ACTA – Progressive Netzpolitik und die Auseinandersetzung um das Urheberrecht

by Georg Hubmann

Am liebsten betonen Politiker/innen aller Parteien zum Thema Internet, dass dieses „kein rechtsfreier Raum sein“ dürfe. Eine Forderung, die ein Internet imaginiert, wie es niemals war: rechtsfrei, ungeordnet, anarchistisch. In eine ähnliche Kerbe schlagen auch die Befürworter des Anti-Piraterie-Abkommens ACTA, das lange im Geheimen verhandelt wurde und die vermeintlich übermäßige Freiheit im Internet in rechtliche Schranken weisen soll.

Digitale Revolution und Das Recht

Tatsächlich war das Internet aber niemals ein rechtsfreier Raum. Ganz im Gegenteil, vielen digitalen Potentialen für mehr Freiheit stehen Rechtsvorschriften aus der Zeit von Pferdekutschen und Langspielplatten im Weg. Vor allem das Urheberrecht ist mit den zentralen Kulturtechniken der digitalen Revolution inkompatibel: dem Teilen („sharing“) und Transformieren („remixing“) von Inhalten. Wikipedia, Facebook und YouTube funktionieren alle nur deshalb, weil Nutzerinnen und Nutzer dort Inhalte mit anderen teilen. Im Urheberrecht ist diese Teilen und Transformieren von Inhalten aber nicht vorgesehen und führt dazu, dass für die durchschnittliche Facebook-Pinwand einer 16jährigen Abmahnungen wegen Urheberrechtsverstößen in Höhe von rund 10.000 Euro drohen.

Die Macht der Privaten

Und die digitale Freiheit wird tendenziell sogar noch geringer. Mächtige Plattformbetreiber wie Apple, Facebook oder Google legen strenge Regeln für Innovation in ihren digitalen Ökosystemen fest und filtern Inhalte entlang staatlicher Grenzen. Viele YouTube-Videos, die in Österreich zu sehen sind, werden häufig schon im deutschen Nachbarland blockiert, weil sich dort YouTube-Eigentümer Google mit den Rechtinhabern bislang nicht auf eine angemessene Vergütung einigen konnte. Auf diese Weise halten im vermeintlich globalen World Wide Web mehr und mehr wieder die alten Ländergrenzen Einzug. Und zu gesetzlichen Verschärfungen im Urheberrecht kommen auf diese Weise mehr und mehr private Regeln, die jenseits gerichtlicher Verfahren durchgesetzt werden.

Eine derartige Privatisierung der Rechtsdurchsetzung ist auch ein zentraler Punkt im bereits erwähnten ACTA-Abkommen. Weil die Proteste gegen staatliche Internetüberwachung und Zensurinfrastruktur zu stark sind, werden private Internet-Provider dazu aufgefordert, in Eigenregie gegen Urheberrechtsverletzungen vorzugehen. In Abstimmung mit der Unterhaltungsindustrie sollen sie dann jenseits rechtsstaatlicher Verfahren Maßnahmen setzen – welche genau, ist im Abkommen bewusst nicht ausformuliert. In Begleitdokumenten ist aber klar, dass es bis zu einer zumindest temporären Sperre des Internetanschlusses gehen soll.

Regeln im digitalen Alltag

Deshalb ist ACTA ganz grundsätzlich eine Entwicklung in die falsche Richtung. Anstatt das Urheberrecht zu reformieren und mit dem digitalen Alltag wieder kompatibel zu machen, werden unzeitgemäße Regeln zementiert und deren Durchsetzung privatisiert. Im Ergebnis bleiben so viele technologische Potentiale für mehr Freiheit im digitalen Raum ungenutzt.

 

Dicke Bretter bohren – Konkrete Vorschläge für ein modernes Urheberrecht.

Kulturelles Schaffen hat sich im Zeitalter von Web 2.0 verändert, die rechtliche Situation dazu allerdings nicht. „Wenn jeder sich an das Urheberrecht halten würde, würde es moderne Kreativität nicht geben“, so der deutsche Urheberrechtsexperte Till Kreutzer bei der Enquete im SPÖ-Parlamentsklub. Ein modernes Urheberrecht muss sich darauf konzentrieren, wie Kreativität und künstlerische Tätigkeit insgesamt gefördert werden. Ein noch ausständiges Urhebervertragsrechts muss die ungenügende Honorierung kreativer Leistungen verbessern sowie faire Vertragsbedingungen für KünstlerInnen garantieren.

Konkrete Vorschläge

Fair Use/Transformative Werknutzungen: Erlaubt wäre veröffentlichte Werke oder Werkteile zu vervielfältigen, zu verbreiten, öffentlich wiederzugeben, zu bearbeiten oder umzugestalten, wenn sie eine selbstständige eigene geistige Schöpfung sind, sich vom Ursprungswerk unterscheideen und deren normale Auswertung nicht beeinträchtigen bzw. die berechtigten Interessen des Urhebers oder Rechteinhabers nicht ungebührlich verletzt werden.

Use it or lose it: Verwaiste Werke besser zugänglich machen: Rechte an Inhalten, die nicht verwendet oder verwertet werden, fallen zuerst zu den UrheberInnen zurück. Sollten diese auch keine Verwertung vornehmen (wollen), werden sie in der Folge gemeinfrei.

Flat Rate und Entkriminalisierung von Filesharing: Mit Einführung von Pauschalvergütungsmodellen (zum Beispiel im Sinne einer Kulturabgabe auf Internetanschlüsse), wird nicht-kommerzielle Datentausch im Internet durch den Wegfall strafrechtlicher und zivilrechtlicher Folgen für Privatpersonen entkriminalisiert.

Die Bretter in der Urheberrechts- und Netzpolitik sind dick. Das Bohren der Bretter ist eine spannende und lohnende Aufgabe sein. Es könnte den Blick frei machen.

 

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