Die COVID-19 Krise trifft besonders junge Menschen hart. Jugendarbeitslosigkeit steigt rasant, während gleichzeitig die Lehrstellenlücke immer größer wird. Von Julien Deimling. Zur PDF-Version.
COVID-19 und Jugendarbeitslosigkeit
Das Corona-Virus stellt vorallem eine gesundheitliche Bedrohung für alte und kranke Menschen dar, jedoch hat es auch gravierende Folgen für die junge Generation. Die notwendigen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus hatten eine weltweite Rezession und einen rasanten Anstieg der Arbeitslosenzahlen zur Folge. Vor allem Jugendliche haben ein höheres Risiko ihren Arbeitsplatz zu verlieren oder gar nicht erst einen zu finden. Hinzu kommt, dass Jugendlichen aus sozial benachteiligten Schichten zusätzliche Nachteile in Form geringerer Bildungschancen drohen. Diese Defizite werden sich noch Jahre nach der COVID-19 Krise auf die aktuelle Generation von Jugendlichen in Ausbildung – egal ob in Lehre, Schule oder Universität – auswirken. Es gilt jetzt Maßnahmen zu treffen, um eine verlorene Generation zu verhindern und den jungen Menschen eine Perspektive zu geben.
Arbeitslosenzahlen steigen – Weltwirtschaft schrumpft
Mit Ende April waren 522.253 Personen beim AMS als arbeitslos gemeldet. Das sind 225.978 bzw. 76,3% mehr als im April des Vorjahres und entspricht einer Arbeitslosenquote von 12,8%. Die Gruppe der Jugendlichen unter 25 Jahren verzeichnet den höchsten relativen Anstieg, ihre Zahl hat sich im Vergleich zum Vorjahr von 29.264 auf 61.216 mehr als verdoppelt. Während der Anstieg der Arbeitslosenzahlen im März und April im Vergleich zum Vorjahr in erster Linie die Folgen der Maßnahmen zur Eindämmung des Virus reflektieren, prognostiziert das österreichische Institut für Wirtschaftsforschung einen allgemeinen Anstieg der Arbeitslosenquote auf 8,75% für 2020 im Jahresdurchschnitt. Das heißt, die Arbeitslosigkeit bleibt auf einem hohem Niveau auch wenn jetzt versucht wird das Wirtschaftsleben wieder in Gang zu bringen. Und dabei ist klar: Jugendliche sind stärker betroffen als Arbeitnehmer-Innen im Haupterwerbsalter.
Die negativen Beschäftigungsprognosen hängen eng mit der wirtschaftlichen Entwicklung zusammen: Der internationale Währungsfonds prognostiziert ein Schrumpfen der Weltwirtschaft um 3%. Zum Vergleich: bei der Finanzkrise 2009 waren es 0,1%. Die aktuellen Prognosen für Österreich gehen von einem Rückgang der Wirtschaftsleistung von 7-10% aus. Bei diesen Berechnungen gilt es zu berücksichtigen, dass diese von einem Rückgang der Pandemie in der zweiten Jahreshälfte ausgehen. Sollten die aktuellen Lockerungen nicht sofort greifen, ist mit einer noch stärkeren Rezession zu rechnen.
Was bedeutet das für die Situation von Jugendlichen?
ArbeitsmarktexpertInnen haben ausgerechnet wie sich die Jugendarbeitslosigkeit bei unterschiedlichen Rückgängen der Wirtschaftsleistung und der Erwerbstätigkeit verhalten wird. Selbst wenn die optimistischeren Prognosen mit einem BIP-Rückgang von 5% eintreten sollten, wird die Jugendarbeitslosenquote dennoch auf rund 13% steigen. Da derzeit Prognosen noch mit großer Unsicherheit behaftet sind, erscheint auch ein Rückgang von 7,5 % nicht ausgeschlossen. Dies würde bedeuten, dass die Zahl der Arbeitslosen von 43.700 auf 79.300 steigt. In Prozentpunkten ausgedrückt würde sich die Arbeitslosigkeit fast verdoppeln. Die Zahl der NEET-Jugendlichen würde analog von 65. 200 auf 93.400 steigen. NEET (Not in Education, Employment or Training) sind junge Menschen, die weder in Ausbildung, Beschäftigung oder Weiterbildung integriert sind.
Die negativen Auswirkungen von Jugendarbeitslosigkeit sind bis ins hohe Alter zu spüren. In jungen Jahren arbeitslos zu sein bedeutet nicht nur einen kurzfristigen Verdienstausfall, sondern zeitigt auch langfristige negative Auswirkungen, sogenannte „Scarring-Effekte“. Studien haben gezeigt, dass Jugendliche, die sich in Arbeitslosigkeit befanden, noch 10 Jahre später ein geringeres Einkommen erzielen bzw. mit höherer Wahrscheinlichkeit erneut arbeitslos werden. Arbeitslosigkeit hat aber auch einen direkten Einfluss auf die physische und psychische Gesundheit, die noch bis zu 50 Jahre später nachgewiesen werden können. Und hier beginnt der Teufelskreis, denn ein schlechter Gesundheitszustand beeinflusst wiederum die Chancen einen Arbeitsplatz zu finden. ExpertInnen beziffern die volkswirtschaftlichen Kosten der dauerhaften (6 Monate oder länger) Nichtintegration von 43.500 Jugendlichen ins Ausbildungs- und Beschäftigungssystem auf 775 Millionen Euro in Österreich. Aber vor allem wegen der politischen und sozialen Risiken muss die Integration von Jugendlichen oberste Priorität haben. Deshalb ist es ein Gebot der Stunde ein Rettungspaket für die junge Generation aufzusetzen.
Corona und Lehre
Ein anderer Aspekt der Problematik ist die Lehrstellenlücke, also das Verhältnis von offenen Lehrstellen und Lehrstellensuchenden. Diese weitet sich aufgrund der Corona-Krise immer weiter aus. Oft wurden Lehrlinge während Corona zur einvernehmlichen Auflösung ihres Lehrvertrags gedrängt, wie die Arbeiterkammer berichtete. Im April ist die Lehrstellenlücke nochmal deutlich größer geworden. 8.366 Lehrstellensuchende standen nur 4.561 offenen Lehrstellen gegenüber. ArbeitsmarktexpertInnen rechnen damit, dass 7.500 Jugendliche 2020 keine Lehrstelle finden werden. Eine rasche Aufstockung und massiver Ausbau überbetrieblicher Lehrausbildungsplätze ist also notwendig, um die Situation zu entschärfen und niemanden zurückzulassen. Ein Maßnahmenpaket zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit ist also dringend notwendig.
Ein Jugendrettungspaket um die negativen Folgen abzufedern
1. Erhöhung des Arbeitslosengeldes damit Jugendliche, die jetzt ihre Arbeit verlieren, ausreichend abgesichert sind.
2. Die Kürzungen der Ausbildungsbeihilfe in der überbetrieblichen Lehrausbildung und in ausbildungsvorbereitenden Maßnahmen sind wieder zurückzunehmen und das Angebot dieser sollte mindestens verdoppelt werden. Außerdem braucht es den Ausbau von niederschwelligen Ausbildungs- und Beschäftigungsformen wie Produktionsschulen.
3. Notwendig ist auch eine Jobgarantie für Jugendliche. Einerseits, um das weggefallene Angebot an sinnvollen Beschäftigungsmöglichkeiten zu kompensieren, andererseits um die Nachfrage nach dringend benötigter Infrastruktur und sozialen Dienstleistungen zu bedienen und den Jugendlichen zu vermitteln, dass sie von der Gesellschaft gebraucht werden.
4. Außerdem braucht es eine deutliche Aufstockung des AMS-Budgets, um ein besseres Beratungs- und Unterstützungsprogramm zu schaffen.
5. Viele Studierende finanzieren sich ihr Studium mit einem Nebenjob oder gehen im Sommer arbeiten. Damit sich diese bei schlechter Arbeitsmarktlage ihr Studium weiterhin finanzieren können, müssen die Stipendien erhöht werden.
6. Schulabbrüche müssen mit Hilfe von Präventivmaßnahmen unbedingt vermieden werden. Deshalb muss ein Ausbau bestehender Unterstützungs- und Coachingprogramme erfolgen.
7. Es braucht ein zusätzliches Ausbildungsprogramm für MaturantInnen, die auf Jobsuche sind und aufgrund der Krise keinen Arbeitsplatz finden. Dies könnte ähnlich organisiert sein wie die Angebote für Jugendliche, die keine Lehrstelle finden, aber eben auf MaturantInnen zugeschnitten.
8. Ausbildungsbarrieren müssen abgebaut werden. Die aktuelle Krise zeigt einmal mehr wie wichtig und systemrelevant gewisse Berufsgruppen sind. Aber auch aufgrund der demographischen Entwicklung in Österreich ist ein Anstieg der Nachfrage in Pflegeberufen zu erwarten. Deshalb ist es wichtig vor allem die Ausbildung in Sozial- und Gesundheitsberufen zu fördern.
9. Kinder und Jugendliche aus Familien mit niedrigem sozio-ökonomischen Status müssen besonders gefördert werden. Bildung und Bildungschancen werden vererbt, was vorallem für Kinder deren Eltern nur geringe Ausbildung haben ein Problem darstellt. Dementsprechend muss nach der Corona-Krise und der Periode des „home-schooling“ reagiert werden, damit keine großen Wissenslücken entstehen. Förderprogramme für Kinder- und Jugendliche, sowie sozialraumorientierte Jugendarbeit müssen daher ausgeweitet werden. Nur so kann verhindert werden, dass Kinder und Jugendliche aus dem Ausbildungs- und Beschäftigungssystem herausfallen.
10. Eine Finanzierung dieser Maßnahme kann über eine Vermögens- oder Kapitalsteuer erfolgen. Multinationale Konzerne, wie z.B. Amazon, die aus dieser Krise beträchtliche Profite gezogen haben, müssen europaweit stärker besteuert werden. Zusätzlich ist die Refinanzierung für Staaten aufgrund der Niedrig- und Negativzinsen aktuell sehr günstig. Kluge Investitionen in die Zukunft der Jugend sind also alles andere als unmöglich. Kosten sollten hier aber sowieso keine Rolle spielen, denn in der Gesamtbetrachtung ist klar, es gibt nichts teureres als Jugendarbeitslosigkeit.
Zum Weiterlesen:
• Arbeiterkammer OÖ (2020): Steigende Jugendarbeitslosigkeit durch Corona
• Johann Bacher, Dennis Tamesberger (2020): Corona: Wieder die Gefahr einer verlorenen Generation?
• Richard Baldwin, Beatrice Weder di Mauro (2020): Mitigating the COVID Economic Crisis: Act Fast and Do Whatever It Takes
• Simon Burgess, Hans Henrik Sievertsen (2020): Schools, skills, and learning: The impact of COVID-19 on education
• Gita Gopinath (2020): The Great Lockdown: Worst Economic Downturn Since the Great Depression