Die Rechtsaußen-Fraktionen im EU-Parlament und ihre Europavorstellungen.

by Barbara Hinterleitner

Wer ist die Europäische Rechte?

Die Fraktionen im EU-Parlament rechts der EPP (EVP) sind Sammelbecken für die Rechtsaußen-Parteien Europas. Nach der Wahl zum 10. Europäischen Parlament vom 6. bis 9. Juni 2024 haben sich diese in drei Fraktionen neu organisiert. Von Georg Gläser. Zur PDF-Version.

Die European Conservatives and Reformists (ECR) bleiben bestehen, konnten von 72 auf 78 Mandate wachsen und sind damit viertstärkste Fraktion. Viktor Orbans Fidesz und große Teile der Fraktion Identity and Democracy (ID) konnten durch die Neugründung der Patriots for Europe mit 84 Sitzen drittgrößte Fraktionsstärke erreichen. Zudem gründete die AfD zusammen mit diversen Kleinstparteien die mit 25 Mandaten kleinste Fraktion Europe of Sovereign Nations (ESN).

Gemeinsamkeiten und Bruchlinien

Ein von der ID-Fraktion beauftragtes Gutachten über Perspektiven der Zusammenarbeit mit der ECR kam in der letzten Legislatur-Periode zu dem Schluss: „Ein Großteil des Programms ist weitgehend identisch“. Die Trennlinien zwischen ECR und ID seien jedoch bei der Beziehung zu Russland und bei erinnerungspolitischen Fragen auszumachen.  Auch daher ist es sinnvoll alle drei Fraktionen in Anlehnung an Cas Mudde als European Far Right bzw. Rechtsaußen-Fraktionen zu betrachten.

Trotz der Neuordnungsprozesse im Rechtsaußen-Lager scheinen die ideologischen Unterschiede zwischen den drei Fraktionen nach der Wahl deutlich nivelliert. Zwar bleibt die AfD nach Spionagevorwürfen gegen Maximilian Krah und Petr Bystron sowie Krahs Äußerungen, dass nicht alle SS-Angehörige Verbrecher gewesen seien, aus dem Kreis der etablierten Rechtsaußen-Parteien ausgeschlossen – die FPÖ hatte gegen den Ausschluss aus der ID-Fraktion gestimmt, Bündnisse, gemeinsames Abstimmen und Wechsel einzelner MdEPs sind jedoch zu erwarten.

Bei all dem darf der Faktor, dass die Arbeit und Performanz im Europäischen Parlament auch immer eine Bühne für nationale Politik und Wahlen ist und es sich bei den Sondierungen auch um strategisch inszenierte Auseinandersetzungen handelt, nicht unterschätzt werden. Durch die Entstehung der ESN können sich nun die beiden anderen Rechtsaußen-Fraktionen strategisch nach rechts abgrenzen und erscheinen so wählbarer.

Rechte Europavisionen

Was will nun die Europäische Far Right für eine EU? Der Europäischen Integration und den zivilen Aspekten der EU, die im Zuge des Vertrags von Lissabon weiter vertieft wurden, setzen die Rechtsaußen-Fraktionen das Konzept eines „Europa der Vaterländer“ entgegen. Dabei handelt es sich laut Gudrun Hentges und Hans-Wolfgang Platzer um einen Kampfbegriff, der erlaubt, gemeinsam für nationale Autonomie zu plädieren und sich trotzdem auf Europa zu beziehen.

Das Europa der Vaterländer wird begrifflich gefüllt mit der Vorstellung einer Rettung des ursprünglichen Europas, das ständig von äußeren wie inneren Feinden bedroht wird. Dieses ursprüngliche Europa ist eine vage mythologische Imagination. Dennoch sollen EU und die Nationalstaaten anhand der als natürlich und homogen erachteten Einheiten Nation, Tradition/Kultur, heterosexuelle Familie strukturiert werden. Um dies zu erreichen, zielen Rechtsaußen-Parteien auf die Abschaffung gesellschaftlicher Vermittlungsorgane und demokratischer Strukturen des europäischen Staatsprojekts wie Daniel Keil in seinen Arbeiten herausstellt. Die EU soll minimiert werden auf „Festung Europa und Remigration“ wie es im Europawahlprogramm der FPÖ hieß, Binnenmarkt und die Verteidigung der diffusen essentialistischen Europavorstellungen.

Pro-europäische Proteste in Tiflis im Mai 2024 verdeutlichen die Sehnsucht von Nicht-EU-Staaten nach Europa. Credit: IMAGO / SNA

Kulturkampf und Förderungspolitik

Diese Reduzierung der EU um ihre zivilen Aspekte hätte konkrete Auswirkungen auf viele Lebensbereiche. Zwar befürwortet das Europawahlprogramm bspw. der AfD EU-Förderung, wenn sie ihren Europavorstellungen entspricht, d.h. für Unternehmen, Agrarwirtschaft, Familie und Kinderreichtum, den Erhalt der deutschen Sprache. Jedoch wird konkret gefordert das Forschungsprogramm „Horizon Europe“ und weitere Maßnahmen, die sich thematisch mit „Nachhaltigkeit, Kultur, Kreativität, inklusive[r] Gesellschaft, Sicherheit für die Zivilgesellschaft, Klima, Energie, Mobilität, Lebensmittel, Bioökonomie“ beschäftigen, abzuschaffen. Die Förderpolitik soll also im Sinne eines Kulturkampfs von rechts umgestaltet und deutlich reduziert werden. Die logische Folge der Europavorstellungen von Rechtsaußen wäre ein umfassender Kahlschlag, der über das konkret angekündigte weit hinausgeht.

Auswirkungen auf unser Leben

Welche Bedeutung hätte das für unser Leben? Wenn Förderungen wegfallen oder Erasmus und Interrail nicht mehr möglich wären, dann würde dies Mobilität und Internationalisierung einschränken. Wenn es weniger Gemeinwesen gibt und wenn Programme zum Schutz von Menschenrechten und für Gleichberechtigung wie etwa „Citizens, Equality, Rights and Values“ (CERV) aufgekündigt würden, dann wäre das für Betroffene von Antisemitismus, Rassismus, queerfeindlicher oder häuslicher Gewalt bedrohlich und eine konkrete Verschlechterung ihrer Situation. Leider sind diese Szenarien jedoch nur der erste Schritt langfristiger Folgen extrem rechter EU-Politik:

Durch das Abschaffen von Förderung für Menschenrechte, freie Wissenschaft, Kultur, Erinnerungspolitik, politischer Bildung, Mobilität etc. würde auch die Schwächung nationaler Zivilgesellschaften erreicht, sodass sich der von rechts erwünschte autoritäre Politikstil leichter durchsetzen und sich eine Normalisierung extrem rechter Positionen, eine Faschisierung von Gesellschaft leichter erzielen ließe.

Regressive Klimapolitik

Ein weiterer Aspekt bedrohlicher und konkreter Auswirkungen lässt sich in der regressiven Klimapolitik, die aus einer Abwicklung europäischer Abkommen und Rückbesinnung auf die nationale Ebene resultieren würden. Die FPÖ forderte im Wahlprogramm ein „endgültiges Aus für den „Green Deal“. Dafür setzt sich insbesondere Roman Haider ein, der etwa im Interview auf dem FPÖ YouTube Channel seine protektionistischen wirtschaftspolitischen Standpunkte gegen „die Jünger […] der Klimasekte“, deren Argumente nicht wissenschaftlich nachgewiesen seien, in Brüssel durchsetzen will.  Die Bedrohung der planetaren Lebensgrundlagen wird nicht nur negiert, sondern auch verhöhnt.

Ausblick

Durch Zugewinne der europäischen Rechtsaußen-Fraktionen und mögliche neue Koalitionen steht viel auf dem Spiel: Wird es eine Europäische Union als liberales und demokratisches Staatsprojekt in mittelbarer Zukunft noch geben? Oder erleben wir von Rechtsaußen-Parteien regierte Nationalstaaten, die eine EU bilden, die nur noch Binnenmarkt und Frontex ist?

Die Bedrohung durch die extreme Rechte gilt es entsprechend ernst zu nehmen. Das Beispiel Ungarn zeigt, wie schnell die Transformation zur illiberalen Demokratie eingeschlagen werden kann. Eine erste Forderung muss die vielbemühte Brandmauer sein, ein Cordon sanitaire auf europäischer Ebene, der die Zusammenarbeit mit Rechtsaußen verweigert – zumindest dort, wo überhaupt noch die Möglichkeit besteht.  Während die Abgrenzung der EPP nach rechts angesichts der Mehrheitsverhältnisse im EU-Parlament zu bröckeln droht, sind im deutlich mächtigeren Europäischen Rat ohnehin Regierungschef*innen vertreten, die den Rechtsaußen-Fraktionen angehören. Auf nationaler Ebene hat die jüngst erfolgte Wahl zur französischen Nationalversammlung jedoch gezeigt, dass strategische Blockbildungen und personelle Absprachen über das politische Spektrum von Linken, Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen hinweg, den Sieg des RN verhindern konnten.

Trotz all der Abwehrkämpfe gegen rechte Bewegungen und Parteien gilt es Perspektiven einer Demokratisierung der EU nicht aus dem Blick zu verlieren. Die Möglichkeit einer EU, welche die Befugnisse ihres Parlaments stärkt, die eine transeuropäische Zivilgesellschaft entstehen lässt, nachhaltige Klimapolitik verfolgt und Menschenrechte, Partizipation und soziale Gerechtigkeit ernst nimmt, anstatt auf Militarisierung der Außengrenzen und Austeritätspolitik zu setzen, sollte nicht aufgegeben, sondern offensiv vorgetragen werden. Nur eine liberal-demokratische EU ist langfristig attraktiv.

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