Entgrenzungen bei der Arbeitszeit, neue Dienstverhältnisse und technische Lösungen haben zu einer Zunahme der psychischen Belastungen geführt, sichere Jobs sind seltengeworden. In den letzten Jahren hat der Druck am Arbeitsplatz immer mehr zugenommen. Von Bernhard Mader. Zur PDF-Version.
Als die Stimmung in Folge der Wirtschaftskrise in Österreich schlechter wurde, sank auch der Arbeitsklima Index spürbar: Er fiel von seinem Höchstwert von 112 Punkten auf ein Fünfjahrestief von 107. Doch auch in den folgenden Jahren hat sich die Situation in der Arbeitswelt kaum stabilisiert.
Ständig erreichbard – mit gravierenden Folgen
Den größten Einfluss auf die Zufriedenheit mit der Arbeit hat die Arbeitszeit. Dauer, Lage und Flexibilität der Arbeit legen fest, wie die Freizeit ausgestaltet ist. Gerade bei der Schichtarbeit hat es in den letzten zwei Jahren einen starken Anstieg gegeben – jedeR Fünfte gibt an, im Schicht- oder Wechseldienst zu arbeiten. Besonders stark ist die Schichtarbeit im Handel angestiegen – innerhalb der letzten zehn Jahre hat sich der Anteil mehr als verdoppelt. Die verlängerten Öffnungszeiten betreffen vor allem Frauen. Immer öfter hört die Arbeit nicht mehr mit den täglichen Dienstschluss auf – etwa ein Drittel arbeitet auch danach ohne Gegenleistung für die Firma weiter.
Viele Beschwerden
Technisch immer besser ausgereifte, immer günstigere und immer mehr akzeptierte Kommunikationsmittel vom Smartphone über den Laptop bis zum Tablet sind der Grund. Aber auch das veränderte Selbstverständnis der Beschäftigten spielt eine große Rolle: Von der einfachen Angestellten bis hin zur Projektleiterin mit Deadline und Verantwortung – bei allen steigt der Druck, aber selten das Gehalt und die Wertschätzung. JedeR Vierte in Österreich hatte 2015 einen All-in-Vertrag – 2013 sagte das nur jedeR Sechste. Die Zeit, in der die Erholung vom Job passieren soll, wird immer öfter von Arbeit unterbrochen. 18 Prozent der Menschen arbeiten sogar im Urlaub, 14 Prozent im Krankenstand.
Die dauernde Beschäftigung mit dem Beruf macht es fast unmöglich abzuschalten. Von den Personen, die in der Freizeit arbeiten, sind 40 Prozent von Schlafstörungen betroffen – bei den übrigen Beschäftigten ist es nur etwa ein Viertel. Die Liste der weiteren Beschwerden ist lang: So leiden Menschen, die auf Abruf oder grundsätzlich unregelmäßig arbeiten müssen, häufiger an Verdauungsbeschwerden, Nervosität, Konzentrationsstörungen und Verspannungen. Dies gilt sowohl in Berufen mit körperlicher Belastung, als auch für Personen, die im Büro arbeiten. Hier überträgt sich die psychische Anspannung auf das körperliche Befinden. Immer seltener ist es möglich, Krankheiten völlig auszukurieren. Etwa ein Drittel der ÖsterreicherInnen ist im letzten halben Jahr trotz Krankheit zur Arbeit gegangen. Gründe sind, dass es keine Vertretung gibt, dass die Kolleginnen und Kollegen sonst einspringen müssten oder dass der Arbeitsplatz in Gefahr ist.
Arbeitslosigkeit als Breitenphänomen, stabile Arbeitsplätze als Auslaufmodell
Die Angst vor einem Arbeitsplatzverlust ist heute präsenter als je zuvor. 40 Prozent aller Beschäftigten waren schon einmal arbeitslos – im Jahr 1999 hatte das nur jedeR fünfte schon erlebt. Jene, die von der Arbeitslosigkeit in einen Job zurückkehren finden sich besonder häufig in Leiharbeit, Teilzeit oder in befristeten Verträgen wieder. Manchmal treffen sogar mehrere dieser Merkmale zu.
Aber auch die Situation direkt am Arbeitsplatz ist belastend: Art und Inhalt der Arbeit machen die Beschäftigten immer weniger zufrieden. Auch die sich immer schneller verändernde und weniger stabile Organisation von Arbeit hat Auswirkungen: Fast jedeR Dritte ist durch wechselnde Arbeitsabläufe und Anforderungen belastet. Kundenkontakt, hohe Verantwortung und zu wenig Zeit setzen die ArbeitnehmerInnen unter Druck.
29 Prozent der Beschäftigten in Österreich sind psychisch belastet. Manche Berufe wie etwa in der Alten- und Krankenpflege sind besonders betroffen. Sechs Prozent der Beschäftigten waren schon einmal wegen Burnout im Krankenstand, ein Drittel sieht sich zumindest leicht burnoutgefährdet. 29 Prozent sagen, dass schon einmal KollegenInnen aufgrund von Burnout im Krankenstand waren. Besonders viele Fälle gibt es in der Branche Geld und Versicherung, aber auch im Großhandel sind Krankenstände häufig.
Neue Arbeitswelt geht zu Lasten der Beschäftigten
In den letzten 30 Jahren haben sich in der Arbeitswelt viele Möglichkeiten geboten, die Situation für die Beschäftigten zu verbessern. Erleichterungen durch digitale Kommunikation, Arbeitszeitreduktion durch mehr Produktivität, Schaffung von Arbeitsplätzen durch Verteilung der Arbeitslast, lebensphasenorientierte Arbeit etc. hätten bereits die Arbeit der Zukunft bringen können. Doch das Gegenteil ist passiert – die neuen Kommunikationsmittel führen zu ständiger Erreichbarkeit und machen die Freizeit zur Arbeitszeit. Anstatt die Arbeitszeit zu reduzieren, wurde der Druck am Arbeitsplatz höher, statt neuer Arbeitsplätze nahmen Leiharbeit und prekäre Dienstverhältnisse zu. Viele glauben heute, ihren Job nicht bis zur Pension durchhalten zu können, während die Anzahl älterer Arbeitsloser so hoch ist wie nie zuvor.
Der österreichische Arbeitsklima Index
Vor 20 Jahren wurde der Arbeitsklima Index mit dem Ziel entwickelt, den bestehenden Daten über die Arbeitswelt die tatsächlichen Belastungen der Beschäftigten gegenüber zu stellen. Statt Produktivität, Krankenstandstagen und Arbeitslosenquote sollten erlebte körperliche Beschwerden, Arbeitszeit und Zufriedenheit im Betrieb Aufschluss darüber geben, wie es den arbeitenden Menschen geht. Mehr als 4.000 Personen pro Jahr werden in face-to-face-Interviews zu verschiedenen Bereichen ihres Arbeitslebens befragt. Während mit dem Gesamtindex ein schneller Überblick möglich ist, geben der Arbeitsgesundheitsmonitor und der Führungskräfte Monitor genauere Auskunft über Teilbereiche. Mit über 80.000 geführten Interviews und Zusatzfragen zu den Themen Frauen, Entgrenzung und wechselnden aktuellen Schwerpunkten sind Analysen möglich, die von Medien und Wissenschaft gleichermaßen aufgenommen werden.
ZUM WEITERLESEN
AK OÖ (2016): Arbeitsklima Index Datenbank