Sozialdemokratie und die Soziale Demokratie: Die (lange) Geschichte des Kampfs um Demokratie

Der Weg zur Demokratie war lang – geprägt von Rückschlägen, Aufständen und dem hartnäckigen Einsatz vieler für Freiheit und Gleichheit. Von Bernd Dobesberger. Zur PDF-Version.

Schon vor etwa 2.500 Jahren gab es im antiken Athen für bestimmte Bevölkerungsgruppen demokratische Verhältnisse. Doch über lange Zeit hinweg setzten sich immer wieder autoritäre Machtverhältnisse unterschiedlichster Prägung durch. Der Kampf um demokratische Strukturen dauerte erneut viele Jahrhunderte an. So kämpften zum Beispiel vor genau 500 Jahren große Teile des einfachen Volkes im Bauernkrieg um erste Elemente demokratischer Verhältnisse. In der Französischen Revolution von 1789 richtete sich der Protest gegen die Privilegien von Adel, Kirche und König – und für Menschenrechte, Gleichheit und demokratische Prinzipien. Bei der Revolution von 1848 traten in Wien das Bürgertum und die Arbeiterschaft gemeinsam für Demokratie und Freiheitsrechte ein. Nach dem Ersten Weltkrieg schließlich hatte sich die Demokratie in den industriellen Zentren Westeuropas und Nordamerikas durchgesetzt. Und nach dem Sieg über den Faschismus 1945 – der die demokratischen Verhältnisse erneut beseitigt hatte – schien der endgültige Triumph der Demokratie erreicht.

Die Rolle der österreichischen Sozialdemokratie bei der Durchsetzung der „Demokratie“ und bei deren Verteidigung

Am Ende des 19. Jahrhunderts war die Sozialdemokratie eine Bewegung von „Habenichtsen“ – Menschen, die nicht nur kein Geld und keinen Besitz, sondern auch keine politischen Rechte hatten. Insofern war der Kampf um demokratische Verhältnisse stets auch der Kampf der Arbeiterschaft und umfasste die drei wesentlichen Bestandteile politischer Demokratie:

  • freie Wahlen für die parlamentarischen Organe des Staates
  • politische Rechte des/der Einzelnen – also Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit,
    Pressefreiheit, Minderheitenrechte usw.
  • demokratische Systeme müssen immer Rechtsstaaten sein – politisches Handeln ist dabei
    stets an Gesetze und Verfassung gebunden

Die Sozialdemokratie kämpfte für Demokratie in allen Bereichen.

Die Ausrufung der Republik im November 1918, der Beschluss der Verfassung 1920, das allgemeine und gleiche Wahlrecht auf allen Ebenen, das Wahlrecht für Frauen, die Abschaffung des Adels und seiner Privilegien, die Beseitigung der Zensur, die Etablierung des Verfassungsgerichtshofs und vieles mehr wurden von der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei gefordert und durchgesetzt. Die Sozialdemokratie war eindeutig die Partei der Republik und der Demokratie in der Ersten Republik: Sie hat diese nicht nur von Anfang an unterstützt, sondern auch aktiv verteidigt. Die Rechten hingegen haben die Demokratie bekämpft und schließlich beseitigt.

„Politische Demokratie“ und „Soziale Demokratie“

Wesentliche Repräsentanten der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei in Österreich waren der Ansicht, dass mit der Ausrufung der Republik und dem Beschluss der Verfassung die Gleichheit aller Menschen im politischen System erreicht sei. Für sie war damit die Forderung nach politischer Demokratie erfüllt. Was heute in der Debatte als „liberale Demokratie“ bezeichnet wird, verstand die Sozialdemokratie vor rund hundert Jahren unter dem Begriff der „politischen Demokratie“.
Die österreichische Sozialdemokratie strebte aber eine zusätzliche Dimension der Demokratie an: die „Soziale Demokratie“. Ein Begriff, der insbesondere vom bekannten Austromarxisten Max Adler etabliert wurde. Mit der Sozialen Demokratie sollte die soziale Gleichheit aller Menschen verwirklicht werden. Das bedeutete einerseits den Abbau wirtschaftlicher und sozialer Ungleichheit, andererseits den massiven Ausbau sozialstaatlicher Sicherungssysteme. Die Überzeugung war: Politische Demokratie kann auf Dauer nur durch die Durchsetzung der Sozialen Demokratie gesichert und weiterentwickelt werden.

Der – scheinbar – endgültige Sieg der Demokratie nach 1945

Nach der Befreiung vom Nazi-Faschismus wurden wichtige Schritte Richtung Sozialer Demokratie gesetzt – und damit auch die politische Demokratie gestärkt. Es ist kein Zufall, dass der britische Historiker Eric Hobsbawm die drei Jahrzehnte nach der Niederlage des Faschismus als das „Goldene Zeitalter“ bezeichnete: Der Lebensstandard stieg, die materiellen Unterschiede zwischen Arm und Reich waren nicht allzu dramatisch, der Sozialstaat spannte notwendige Sicherungsnetze und das Bildungssystem wurde massiv ausgebaut. Zugleich war die Zustimmung zu den demokratischen Verhältnissen in der Bevölkerung hoch. In der Ära Kreisky begriff die österreichische Sozialdemokratie die gesellschaftlichen Verhältnisse als kapitalistisch – mit all den damit verbundenen Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten. Dennoch sah man sich auf einem guten Weg hin zur sozialen Demokratie.

Im Parteiprogramm der SPÖ des Jahres 1978 heißt es über den Kapitalismus:

Der Kapitalismus hat sich gewandelt, aber seine entscheidenden Merkmale sind geblieben. Auch in der modernen Industriegesellschaft entscheiden Unternehmer, ob als Eigentümer oder als Manager, über Produktion, die Investitionen und somit über die Arbeitsplätze. Ihre Entscheidungen kommen nicht auf Grund langfristiger gesellschaftlicher Planung zustande, sondern auf Grund von Gewinnerwartungen und Konkurrenzdruck. So kommt es insbesondere in Krisen dazu, dass notwendige Investitionen eingeschränkt oder nur für Rationalisierungsmaßnahmen, die Arbeitsplätze einsparen, eingesetzt werden.

Und zur Sozialen Demokratie ist in diesem Programm zu lesen:

Die soziale Demokratie wird verwirklicht, indem immer neue Bereiche der Gesellschaft mit den Ideen der Demokratie durchdrungen werden. (…) Dazu muss die auf ökonomischer oder bürokratischer Macht beruhende Herrschaft über Menschen durch solidarische und kooperative Beziehungen zwischen den Menschen ersetzt werden. Frei von Ausbeutung und Zwang soll eine Vielfalt von Lebens- und Arbeitsformen entstehen.

Historisch formierte sich mit dem in den 1970er Jahren aufstrebenden Neoliberalismus eine mächtige Gegenbewegung zu dieser Entwicklung. Die propagierte Richtung wurde als liberale Demokratie mit möglichst purer Marktwirtschaft dargestellt. Nach dem Zusammenbruch des autoritär-staatssozialistischen Systems in Osteuropa sprach der amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama gar vom „Ende der Geschichte“, das mit liberaler Demokratie und kapitalistischer Marktwirtschaft erreicht sei.

Die Demokratie heute wieder unter Druck

Der Aufstieg der extremen Rechten in Österreich, Europa und anderen Teilen der Welt – etwa in den USA oder in Indien – hat viele Gründe. Ein zentraler ist sicher, dass die technologische und ökonomische Entwicklung sowie die Dominanz des Neoliberalismus in den letzten Jahrzehnten zu einer massiven Zunahme sozialer und wirtschaftlicher Ungleichheit geführt haben.

Dies löste einen Doppelprozess aus: Einerseits gerät ein wachsender Teil der Bevölkerung ökonomisch unter enormen Druck, und viele fürchten sich davor, dass sie künftig betroffen sein könnten. Als Folge ziehen sich die wirtschaftlich Bedrängten zunehmend aus dem demokratischen System zurück und nutzen beispielsweise ihr Wahlrecht nicht mehr.

Andererseits – und dies ist der zweite Teil des Doppelprozesses – führt der gesellschaftliche Spaltungsprozess dazu, dass eine quantitativ verschwindend kleine Gruppe superreicher Oligarchen nicht nur versucht, sich vom System der politischen Demokratie abzukoppeln, sondern auch eine Gesellschaft nach ihren eigenen Vorstellungen aufzubauen. Diese kennt weder politische noch soziale Gleichheit, sondern nur die absolute Dominanz der Milliardäre. Peter Thiel – einer der Tech-Milliardäre und wohl ihr wichtigster Ideologe – formulierte den Zusammenhang zwischen Demokratie und Freiheit wie folgt: „Ich glaube nicht länger, dass Freiheit und Demokratie miteinander vereinbar sind.“ Dabei versteht er unter Freiheit ausschließlich die Freiheit der milliardenschweren Oligarchen, ihre Geschäfte nach eigenem Ermessen zu führen – ohne die Einschränkungen durch demokratisch zustande gekommene Gesetze.

Heute zeigt sich, dass die politische Demokratie nur dann die nötige breite Akzeptanz findet, wenn sie mit wirtschaftlicher und sozialer Gleichheit einhergeht. Die politische Gleichheit des allgemeinen Wahlrechts braucht auch ein Gegenüber in der Gleichheit wirtschaftlicher und sozialer Möglichkeiten und Chancen. Demokratie gibt es nur mit beiden Dimensionen – der politischen und der sozialen.

Was es braucht:

  • So unwahrscheinlich es auf den ersten Blick erscheinen mag: Die Demokratie braucht
    umfassende Vermögens- und Erbschaftssteuern.
  • Eine Medienpolitik, die Medien fördert, die nach journalistischen Standards arbeiten,
    sowie eine deutliche Stärkung der Öffentlich-Rechtlichen – besonders auch im
    digitalen Bereich.
  • In der Politik muss es für demokratische Parteien selbstverständlich sein, dass soziale
    Fragen stets auch demokratische Fragen
    sind.

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