Preston: Für die Menschen, nicht für die Profite!

by Georg Hubmann

Die Stadt Preston hatte nach Ausbruch der Wirtschafts- und Finanzkrise 2007/2008 keine einfache Zeit. Es zog sich ein großer Immobilienentwickler aus einem bereits fixierten Projekt zurück und die Tory-Regierung beschnitt die Budgets der Gemeinden stark. Und das im ohnehin strukturschwachen Nordwesten Englands, der schon seit Margret Thatcher der Bergbauindustrie den Todesstoß versetzt hatte, mit starken Problemen kämpfte.
Aber was kann eine Stadt in einer strukturschwachen Region in Zeiten neoliberaler Globalisierung überhaupt noch erreichen? Wo kann die Stadtregierung ansetzen, um die soziale Ungleichheit zu senken und neuen Schwung in die Wirtschaft zu bringen? Die englische Stadt Preston zeigt vor, wie der vorhandene Spielraum optimal genützt werden kann. Sie wies transnationale Konzerne in die Schranken und stärkte stattdessen die lokale Wirtschaft. In diesen Perspektiven sehen wir uns an, wie Preston dabei vorging und was wir für Österreich lernen können. Von Julia Eder. Zur PDF Version.

Prestons Antwort auf den Neoliberalismus: Wohlstand lokal aufbauen
Preston ist eine Stadt im strukturschwachen Nordwesten England. Mit seinen 140.000 EinwohnerInnen gehört es zu den 20% ärmsten Städten Englands. Der Niedergang der Textilindustrie und die Stilllegung der Zechen des nordenglischen Bergbaus brachten die Region schon Ende des 20. Jahrhunderts unter Druck. Längere Zeit waren transnationale Konzerne – meist mit Sitz rund um London – die einzige Möglichkeit, Investitionen zu bekommen. Nach der Krise von 2007/2008 verschärfte sich die Situation zusätzlich. Ein großer Immobilienentwickler zog sich aus dem bereits fixierten Bau eines Einkaufszentrums zurück. Das zeigte der Politik in Preston auf, dass dieses Entwicklungsmodell in eine Sackgasse führt. In Preston begann ein Nachdenkprozess, der die Grundfesten der lokalen Wirtschaft erschütterte.

2012 nahm ein Vertreter des Stadtrats an einer Veranstaltung des think-and-do tanks CLES in London teil. CLES ist das Zentrum für lokale Wirtschaftsstrategien (Centre for Local Economic Strategies) mit Hauptsitz in Manchester. Vor Ort war damals auch Ted Howard vom Democracy Collaborative (Demokratie-Kollaborativ) aus den USA. Beide Think Tanks verbreiten das Konzept sogenannten Community Wealth Building (Wohlstand in der Gemeinde aufbauen). Gemeint ist damit, dass sie Gemeinden und Stadtbezirke auf lokaler Ebene dabei unterstützen, Wohlstand aufzubauen und lokale Wirtschaftskreisläufe zu stärken. Aktuell werden in Großbritannien 33 Gebiete von CLES beraten. In den USA gibt Dieser Ansatz ist eine Reaktion auf eine Reihe von Problemen. Erstens ist der Klimawandel zu nennen, der Transport und Handel über weite Strecken problematisch erscheinen lässt. Zweitens wirft der industrielle Wandel (durch Digitalisierung, künstliche Intelligenz etc.) die alte Frage wieder auf, wem eigentlich die Produktionsmittel gehören sollen – insbesondere, weil es in Zukunft vermutlich weniger Arbeitsplätze geben wird. Drittens, ist der Abzug von Vermögen (extraction of wealth) durch Individuen und transnationale Konzerne so groß wie nie zuvor. Viertens, diese ökonomischen Entwicklungen haben gezeigt, dass Umverteilung allein nicht genug ist. Es muss bei der wirtschaftlichen Gestaltung angesetzt werden, nämlich bevor die Verteilung stattfindet (‚predistribution‘). Fünftens, ist der Verfall von Stadtzentren und die Veränderung von Konsummustern (Shoppingzentren am Stadtrand) augenfällig. Als Antwort auf diese Probleme gibt CLES den Slogan ‚Localise, democratise, socialise wealth‘ (Wohlstand lokal fixieren, demokratisieren und vergesellschaften) aus. Damit ist Community Wealth Building eine kluge Alternative zum in Großbritannien vorherrschenden Marktliberalismus. Außerdem befindet sich Preston im Austausch mit dem Think and do Tank Democracy Collaborative in Cleveland (Ohio, USA) und mit den Kooperativen von Mondragón im Baskenland.

Beim Community Wealth Building-Ansatz wird damit gestartet, die sogenannten Ankerinstitutionen an den jeweiligen Orten auszumachen. Das sind große öffentliche Institutionen wie Universitäten, die Polizei oder die Feuerwehr, die über relevante Budgetmittel verfügen. Deren Vergabe- und Beschaffungswesen wird im Anschluss ins Detail analysiert. Beispielsweise gingen 2013 nur 5% der Ausgaben von Prestons Ankerinstitutionen nach Preston und auch weniger als die Hälfte (39%), verblieb im Landkreis Lancashire. Darauf aufbauend wurde dann analysiert, wohin diese Gelder abflossen als Ziel gesetzt, den Wohlstand zurückzuholen (‚recapture wealth‘). Von 2012/2013 bis 2016/2017 steigerten die Ankerinstitutionen ihre Ausgaben in Preston von 5% auf 18,2%. Prestons Ausgaben in Lancashire erhöhten sich von 39% auf 79,2%.

• FORTSCHRITTLICHE BESCHAFFUNG UND AUFTRAGSVERGABE
Die Ankerinstitutionen, die sich an Community Wealth Building beteiligen wollen, müssen zuerst ihre Lieferketten durchleuchten. Woher werden Güter bezogen? Wie sind dort die Arbeitsbedingungen? Wie weit entfernt ist der Sitz des Zulieferers? Dann werden neue Ausschreibungen gezielt so formuliert, dass nicht nur ökonomische Effizienz, sondern auch ökologische und soziale Kriterien einfließen. Beispielsweise zählt die Länge des Transportweges von Gütern, aber auch die Frage, ob ein Betrieb den Living Wage bezahlt, Lehrlinge beschäftigt und gewerkschaftliche Organisierung erlaubt. Auch Aufträge werden an die neue Situation angepasst. Zum Beispiel teilte man das Projekt zur Renovierung der Markthalle in kleinere Aufträge auf, Damit sich auch kleine und mittlere Unternehmen bewerben können. Insgesamt holte man so 70 Millionen Pfund (82,8 Millionen Euro) der Ankerinstitutionen zurück nach Preston.

• PLURALE UND DEMOKRATISCHE EIGENTUMSFORMEN IN DER WIRTSCHAFT
Eine weitere zentrale Überlegung des Community Wealth Building ist, dass Produktionsmittel nicht nur in privater Hand sein sollten. Neben den meist öffentlichen Ankerinstitutionen werden
deshalb Unternehmen mit sozialer Orientierung und Kooperativen gefördert. Aktuell ist Preston dabei mit finanzieller Unterstützung der Open Society Foundation ein Kooperativen-Netzwerk mit
zehn Betrieben aufzubauen, die im Besitz der ArbeiterInnen sind und von diesen selbst geführt werden. Nach einer Anschubfinanzierung müssen sich die Kooperativen aber selbst tragen. Nach drei Jahrzehnten Neoliberalismus wird mit der Verbreiterung von Eigentumsformen klar das neoliberale Dogma von ‚privat ist besser als Staat‘ angegriffen.

• FAIRE BESCHÄFTIGUNG UND GERECHTE ARBEITSMÄRKTE
Das Arbeitsrecht ist in Großbritannien mittlerweile stark ausgehöhlt. Nullstunden-Verträge (Arbeit auf Abruf) und niedrige Löhne sind weit verbreitet. Der im April 2016 eingeführte ‚National Living Wage‘ (Mindestlohn) sieht für ArbeitnehmerInnen über 21 Jahren 7,70 Pfund (9,16 Euro) pro Stunde, für jene über 25 Jahren 8,21 Pfund (9,76 Euro) pro Stunde vor. Bis April 2020 soll der Living Wage auf 60% des britischen Medianeinkommens angehoben werden (Zum Vergleich: in Österreich liegt hier die Schwelle für Armutsgefährdung). In Preston allerdings verdienen seit der Einführung des Community Wealth Building 4.000 ArbeitnehmerInnen mehr als vorher den noch höher liegenden Real Living Wage. Dieser wird ermittelt, indem auch Kosten wie Miete und Lebensmittel einberechnet werden. Die ArbeitgeberInnen können selbst entscheiden, ob sie den Real Living Wage bezahlen wollen, der außerhalb Londons bei 9,30 Pfund (11,06 Euro) pro Stunde liegt und innerhalb Londons bei 10,75 Pfund (12,78 Euro) pro Stunde). Neben höheren Löhnen konnte Preston während der letzten Jahre auch 1.600 neue Arbeitsplätze schaffen.

• FINANZSTÄRKE LOKAL EINSETZEN
Große Banken investieren ihre Gelder kaum in die lokale Entwicklung. Kleine und mittlere Unternehmen sowie weniger wohlhabende BürgerInnen können Kreditvergabekriterien oft nicht erfüllen. Aus diesem Grund entschloss sich Preston, eine Genossenschaftsbank zu gründen, die von den Beschäftigten selbst geführt wird. Auf diese Weise wird die Finanzierung lokaler Investitionen erleichtert.

• SOZIAL PRODUKTIVE NUTZUNG VON LAND UND VERMÖGENSWERTEN
CLES betont, dass Ländereien, Grundstücke und Anlagegüter im Besitz der Gemeinschaft sein und nicht an Immobilienentwickler vergeben werden sollten. Auch in Preston wurden Wege gesucht,
bebaubare Grundstücke von Ankerinstitutionen für sozial nützliche Zwecke einzusetzen. Beispielsweise legte der Pensionsfond der Lokalregierung von Lancashire seit 2013 100 Millionen Pfund (118,9 Millionen Euro) in Projekten in Preston und South Ribble an sowie weitere 100 Millionen im Landkreis Lancashire. Mit diesem Geld wurde auch ein Studierendenheim im Stadtzentrum finanziert. Die Pensionsanlagen erfolgend also Großteils nicht mehr auf den Finanzmärkten, und zusätzlich werden Land und Anlagegüter im Sinne der Bevölkerung genutzt.

Preston strahlt aus
Preston ist in Großbritannien mittlerweile ein viel diskutiertes Beispiel für den Erfolg der Community Wealth Building-Strategie. Die Labour Party hat dafür ein eigenes und möchte
auch in der Regierung eines etablieren, sollten sie bei den nächsten Wahlen an die Macht kommen. Zu den 33 britischen Gebieten, in denen der Ansatz umgesetzt wird, gehören auch die Londoner Bezirke Islington, Hackney oder Newham. Außerdem hat die schottische Regierung Community Wealth Building in ihrem Programm und die Walisische Regierung plant, es demnächst aufzunehmen. Mithilfe von CLES bewarb sich Preston als Projektleader des Beschaffungsnetzwerks ‚Procure‘, das von der EU und URBACT III gegründet wurde. In diesem kam Preston mit
zehn anderen Städten zusammen, um die eigene spending power und jene der jeweiligen Ankerinsitutionen zu untersuchen. Gemeinsam mit CLES unterstützte Preston die anderen Städte dabei, lokale Aktionspläne zu erarbeiten. Danach bewarb sich Preston um die Leitung eines von EU URBACT finanzierten Transfernetzwerks mit dem Namen ‚Making Spend Matter‘ (‚Gib deinen Ausgaben Bedeutung‘). Seit April 2017 können sieben andere Städte Europas von Prestons Erfahrungen lernen.

Was können wir für Österreich lernen?
Prestons Beispiel macht also Schule in Großbritannien und in anderen strukturschwachen Gebieten Europas. Aber was können wir hier von Preston lernen? Zweifelsohne sind in Österreich viele Ausgangsbedingungen bedeutend besser als im neoliberalisierten Großbritannien. Das bedeutet aber nicht, dass Community Wealth Building bei uns nicht funktioniert. Im Gegenteil, die Voraussetzungen sind hier sogar besser. Immerhin ist das Steueraufkommen in den Gemeinden höher, die Infrastruktur gewartet, die Arbeitsrechte besser und es gibt viel mehr industrielle Wertschöpfung, die zum Wohle der Gemeinschaft eingesetzt werden kann.
Österreichische Gemeinden können sich an einigen Punkten ein Beispiel nehmen: Progressive Beschaffung sollte auch von österreichischen Gemeinden betrieben werden. In diesem Bereich läuft aktuell das Pilotprojekt SO:FAIR von Klimabündnis Oberösterreich, Südwind und FAIRTRADE das Gemeinden in Oberösterreich, Salzburg und Tirol bei der Umstellung auf eine sozial-faire und nachhaltige Beschaffung unterstützt. Um das volle Potenzial progressiver Beschaffung auszuschöpfen muss das Ziel sein, dass auch private Unternehmen ihre Lieferketten umstellen, wo dies möglich ist. Was die Eigentumsverhältnisse in der österreichischen Wirtschaft betrifft, braucht es eine Ausweitung der ArbeitnehmerInnenbeteiligung und -mitbestimmung in unterschiedlichen
Betriebsformen. Kooperativen und Genossenschaften gehören dafür gefördert, insbesondere in Bereichen, die der Erfüllung der Grundbedürfnisse dienen (z.B. Lebensmittelproduktion). Faire Beschäftigung könnte dadurch gefördert werden, dass jene Unternehmen öffentliche Aufträge erhalten, die die besten Arbeitsbedingungen bieten und die höchsten Standards haben.
Auch die Gründung weiterer Genossenschaftsbanken könnte angedacht werden. In Anbetracht der immer größeren Wohnraumknappheit und der zunehmenden Spekulation mit Grundstücken und Immobilien sollten auch österreichische Gemeinden herausfinden, welche Institutionen wo wie viel Grund besitzen und dann evaluieren, ob dieser im Sinne der Gemeinschaft eingesetzt wird oder eingesetzt werden kann. Letztendlich ist Preston ein Beispiel dafür, dass es auch unter schwierigen Voraussetzungen möglich ist, die Wirtschaft lokal zu beleben, gemeinsam Wohlstand aufzubauen und so die Lebensumstände konkret zu verbessern.

ZUM WEITERLESEN
CLES is the national organisation for local economies – developing progressive economics for people, planet and place.

The Community Wealth Building Centre of Excellence.

Preston: Wie eine Stadt gegen den Kapitalismus kämpft.

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