*Jens Stoltenberg, nach den rechtsextremen Anschlägen in Oslo gegen das sozialistische Jugendcamp auf Utoya.
PDF Version
Spätesten seit den Anschlägen in Paris auf die Satirezeitung „Charlie Hebdo“ und einen jüdischen Supermarkt steht die Bekämpfung von Terrorismus und Radikalisierung wieder auf der politischen Agenda. Aktuell liegt der Fokus in der österreichischen und europäischen Öffentlichkeit auf islamistischen Terrorismus und wie man ihm begegnen soll. Im Zentrum steht dabei weniger die sozialpolitische Dimension als vielmehr ein Gemenge aus sicherheitspolitischen Konzepten (z.B. Vorratsdatenspeicherung) und einer restriktiveren Asylpolitik (z.B. schnellere Abschiebungen). Um politisch die richtigen Antworten zu finden, ist es aber notwendig sich intensiver mit den Hintergründen auseinander zu setzen, statt sich öffentlichkeitswirksam mit „law-and-order“ Konzepten zu inszenieren.
Politischer Extremismus mit religiösen Texten
Damit der Islam und seine textlichen Grundlagen nicht als Füllstoff für radikale politische Ideologien missbraucht werden, braucht es eine reflektierte Auseinandersetzung mit den religiösen Texten. Diese ist Teil des historisch gewachsenen Lehrkanons. Dazu gehört die Koranwissenschaft (ulum al-Qur´an) und Text-Exegese (tafsir). Politische IdeologInnen wollen ihre vorgefassten Ideen und Vorstellungen in die Texte hineinlesen, sie betreiben Insegese statt Exegese. Es war das Sein, welches das Bewusstsein bestimmter DenkerInnen in postkolonialen Staaten prägte. So formulierten diese auch ihre identitätsstiftende Ablehnung in einer bipolaren Welt des „Kalten Kriegs“, wie wir sie in einem zur Zeit der iranischen Revolution sinngemäß widerkehrenden Slogan wiederfinden: „No east no west, Islam is the best.“ Sie meinten aber eine politische Ideologie mit einem bestimmten politischen System und entsprechenden Lebensweisen, welche sich von denen der nichtmuslimischen Welt unterscheiden sollte.
„Kufr gegen den Taghut“ und wer vom Islam abgefallen sei
Das manifestiert sich in der Ablehnung und Ableugnung (kufr) des „Taghut“ (der das Maß überschreitet) wie zum Beispiel dem „Teufel“. Für diese IdeologInnen wird der „Taghut“ aber auch durch den jeweiligen Staatschef, Parteien, Parlamentarismus, demokratische Wahlen und damit zusammenhängende Institutionen in den verschiedenen muslimischen Ländern repräsentiert. Sie gelten als vom Islam abgefallene, fremde Besatzer, dem sogenannten „nahen Feind“, den es zu bekämpfen gelte. Aber auch der „ferne Feind“, die westliche Staatenwelt, zählt dazu. Echter Muslim/echte Muslima sei nur, wer all dies ablehnen würde, meinen die WortführerInnen dieser Ideologien. Andersdenkenden MuslimInnen wird das Muslimsein abgesprochen (takfir).
Dies erhebt die Personen zu Angehörigen einer exklusiven Gesellschaft. Man ist auserwählt, stark, überlegen. Nur diese eine Gemeinschaft sei rechtgeleitet. Nur sie kennen die Wahrheit und es gilt ihre fixe Idee und das dazugehörige System ungefragt auch mit Gewalt durchzusetzen. Am Ende steht eine Art Vergötzen der eigenen Gruppe und der Gruppenideologie. Es steigt die Bereitschaft Gewalt einzusetzen, sogar gegen sich selbst, um die angestrebten Ziele zu erreichen.
Diese Gemeinschaft und Halt suchenden Menschen, werden auf der Gefühlsebene erreicht. Die Ideologie ist der notwendige Kitt, der die Gruppe zusammenhält. Das Leiden von MuslimInnen, durch Fotos und Videos verbreitet, steigert die Identifikation und Empathie für die
Opfer, für die man kämpfen wolle. Die Menschen finden sich in ihrer der Freizeit, an verschiedensten Orten. Da in Moscheen diese Ideen nicht willkommen sind, organisieren Radikalisierte kleine „Räumlichkeiten“ oder treffen einander im virtuellen Raum.
Extremistische Tendenzen erkennen
Es sind nicht Äußerlichkeiten wie Kleidung, die Hinweis darauf geben, ob sich jemand extremistischen politischen Ideen verbunden fühlt. Die geänderte Kleidung, ein muslimisches Kopftuch und in wenigen Fällen ein Niqab (Gesichtsschleier) müssen kein Hinweis sein. Sie können ein Hinweis auf eine Verbundenheit mit der Sunna, also der Tradition des Propheten sein, wie man sie ebenso bei nichtpolitischen, mystischen Sufigemeinschaften wie religiös lebenden Menschen findet. Gleichzeitig können Menschen, die mit extremistischen Ideologien sympathisieren oder ihnen folgen, genauso gekleidet sein wie der Mainstream in Schule und Jugendzentrum.
Dezidierte Aussagen und ideologische Bekenntnisse
Erkennen kann man sie an dezidierten Aussagen, die den „fernen und den nahen Feind“ thematisieren: Die eigenen vom Islam abgefallenen Regenten und auch die muslimischen Gesellschaften sowie die äußeren westlichen Mächte, die mit dem „nahen Feind“ verbündet sind. Hier muss zwischen einer kritischen Betrachtung politischer Verhältnisse und einer Feindbildreproduktion unterschieden werden. Aussagen und Bekenntnisse, die sich mit den eingangs beschriebenen Inhalten dieser Ideologie überschneiden können klare Hinweise sein. Es bedarf des Fachwissens jener, die sich theoretisch und praktisch mit den Inhalten auseinandersetzen und diese auswerten können. Entscheidend sind daher jene ExpertInnen, die in Interventionsgesprächen diese Ideologie dekonstruieren können. Neben religiösem Wissen ist zusätzlich auch ExpertInnenwissen der beschriebenen Ideologie(n) notwendig.
Was tun?
Klar ist, dass man Präventionsmaßnahmen zur Vorbeugung und Interventionen zur Deradikalisierung unterstützen und ausbauen muss, wie sie bereits von zivilgesellschaftlichen Initiativen in verschiedenen Staaten EU-Europas ausgehen. Nur so kann diesem Phänomen begegnet werden, ohne dabei pauschal die muslimischen Communites zu diskreditieren und negativ zu markieren. Es müssen Expertisen, wie sie beim Netzwerk „EUISA“ als Teil des „Radicalisation Awarness Networks“ (RAN) der Europäischen Kommission zu finden sind und in Österreich und Deutschland durch das „Netzwerk sozialer Zusammenhalt, Prävention, Deradikalisierung, Demokratie“ repräsentiert werden zur Anwendung kommen. So kann diesen Entwicklungen Einhalt geboten und gleichzeitig radikalen Tendenzen in allen Bereichen
der Nährboden entzogen werden.
Schieflagen beseitigen
Fundamentalismus und Radikalisierung auf einen einzelnen Aspekt wie den sozialen Hintergrund oder die Herkunft zurückzuführen ist falsch. Es gibt unterschiedliche Beweggründe für (junge) Menschen sich terroristischen Vereinigungen anzuschließen. Einzelne Maßnahmen unter dem Deckmantel der Sicherheitspolitik, die oft persönliche Freiheiten einschränken, oder allgemeine Sanktionen können daher nicht jene Erfolge liefern, die sich manche davon erhoffen. Die zentrale Herausforderung ist es die gesamtgesellschaftlichen
Ungleichheiten abzubauen: sogenannte horizontale Ungleichheiten, sprich kulturelle, genauso wie vertikale, also soziale Ungleichheiten. Das bedeutet auch von jenen tagespolitischen Debatten Abstand zu nehmen, die zu einer Stigmatisierung von MuslimInnen und/oder MigrantInnen führen und so das gesellschaftliche Klima weiter verschärfen. Ein Maßnahmenkatalog muss daher eine soziale und eine pädagogische Dimension aufweisen, um die gewünschten Erfolge zu liefern. Die Debatte muss sich daher mehr um die Lösung von Ungleichheiten und gesellschaftliche Schieflagen drehen als sie rund um eine Glaubensfrage zuzuspitzen und sie dadurch zu entpolitisieren. Nur dann kommen wir zu mehr Offenheit und zu mehr Demokratie!