro zu strukturieren und unabhängig vom individuellen Geschick der Einzelnen zu organisieren. Diese umfassenden Entwicklungen in den Büros von Privatwirtschaft und Verwaltungen betreffen – mit allen Chancen und Risiken – Frauen in Summe stärker als jene Entwicklungen in der Industrie.
Viele Branchen, in denen der Frauenanteil hoch ist sind besonders von neuen Entwicklungen betroffen: Das gilt zum Beispiel für die Veränderungen rund um den Onlinehandel oder im Bankensektor.
Digitalisierung und die Arbeitsplätze von Frauen
Die OECD sieht in der zunehmenden Polarisierung der Arbeitsmärkte die gefährlichste Auswirkung der Digitalisierung. Gerade für Jobs von Menschen mit niedriger Qualifikation droht ein weitaus höheres Risiko durch Automatisierung wegrationalisiert zu werden. Ein Schlüssel, um der Polarisierung gegenzusteuern und die neuen Chancen zu ergreifen, liegt in der lebensbegleitenden Weiterbildung, die noch an Bedeutung gewinnen wird.
Nicht nur, um aufzusteigen oder im etablierten Beruf bleiben zu können, sondern auch um mit strukturellen Veränderungen besser mitzukommen und notfalls auf neu entstehende Berufsfelder umsatteln zu können. Frauen sind hier benachteiligt sind: Zahlen der Statistik Austria zeigen, dass in Österreich Frauen (mit 29%) weniger an beruflicher Weiterbildung teilnehmen als Männer (mit 34%). Männer haben zudem mehr Möglichkeiten sich in der Arbeitszeit beruflich weiterzubilden als Frauen. Frauen sind also doppelt benachteiligt: Als Frauen und als niedrig Qualifizierte.
Digitaler Wandel und Verteilungsfragen
Ein Blick auf die Einkommens- und Vermögensverteilung zeigt: Frauen treffen wir vor allem in den unteren Einkommensgruppen an. So ergeben Berechnungen der Frauenabteilung der AK auf Basis der Lohnsteuerstatistik 2010, dass rund 45% der Frauen weniger als 1.500 Euro verdienen, im Vergleich dazu sind es nur 16% der Männer. Umgekehrt tummeln sich unter den SpitzenverdienerInnen vorwiegend Männer – 26% verdienen über 3.500 Euro, bei den Frauen sind es dagegen nur 10%.
Frauen an den zusätzlichen Profiten des Digitalen Wandel zu beteiligen heißt also, vor allem die niedrigeren Einkommen stärker an den Gewinnen zu beteiligen. Dabei kommt es einerseits auf die progressive Gestaltung des Steuersystems und andererseits auf Einkommenssteigerungen gerade im unteren Lohnsegment an.
Werden Buben und Mädchen gleich gut auf künftigen Anforderungen vorbereitet?
Eine aktuelle Studie der AK zu digitalen Kompetenzen von Jugendlichen zeigt, dass Jungen und Mädchen IKT-Geräte im Alltag und der Schule in ziemlich gleichem Ausmaß nutzen. Es gibt auch kaum geschlechtsspezifische Nutzungsunterschiede bei Social Media, Twitter, dem Erstellten und Bearbeiten von Videos oder beim Bloggen. Interessanterweise schätzen Mädchen ihre eigenen Kompetenzen in diesem Bereich in Summe sogar höher ein als Jungen. So antworten auf die Frage ob sie schon einmal oder mehrmals ein Computerprogramm geschrieben hätten, 19% der Wiener Jungen zwischen 15 und 19 Jahren, aber nur 5% der Mädchen mit „ja“. Ähnliches gilt bei der Frage, ob sie schon einmal einen Computer aufgesetzt hätten (56% der Jungen, 33% der Mädchen), oder einen Computer selbst zusammengebaut hätten (29% der Jungen, 9% der Mädchen.
Prinzipiell ist die Nutzung der neuen Informations- und Kommunikationstechnik Technologien für Jungen und Mädchen zur großen Selbstverständlichkeit geworden. Unterschiede sind dort auszumachen, wo es um die „produzierende“ Anwendung der neuen Technologien geht. Wenn es aber darum geht, sich mit dem Aufbau der Technologien zu beschäftigen, scheinen Mädchen noch mehr Ermutigung zu brauchen. Hier muss man ansetzen.
Digitalisierung und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie
Erstaunlich ist, dass in Bezug auf die frauenpolitische Perspektive Digitalisierung immer wieder als Vorteil beschrieben wird. Denn Frauen könnten ja durch die steigende Arbeitszeitflexibilität durch den vermehrten Einsatz von Homeoffice Anwendungen profitieren, da diese die Vereinbarkeit von Beruf und Betreuungsarbeit erleichtern würden. Sachlich ist dieses Argument nur schwer nachvollziehbar. Denn sowohl aus Sicht der Frauen, als auch der Kinder, ist es kein Fortschritt wenn Frauen ihre Kinder „nebenbei“ beaufsichtigen.
Die Zeiten, in denen Frauen die Kinder am Rücken mit zur Arbeit nehmen mussten, sind durch zivilisatorische Errungenschaften wie Kinderbetreuungsgeld und gute Betreuungsplätze hoffentlich vorbei. Die Digitalisierung wird das Rad an dieser Stelle hoffentlich nicht zurück drehen. Denkbar wäre, dass Homeofficezeiten bei der Vereinbarkeit unterstützen, da sie Arbeitswege verkürzen und damit mehr Zeit für die Familie bleibt. Hier handelt es sich allerdings weniger um eine geschlechtsspezifische Auswirkung.
Flexibilisierung von Arbeitszeiten
Ein zweiter oft genannter Aspekt, der aus einer Vereinbarkeitssicht relevant scheint, ist die Flexibilisierung von Arbeitszeiten und die damit einhergehende Entgrenzung. Laut einer Studie der Hans Böckler Stiftung zu „Entgrenzung von Arbeit und Familie“ ist der Trend zu flexibleren Arbeitszeiten, vor allem mit kurzfristiger Arbeitszeitplanung verbunden. Daraus folgt der Schluss, dass die „Planung des außerbetrieblichen Lebens“ durch kurzfristige Arbeitszeitplanung (Stichwort On-Demand Economy) erschwert wird, vor allem bei der „Vereinbarkeit von Sorge- und Erwerbsarbeit“.
Schwierig wird es vor allem dann, so die Studie, „wenn Eltern während jener Zeiten nicht zu Hause sind, in denen familiäre Aufgaben anfallen: in den Abendstunden sowie an Wochenenden“. Oft würden Frauen dann die knappe Familienzeit des Mannes ausgleichen, oder bei weniger traditionellen Arbeitsaufteilung, der Planungsaufwand insgesamt steigen und gemeinsame Familienzeiten verkürzt. Digitalisierung hat also nur dann positive Folgen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, wenn sie tatsächlich arbeitnehmerInnenfreundliche Arbeitszeitmodelle, die eigenständige Flexibilisierung und große Planbarkeit ermöglichen, unterstützt.
Frauenpolitische Ableitungen
- In der öffentlichen und politischen Debatte zu Digitalisierung gilt es den Fokus zu erweitern und Frauen dominierte Branchen, wie den Dienstleistungssektor, in das Blickfeld der Analyse zu rücken.
- Verstärkte und gezielte Förderung von Frauen mit niedrigem Qualifikationsniveau durch betriebliche und berufliche Weiterbildung.
- Die gewonnen Profite durch Digitalisierung müssen durch steuerliche Maßnahmen gerecht verteilt werden.
- Erhöhung der Arbeitseinkommen, vor allem von GeringverdienerInnnen, durch Profite der Digitalisierung.
- Gezielte Förderung von Mädchen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik.
- Im Rahmen der Flexibilisierung der Arbeitszeiten braucht es arbeitnehmerInnenfreundliche Arbeitszeitmodelle und Arbeitsmodelle, die die eigenständige flexible Arbeitszeitgestaltung und Planbarkeit von Erwerbs- und Sorgearbeit ermöglichen.
ZUM WEITERLESEN
Industrialisierung der Kopfarbeit
Entgrenzung von Arbeit und Familie – mehr als Prekarisierung
OECD (2016): Automation and Digital Work in a Digital Economy
Forba Trendreport (2015): Berufsbildung in der EU – Musterschüler Österreich?
Blog.arbeit-wirtschaft: Gute Arbeit durch „Industrie 4.0“